Transkript der Podcastfolge Von Demenz lernen
Anja Kälin: Also, ich habe da schon irgendwie auch so eine Sensibilität für meine Mutter entwickelt. Das war zum Beispiel etwas, was ich dann sehr genossen habe, und wo ich auch sage, das ist auch eine Seite, die da geschult wurde, die ich heute sehr an mir schätze. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Leben, Lieben, Pflegen, der Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Anja Kälin, Familien Coach und Mitgründerin von Desideria K. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz.
Peggy Elfmann: Hallo und willkommen. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin auf Alzheimer und wir.
Anja Kälin: Kann man von der Demenz eigentlich was lernen? Und falls ja, was ist das? Mit diesen Fragen beschäftigen Peggy und ich uns heute. Wir geben euch auch einen Vorgeschmack und weitere Informationen zum Demenz Meet in München. Doch bevor wir anfangen, möchten wir noch Dankeschön sagen. Vielen Dank an die Edit Haberland Wagner Stiftung. Sie unterstützt uns finanziell bei der Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank. Ja, wir planen quasi gerade auch so ein bisschen nebenbei das Demenz Meet und haben uns da als Motto für den Tag das Thema "Voneinander und miteinander lernen" gegeben.
Anja Kälin: Und dieses Demenz Meet, vielleicht müssen wir da noch mal so ein bisschen erklärend ausholen, was das ist. Das ist eine Bewegung, die in der Schweiz angefangen hat. Und wo es eigentlich darum geht, dass die Vernetzung der Menschen, die mit dem Thema Demenz zu tun haben oder sich dafür interessieren, eine Plattform bekommen oder einen Tag, wo man unkompliziert und in einer leichten und schönen Atmosphäre in Kontakt kommen kann und sich austauschen kann. Peggy, du warst ja schon mal in der Schweiz und hast dir das angeschaut.
Peggy Elfmann: Genau. Ich war in Zürich letztes Jahr und habe tatsächlich dieses Gefühl mitgenommen, dass man voneinander lernt und vor allem auch von Menschen mit Demenz lernt. Ich glaube, das ist in vielen Köpfen nicht so, beziehungsweise Demenz wird ja oft so als Schreckensbild verwendet und es ist alles schlimm und es ist eine Krankheit. Aber dass Menschen mit Demenz eine Plattform bekommen und die Gelegenheit zu erzählen und von ihren Erfahrungen zu berichten und dass sie als Experten wahrgenommen werden, das ist ja doch noch eher selten, beziehungsweise ist vielleicht gerade so ein bisschen im Wandel auch, dass es nicht nur Ärzte sind oder eben Fachleute, die darüber sprechen, sondern auch die, die jeden Tag damit leben und die ihre Erfahrungen damit gemacht haben.
Anja Kälin: Genau. Und das hat uns sehr gefallen und hat uns angesprochen, und wir haben gesagt, so etwas braucht es in Deutschland auch, und wir sind jetzt die erste Organisation, die das nach Deutschland holt, und da sind wir sehr stolz drauf. Und am 16. Juli wird dieser Tag stattfinden mit einem bunten Programm. Peggy, kannst du uns noch mal so ein paar Ideen geben, was dort passieren wird?
Peggy Elfmann: Der 16. Juli wird ein bunter, vollgefüllter Tag, wenn man das so möchte. Auf der Bühne stehen vor allem Angehörige und auch Menschen mit Demenz. Menschen mit Demenz sprechen über Selbsthilfe, inwieweit eben Selbsthilfe ihnen geholfen hat. Und zwischendrin wird es auch immer wieder Pausen geben und gutes Essen und eine Piazza, auf der man sich austauschen kann, wo man miteinander in Kontakt kommen kann, wo es auch Informationen rund um das Thema Unterstützung, Entlastungsangebote in und um München gibt, wo man sich Informationen holen kann. Man kann auch mit Experten ins Gespräch gehen in einer Testrunde, und es wird auch noch verschiedene Workshops geben, wo man sich mit Themen auseinandersetzt.
Anja Kälin: Ja, du gibst ja auch einen Workshop.
Peggy Elfmann: Ja. Erzähl doch mal davon.
