Transkript zur Folge Gemeinsam gegen die Einsamkeit
Ich merke einfach, wie sehr die Menschen es wertschätzen, dass sie anderen Menschen begegnen dürfen, die in ähnlichen Situationen sind. Und allein durch diesen Austausch mit anderen, glaube ich, fühlen sie sich ein Stück weit nicht mehr ganz so einsam. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Leben, lieben, pflegen“, der Desideria Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin zu Alzheimer, und normalerweise hören Sie an dieser Stelle meinen Co-Host Anja Kälin. Sie ist Familiencoach und Mitgründerin von Desideria. In der heutigen Folge vertritt sie ihre Kollegin Désirée von Bohlen und Halbach. Ich freue mich sehr, dass du da bist, liebe Désirée.
Ja, ich freue mich auch, dass ich hier sein darf als Vertretung für Anja. Wir sprechen heute über ein gemeinsames Herzensthema, und zwar geht es um das Thema Einsamkeit überwinden. Viele Menschen sind ja durch die Begleitung und Pflege ihres Angehörigen einsam. Und wir wollen darüber sprechen, welche Folgen das hat und natürlich auch, welche Strategien helfen können dagegen. Ja, bevor wir anfangen, möchte ich noch mal Dankeschön sagen. Danke an Desideria für die Finanzierung dieser Folge.
Liebe Désirée, vielleicht stellst du dich unseren Zuhörern noch mal kurz vor. Wir haben ja schon mal eine Folge aufgenommen. Damals ging es um das Projekt „Demenz neu sehen“.
Ja, meinen Namen, den hast du ja schon verraten. Also, mein Name ist Désirée von Bohlen und Halbach, und ich habe den Verein Desideria 2017 gegründet, vor dem Hintergrund, dass ich eben vier Jahre lang tätig war in einer Tagesstätte für Menschen mit Demenz. Und da ist mir die eine oder andere Not der Angehörigen extrem nah gegangen, und es gab einfach keinen Ort und keinen Raum, um diese Angehörigen zu hören und mit ihnen über ihre Themen zu sprechen. Und ich hatte mich nebenher noch ausbilden lassen zum systemischen Coach und familientherapeutischen Beraterin, und da ist mir eben Anja auch über den Weg gelaufen, und so haben wir dann gesagt, wir machen Desideria gemeinsam weiter, um eben genau den Fokus auf die Angehörigen zu legen.
Kannst du dich an einen Moment erinnern, oder gab es einen Moment, wo dir richtig bewusst wurde, welche Aufgaben und auch welche Belastung Angehörige haben, auch im Punkt Einsamkeit?
Also, als ich in der Tagesstätte unterwegs war, war das eigentlich noch nicht so ganz mein Fokus. Erst als ich dann mit den Angehörigen auch als Coach und Therapeutin gearbeitet habe und immer noch arbeite, kommt das Thema doch sehr oft vor: Diese Einsamkeit, die sich so langsam in so ein Leben eines pflegenden Angehörigen schleicht.
Genau. Du hast den Begriff schleichen benutzt. Das heißt, wie passiert das denn? frage ich mich. Also, ist es tatsächlich bewusst, dass die Einsamkeit da ist und was da so kommt? Wie kann man sich das vorstellen? Ich glaube, es ist nicht ganz so bewusst am Anfang. Es ist, wie du sagst, ein schleichender Prozess, und ich glaube, man wird sich erst sehr viel später klar darüber, was es heißt, dann diese Einsamkeit auch zu spüren, die sich ja vielschichtig breit macht. Einmal bei dem Erkrankten, der auch immer einsamer wird, in seiner eigenen Welt quasi verschwindet oder sich darin auflöst, und dann eben auch die Angehörigen, die damit umgehen müssen, einen wertvollen Gesprächspartner zu verlieren. Also, ich habe eine Klientin, die gesagt hat: „Mein Mann war mir ein Leben lang ein wertvoller Gesprächspartner, und der bricht Stück für Stück weg.“ Also, das ist so eine Einsamkeit, die in Stufen kommt, in Etappen kommt, immer wieder. Vielleicht geht es da mal wieder besser, dann gewöhnt man sich wieder an den nächsten Schritt, aber wenn es dann immer wieder weniger wird, glaube ich, dann wird die Einsamkeit immer mehr bewusst, dass man keinen Gesprächspartner mehr hat und sich deshalb auch einsam fühlt. Und ich kenne so das Gefühl: Wenn man sich in der Partnerschaft einsam fühlt, ist es fast noch schlimmer, als wenn man alleine lebt, weil dann wird es einem wirklich vor Augen geführt, dass man einfach da was vermisst.