Anja Kälin: Ja. Desideria von Bohlen und Halbach und ich, wir werden einen Puls Workshop machen zum Thema "Von Drachentötern und tollen Töchtern". Die Idee dahinter ist, dass wir alle so diese unterschiedlichen Stimmen kennen, die manchmal in einem toben und gerade auch in schwierigen Situationen auftauchen, so nach dem Motto: "Ach, ich bin so wütend und gleichzeitig auch, ach Mama, komm, wir schaffen das." Darüber wollen wir uns austauschen und hier eben auch Strategien aufzeigen, wie man da vielleicht in Leichtigkeit reinkommt und das Ganze auch mit einer Portion Milde und Humor angehen kann. Peggy, du wirst auch aus deinem Buch vorlesen.
Peggy Elfmann: Ja, in dem Buch geht's ja um quasi die Geschichte meiner Mama und mir. Ich werde davon vorlesen und hoffentlich auch genug Raum finden, um darüber sprechen zu können, weil das habe ich bis jetzt immer gemerkt, dass es oft ein guter Anlass ist, um ins Gespräch zu kommen, und viele Angehörige dann einfach auch sich wiederfinden in dem, was ich schreibe, und sagen: "Ja, genauso ging es ihnen auch. So haben sie sich auch gefühlt. Sie dachten immer, sie sind alleine damit und es tut so gut zu wissen, dass es anderen ähnlich geht."
Anja Kälin: Genau. Also, wir hoffen, es wird ein bunter und ansprechender Tag. Wir freuen uns, wenn ihr von überall herkommt. Sichert euch die Tickets, und die weiteren Infos geben wir euch auf den Shownotes.
Peggy Elfmann: Auf den Shownotes geben wir euch auch die Infos zu den anderen Demenz Meets, die dieses Jahr stattfinden, weil es gibt nämlich nicht nur eins in München, sondern auch in der Schweiz und, soweit ich weiß, auch in Wien.
Anja Kälin: Genau. Also, beim Demenz Meet geht's darum, was man von der Demenz lernen kann. Wir haben uns das Thema heute vom Demenz Meet auch noch mal ein bisschen auf die Fahne geschrieben und wollen uns darüber unterhalten, was man eigentlich von der Demenz lernen kann. Gibt es da so was, wo du sofort sagst, stimmt, da habe ich irgendwas rausgezogen?
Peggy Elfmann: Für mich ist das ja wie so ein Lernprozess auch, sage ich ja manchmal. Wir haben über das Annehmen gesprochen, und das ist, glaube ich, so dieser der größte Lernprozess auch. Also, nach der Diagnose war es tatsächlich so eine wahnsinnige Angst, weil ich auch dachte, es ist alles ganz schnell vorbei, wenn sie die Diagnose so jung bekommen hat. Und mittlerweile ist ganz viel weg, also sie kann ganz viel nicht mehr und trotzdem habe ich nicht mehr so diese krasse Angst, sondern ich glaube, es ist dieses Annehmen, von dem wir schon gesprochen haben, und auch dieses Okay, Dinge akzeptieren zu können. Das habe ich durch die Demenz, durch meine Mama, vielleicht auch durch das Verhalten, was sie an den Tag legt, gelernt, weil ich sie schon sehr friedlich finde, also in ihrer Welt, aber nicht negativ, sondern oft das Gefühl habe, sie ist da, sie ist so zufrieden eigentlich.
Anja Kälin: Das erstaunt mich, also das erlebe ich tatsächlich auch immer wieder in den Gesprächen mit meinen Klienten. Also, wenn ich da so einen Quadranten aufmale, wo einmal ich drin stehe, dann der Erkrankte, dann die Beziehung und dann die anderen und dann sage, okay, jetzt sag mal auf einer Skala von 1 bis 10, wie gut geht's dir gerade und wie gut geht's dem Erkrankten, dann kommt da ganz oft raus, dass es dem Erkrankten eigentlich vergleichsweise gut geht in seiner Welt und der Angehörige sich schlechte Punktzahlen gibt. Und ich glaube, das ist eben auch ein Bewusstmachungsprozess, den man durch die Demenz lernen kann, dass man ja auch die Verantwortung für sich selber weiterträgt und schaut, dass es einem selber gut geht. Wenn ich jetzt da mal in die Selbstreflexion gehe, jetzt ist es ja bei mir tatsächlich so, dass meine Mutter 2019 verstorben ist, mit und an der Demenz, dass ich jetzt so mit ein bisschen Abstand feststelle, dass es wahnsinnig wichtig ist, über das Thema zu sprechen. Also, das habe ich gelernt. Wenn ich da an die Anfänge zurückdenke, dass mir das wahnsinnig schwierig oder schwer gefallen ist, über das Thema zu sprechen. Ich war da stark in diesem Rückzug drin für mich. Ich wollte das mit mir selber ausmachen. Ich wollte niemanden auf die Nerven gehen mit dem Thema. Hatte auch, glaube ich, große Angst vor meinen eigenen Gefühlen, die ich da weggedrückt habe mit dieser Bewältigungsstrategie, mich unter der Welle durchzuducken. Ich glaube, das war so ein echtes Learning, was sich aber eigentlich über die und zwar ja auch fast 8 oder 10 Jahre, die ich meine Mutter dann insgesamt begleitet habe, sich gegen Ende schon stark abgezeichnet hat, dass ich da in der Offenheit gekommen bin, weil ich auch gemerkt habe, das geht überhaupt gar nicht. Das kann man nicht mit sich selber ausmachen. Da braucht man schon auch Menschen, die das nachvollziehen können.
Peggy Elfmann: Ja, das finde ich auch. Und es ist, wenn man einen gewissen Abstand hat. Also, wenn ich bei meinen Eltern bin, fällt mir das deutlich schwerer, was Positives zu sehen oder so darüber zu reden, sondern bin dann oft in diesem Alltag oder doch in Frustrationen oder in meinen Gefühlen gefangen und wenn ich eben nicht bei meiner Mutter bin, dann kann ich da viel reflektierter darüber sprechen.
Anja Kälin: Also, ich glaube, es ist auch tatsächlich, wenn du zusammenlebst, die ganze Zeit verantwortlich bist, ist es ja total schwer dann zu sagen, ja, ich sehe da jetzt was Positives oder ach, ich lerne von der Demenz.
Und ich weiß auch, dass manche Menschen dann vielleicht sagen, ja, na ja, ihr habt ja gut reden, weil bei dir funktioniert ja alles oder du bist ja gar nicht so involviert in den Alltag. Diese Kritik oder diesen Punkt kann ich total gut nachvollziehen,
Weil da ist man in so einem Tunnel drin, nicht wahr? Und ich glaube, das hat tatsächlich auch was mit Nähe und Distanz zu tun. Und das dann wiederum auch mit der Selbstfürsorge zu schauen, dass man irgendwie diese und das sagen wir ja auch immer wieder im Podcast, diese demenzfreien Räume sich schafft, nicht wahr? Wo man mal in den Abstand kommt, wo man mal auch die Gelegenheit hat zu reflektieren oder mit jemand anderem darüber zu sprechen, oder eben auch mal gar nichts mit dem Thema zu tun hat. Aber das auch in den Alltag zu integrieren ist wahnsinnig schwierig. Das ist eine große Herausforderung, und das soll hier überhaupt gar nicht bagatellisiert werden. Aber wenn wir darüber nachdenken, was kann man denn lernen, sind es Aspekte, die ich schon wichtig finde, und ich glaube, die gehören auch mal ausgesprochen und betont, dass es schon so eine Art Reifungsprozess ist, den man da durchläuft für sich selber, aber auch mit dem Angehörigen.
Wenn wir jetzt gerade noch mal zurück in so eine Situation, die wirklich existenziell ist, vielleicht auch fehlende Krankheitseinsicht von demjenigen mit Demenz und ich als Angehöriger ja wirklich so auch im Anschlag bin mit Gefühlen, mit Verantwortung, was können wir dem mitgeben? Was würdest du denn Klienten sagen, der kommt und so eine Situation schildert?
Das sind Situationen, wo ich natürlich auch erstmal da sitze und schweige, weil darauf gibt es ehrlich gesagt keine wirklich gute Antwort. Hier gibt es nur eben auch wieder Strategien, die helfen können, sich quasi in der Geduld zu üben. Also, das ist tatsächlich etwas, was man üben kann. Ist eine Aufgabe auch immer mal wieder diese Perspektive zu wechseln. Ich habe auch schon mal von der Adlerperspektive gesprochen, eben in den Abstand zu kommen, zumindest innerlich in mir, wenn es also räumlich schon nicht geht, zu sagen, ich atme jetzt mal durch. Und was aber vielleicht auch hilft, und das merke ich so in den Seminaren, dass wir sagen, okay, mit der Demenz ist es nicht leicht, aber vielleicht lohnt es sich auch noch mal daran zurückzudenken, wie es ohne Demenz war, und da war es auch nicht immer leicht. Das sind jetzt natürlich so irgendwie Cowboy-Taschentrick, keine Ahnung. Aber ich glaube und deswegen sind ja auch die unteren beiden Quadranten unsere Beziehung. Wie geht's uns da? Und wenn ich das zum Beispiel den Partner frage, dann sagt er, na ja, also in der Partnerbeziehung geht's mir vielleicht gar nicht so gut, weil mir da was fehlt, aber in der Fürsorgebeziehung, da kriegen wir beide es schon ganz gut hin. Und ich glaube, aber das ist eben auch diese Art des Reflektierens, die helfen kann, auch in der Situation selber die Dinge etwas erträglicher zu machen.
Peggy Elfmann: Was ich daraus höre, ist auch viel ein Lernen über sich selber. Also das kann ich von mir auch sagen, dass ich durch die Demenz meiner Mama auch gelernt habe, was mir gut tut. Also tatsächlich dadurch, dass sie einfach jetzt nicht mehr so viel kann, sondern ja da sitzt und ihre Ruhe gut tut. Und wenn ich mich diesem Tempo anpasse und einfach daneben sitze, ist es zum einen diese Nähe und aber auch einfach, wo ich merke, diese Ruhe, dieses runterkommen, es ist eigentlich sehr heilsam für mich auch. Hast du auch solche Erfahrungen gemacht?
Anja Kälin: Ja, ich habe schon angedeutet, nicht wahr? Also, ich hatte da vielleicht nicht die besten Strategien von Anfang an und habe so gemerkt, ich bin ganz schön leidensfähig, weil ich mir lange tatsächlich keine Unterstützung im Außen geholt habe und mir dachte, das muss ich doch irgendwie hinkriegen und ich will das so. Ich war da eher so ein bisschen. Das habe ich über mich gelernt, und gleichzeitig habe ich aber auch viele andere Dinge gelernt. Beispielsweise es geht ja ganz viel dann auch in der Beziehungsgestaltung darum, dass ich versuche, in die Welt quasi meines Gegenübers einzutauchen, und dazu braucht man ein bisschen Fantasie und Vorstellungskraft und auch ein bisschen Neugier und dann auch ein bisschen Kreativität, um mit dem anderen Menschen da in Kontakt zu kommen. Und das zum Beispiel sind so Dinge, wo ich gemerkt, die machen mir sogar Spaß. Also, ich habe da schon irgendwie auch so eine Sensibilität für meine Mutter entwickelt. Das war zum Beispiel was, was ich dann sehr genossen habe, und wo ich auch sage, das ist auch eine Seite, die da geschult wurde, die ich heute sehr an mir schätze.
Peggy Elfmann: Was hat dir dabei geholfen? Also, wir lernen über uns, aber es passiert ja nicht automatisch, nicht wahr?
Anja Kälin: Nein, es passiert nicht automatisch, aber es war einfach ein großer Wille, da mit meiner Mutter weiter in Kontakt zu sein. Und je mehr sie die Sprache verloren hat und je mehr sie quasi so diese ganzen Orientierungspunkte verloren hat, die uns quasi in unserem alten Leben, in unserer anderen Beziehung so gestärkt haben, und ich wollte sie aber da einfach nicht verlieren, und das war ja, das war halt mein Wunsch, mit ihr trotz der Veränderung weiter in Kontakt zu sein. Und ich sage nicht, dass es einfach war, aber ich habe gelernt, dass es auch Spaß machen kann zu gucken, hey, wo steckt sie denn jetzt gerade? Wie komme ich mit ihr in Kontakt? Was tut ihr gut? Was braucht sie jetzt? Und dann auch andere Wege der Kommunikation zu wählen, also jenseits von Sprache auch zu schauen, wie kann man denn mit Gestik und Mimik in Kontakt kommen, mit Berührung in Kontakt kommen oder auch durch bloßes Anwesendsein und Dasein und so diese ganzen Vorstellungen von dem, was man so jetzt einer Mutter-Tochter-Beziehung zuschreibt, dass man zusammen einkaufen geht in die Stadt, oder Kaffee trinkt, dann zu sagen, hey, geht auch ohne oder über die Kinder zu sprechen oder so was. Also, das habe ich halt einfach gelernt.
Peggy Elfmann: Gerade die Kommunikation, wo du das jetzt so erzählt hast, habe ich gemerkt, ja, stimmt, das habe ich auch erst dadurch gemerkt, was es noch alles so gibt an Kommunikationsmöglichkeiten. Ich meine, wir reden immer so viel mit Worten und legen da so viel Bedeutung rein, aber tatsächlich, wenn die Worte nicht mehr da sind, ist ja trotzdem noch Kommunikation total gut möglich.
Anja Kälin: Genau.
Peggy Elfmann: Ich merke das sowohl wie meine Mama Dinge wahrnimmt oder versteht, ich weiß es ja nicht, sie kann es ja nicht sagen, aber es sind dann oftmals so Situationen, wo ich vielleicht denke, na ja, das weiß sie jetzt sowieso nicht oder ich kann das jetzt ja erzählen, sie versteht es sicher nicht, und aber in ihrer Reaktion spüre ich total, dass sie das irgendwie verstanden hat. Also, es gab eine Situation, wo ich interviewt wurde darüber, was ich traurig finde, was eben nicht mehr ist, und sie saß daneben, und ich habe gedacht, ein bisschen komisch vielleicht, aber na ja, andererseits wahrscheinlich bekommt sie das gar nicht mehr richtig mit, wenn ich es jetzt erzähle, und ich habe eben erzählt, und es hat mich wahnsinnig berührt, und meine Mama saß dann da und hat geweint, und ich habe gedacht, wow, man sagt immer, da ist nichts mehr oder die Dinge gehen, aber ich dachte, nee, es ist da, es ist irgendwie noch viel, viel mehr als ich eigentlich denke, das noch da ist, und ich denke eigentlich schon, dass da viel da ist, aber irgendwie ist es so eine ganz andere Welt.
Anja Kälin: Genau. Und das ist spannend, dass du das sagst. Also habe ich das auch für mich empfunden. Ich fand es sehr gut sichtbar, wenn du den anderen erreichst und wenn der irgendwie mit dir in Resonanz geht, aber eben halt auf eine andere Art und Weise. Aber ich finde, da kann man schon Antennen auch entwickeln und auf diese Spurensuche gehen. Hey, wann erreiche ich den anderen? Und das ist natürlich dann auch ein wahnsinniges Geschenk, wenn es funktioniert. Und es funktioniert natürlich nicht immer, aber wenn es dann mal da ist, so dieser Licht-an-Effekt, das ist dann schon sehr berührend und schön und ein toller Augenblick, der vielleicht so ohne die Demenz nie in dem Maße spürbar gewesen wäre. Also, das ist immer so meins. Klar steckt man nicht drin, hätte Fahrradkette, wenn alles anders gekommen wäre, dann wäre eben auch alles anders. Aber das fand ich schon eine ganz, ganz interessante Erfahrung für mich. Noch mal so eine andere Perspektive. Gibt es irgendwas, was du von deiner Mutter lernst, gerade mit ihrer Krankheit oder wenn du sie da so siehst und beobachtest?
Peggy Elfmann: Ja, also tatsächlich dieses Dinge zu fühlen, im Moment zu sein, Dinge zu genießen, die schön sind. Jetzt macht sie das gar nicht mehr so sehr, aber es war eine Zeit lang so, dass sie so, wenn Dinge schön waren oder lustig waren, dass sie wahnsinnig laut gelacht hat. Und das kannte ich von früher nicht. Also, meine Mama war immer ein fröhlicher und freundlicher Mensch, aber so ja, immer in so einem Rahmen irgendwie, wie es die meisten ja sind. Aber als dieses Kontrolling dann wegfiel, durch die Demenz, hat sie so laut gelacht über einfache Dinge. Wenn die Kinder lachten, dann ist sie damit eingestiegen, und es war so, ich dachte, wow, ja, so sieht echte Freude aus.
Anja Kälin: Das ist wirkliche Freude, nicht irgendwie, wenn wir lachen und was witzig finden, sondern das ist dieses Gefühl, was von innen kommt. Und bei dir?
Peggy Elfmann: Ja, geht wahrscheinlich in dieselbe Richtung. Also, was ich einfach schön fand, dass quasi mit dem Wegfall dieser ganzen Konventionen und Regeln der Gesellschaft und auch dieser Rollenbilder meine Mutter irgendwie in ihrer Lebensfreude noch mal sehr sichtbar wurde. Die war einfach dem Leben verbunden und die hat dann einfach auch auf alles reagiert, was sie gut fand. Egal, ob das jetzt Kinder waren oder Hunde oder Bienen oder Blumen oder egal was, oder eben, wenn sie einen Menschen gesehen hat, den sie mochte. Ich hatte das Glück, dass ich immer dazu gehört habe. Und das war ihr dann einfach auch im Gesicht abzulesen. Sie hat einfach auch die Gesellschaft von Menschen sehr geschätzt und hatte irgendwie auch so eine gute Art, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Und das ist ja zum Glück auch in der Krankheit geblieben, und damit hat sie es uns auch sehr einfach gemacht, ihr auch noch lange viel zuzutrauen, weil ich immer wusste, wenn sie nicht mehr weiterkommt, dann wird sie mit jemandem ins Gespräch kommen, der wird ihr sicher helfen.
Anja Kälin: Ja, wir haben ja auch im Vorfeld unsere Hörer oder Follower gefragt, was sie so gelernt haben. Da war ganz viel von euch dabei, die gesagt haben, sie haben Geduld gelernt oder eben im Moment zu leben, die kleinen Dinge wertzuschätzen. Gelassenheit, dass das Hab und Gut nicht mehr so wichtig ist oder unwichtig wird.
Peggy Elfmann: Ja.
Anja Kälin: Geht irgendwie so in die Richtung, nicht wahr? Also die gleichen Erfahrungen, die wir auch gemacht haben, und anscheinend viele andere auch.
Ja, und ich finde es schön, dass sich das anscheinend wiederholt in den Familien oder in den Beziehungen, wo die Demenz plötzlich als ungebetener Gast dazu kommt, und das spendet ja vielleicht auch ein bisschen Trost, dass man sagt, okay, da steckt auch noch was drinnen, was ich übers Leben insgesamt lernen kann.
Peggy Elfmann: Und ich finde, das motiviert dann doch wieder irgendwie, mit anderen zusammenzukommen und darüber zu sprechen.
Anja Kälin: Genau, weil dann kann man diese kleinen Schätze mal heben.
Peggy Elfmann: Genau.
Anja Kälin: Gibt es denn noch was, was du von anderen gelernt hast im Umgang mit der Demenz?
Peggy Elfmann: Ja, das ist eigentlich ganz spannend. Ich habe da gelernt, dass in so einer Situation, die schwierig ist, oder wenn die Demenz auftaucht, das ist ja zunächst einmal nichts Schönes. Ich habe gelernt, dass die anderen, mit denen man sich dann austauscht, ja, auch Experten sind und dass die einem schon noch mal gute Impulse geben können. Ich habe mich, und ich habe es ja schon gesagt auch zu Beginn des Gesprächs, ich habe mich damit echt ein bisschen schwergetan, weil ich Angst hatte, dass meine Fehler sichtbar werden, wenn ich mich mit anderen austausche. Also, ich hatte so den Wunsch, es sehr gut zu machen, habe aber auch so gemerkt, es gibt Situationen, an denen ich mich echt aufgerieben habe, und wo ich mich schwer getan habe. Und dann hatte ich so Angst, wenn ich da mit anderen darüber spreche, dass ich feststelle, dass ich es ganz schlecht mache. Und eigentlich ist es ja aber nicht so, weil du kriegst ja im Zweifel von den anderen was geschenkt, nämlich eine Idee oder eine zusätzliche Perspektive. Und das ist ja das Schöne im Austausch, man darf ja das nehmen, was zu einem gut passt, und die Dinge, die nicht zu einem passen, darf man auch liegen lassen. Und das ist halt was, was ich erst lernen musste. Aber insofern habe ich sehr viel inzwischen von anderen gelernt und schätze es auch wirklich sehr, diese Gruppen von Angehörigen zu moderieren, weil das sind, also das sind echt Schatztruhen, die ich damit öffnen und heben darf, und finde das großartig, wenn ich dann auch sehe, dass die anderen, die in dieser Situation sind, die zum Teil eben auch sehr schwer und belastend sind, dann voneinander profitieren und da auch so viel rausziehen. "Rise by Lifting."
Anja Kälin: Ja. Und weißt du was? Ich würde sogar sagen, dass ich von dir wahnsinnig viel lerne.
Peggy Elfmann: Ach, ja, ach, das ist ja schön.
Anja Kälin: Also, seit wann machen wir den Podcast jetzt ja schon fast zwei Jahre, nicht wahr?
Anja Kälin: Und schon unser erstes Gespräch, das ja quasi so ein bisschen die Grundlage eigentlich für diese Podcast Idee war, das hat mir ganz viel gegeben, und ich habe gelernt, dass es okay ist, traurig sein zu dürfen, dass es ein Gefühl ist und dass es aber nicht so schlimm ist, wie ich immer dachte oder ich Angst davor hatte, sondern dass es da sein darf und dass das okay ist und dass es normal ist und dass es vielen so geht, und das ist so dieses erste Learning von dir, was mich immer noch begleitet und oft auch trägt.
Peggy Elfmann: Ja, dann denke ich doch auch noch mal kurz darüber nach, was ich von dir gelernt habe. Also, ich habe von dir gelernt, den Mut zu haben, über die Dinge auch zu sprechen. Ich meine, du schreibst ja viel darüber auch in deinem Blog, und du hast mich eigentlich auf eine sehr schöne Art und Weise eingeladen, ja, über meine Erfahrungen zu sprechen, und jetzt bin ich ja nicht so der Typ, der wahnsinnig gerne eigentlich über seine persönlichen Sachen spricht, sondern eher normalerweise auch als Coach in der zuhörenden Rolle bin, wo ich vielleicht auch mal nachfrage und schaue, dass man irgendwie etwas rausarbeitet, aber in diesem Format erzähle ich ja einfach auch sehr viel von mir und da ist es schön, eine Gesprächspartnerin wie dich an der Seite zu haben, wo ich auch so das Gefühl habe, ja, da kommen Dinge zutage von mir, die mir auch gut tun, und insofern schätze ich auch diesen Podcast inzwischen sehr.
Anja Kälin: Das ist jetzt quasi so ein bisschen der Vorgeschmack im Kleinen auch vielleicht auf das große Demenz Meet.
Peggy Elfmann: Genau. Schaut euch die Infos an und für heute war's das mit dem Podcast.
Anja Kälin: Und wir freuen uns, wenn ihr das nächste Mal wieder reinhört. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann gebt uns gerne ein Like, schreibt uns eine Bewertung oder teilt diesen Podcast mit allen, von denen ihr denkt, dass sie ihn auch gerne hören möchten. Weitere Infos findet ihr auf unserer Webseite www.lebenliebenpflegen. Unser großer Dank geht auch an unsere Redaktion Isabel Hartmann und an die Technik Valentin Ramm. Bis zum nächsten Mal. Tschüss.
Peggy Elfmann: Tschüss.