Kenne ich von meinen Eltern auch. Mein Papa hat auch mal gesagt, es wird stiller, es wird einsamer. Und ich glaube, es sind tatsächlich zwei Aspekte, nicht wahr? Einerseits diese Einsamkeit in der Beziehung, aber auch die Einsamkeit nach außen. Dass sich eben Menschen, mit denen man sonst sozialen Kontakt hatte, irgendwie zurückziehen. Mein Papa hat mir das gesagt, aber nach außen irgendwie nie so richtig kommuniziert, und ich habe das Gefühl, das ist so etwas Verstecktes, etwas Verborgenes, worüber man nicht gern spricht, was aber deswegen vielleicht auch gar nicht offen ist. Also, für andere auch total schwer zu greifen, eben, was eine Demenz für Veränderungen in diesen Beziehungen, vor allem in Partnerbeziehungen, mit sich bringt. Ist das etwas, was du von ganz vielen Angehörigen so ähnlich hörst, dass es irgendwie immer da ist, aber ganz schwer ist, darüber zu sprechen?
Du hast es gerade angesprochen. Ich glaube, dieses Tabu, über so eine Einsamkeit zu sprechen. Kein Mensch möchte einsam sein. Es ist ein Stigma. Einsame Menschen sind stigmatisiert, und wer möchte das schon? Und das auch noch aufgrund einer Erkrankung, für die ich ja nichts kann. Ja, also, ich werde quasi mit reingezogen in dieser Einsamkeit, ob ich das jetzt will oder nicht. Und da einen Weg rauszufinden oder sie gar zu verhindern im Vorfeld, glaube ich, ist extrem schwer, weil irgendwann erwischt es, glaube ich, jeden in der Beziehung, dass man einsam wird, weil diese Möglichkeit, sich kognitiv auszutauschen, wegbricht, und da Ersatz zu finden, kann ich mir gut vorstellen, dass es gar nicht so einfach ist.
Und auch, glaube ich, so gute Ratschläge von Freunden: „Ja, dann geh doch mehr raus und knüpf doch mehr soziale Kontakte.“ Das ist, glaube ich, alles ganz gut gemeint, aber ich kann mir vorstellen, dass man unheimlich viel Energie aufwenden muss, um rauszugehen, um dieser Einsamkeit quasi den Rücken zu kehren, zu sagen: „Ich lasse das nicht zu, dass ich einsam werde und geh mal raus.“ Ich glaube, dass das unheimlich viel Kraft und Energie kostet, und die fehlt ja den meisten pflegenden Angehörigen dann irgendwann sowieso, weil sie den Alltag zu bewältigen haben und dann sich immer wieder aufzuraffen, zu sagen: „Ich gehe jetzt raus, ich treffe mich mit Freunden.“ Muss man oft proaktiv angehen, weil Freunde sich auch zurückziehen, weil sie oft nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen.
Sind wir ja schon so ein bisschen bei den Strategien. Glaubst du, dass sich das vermeiden lässt, so eine Einsamkeit, die sich durch die Demenz irgendwie einschleicht?
Also, ganz vermeiden, glaube ich, nicht. Ich glaube, man muss lernen, damit umzugehen und für sich selber Strategien zu entwickeln: Wie gehe ich damit um und was bedeutet für mich Einsamkeit? Kann ich damit umgehen? Also, manchmal bedeutet ja auch Einsamkeit, bei sich zu sein, sein zu dürfen und nicht ständig sich vielleicht auch rechtfertigen zu müssen, warum das eine oder andere nicht funktioniert. Also, Einsamkeit kann man ja, es hat so einen negativen Touch, aber wenn man mal für sich sein darf, allein sein darf, dann hat das manchmal vielleicht auch etwas Positives, nur es sollte nicht überhand nehmen in einer Beziehung oder im eigenen Leben.
Ja, so quasi diesen Unterschied zwischen einsam sein und alleine sein, nicht wahr? Genau. Ich glaube, das ist ein riesiger Unterschied, und wenn man da mal drüber nachdenkt, was bedeutet denn das auch? Also, ich zum Beispiel bin gerne mal auch alleine, weil ich dann so bei mir sein darf. Ja, aber das ist ein Zustand, den suche ich mir selber, und der wird mir nicht aufoktroyiert durch etwas anderes oder durch einen anderen Umstand. Ich glaube, da ist ein riesiger Unterschied. Ich glaube, diese Einsamkeit in Bezug auf Demenz ist ja auch einfach so schwierig, weil es mit einem Verlust einhergeht. Mit diesem Abschied von
meinem Partner, von Elternteil, von Angehörigen und denen überhaupt wahrzunehmen oder damit umzugehen, finde ich extrem schwierig. Das ist genauso, glaube ich, mit dem Trauerprozess. Der geht ja auch so schrittweise, und der ist erstmal ganz leise und kaum wahrnehmbar und kaum spürbar, aber es ist immer wieder ein ständiges Abschiednehmen. Und ich kann mir vorstellen, dass das mit der Einsamkeit bei den Angehörigen ähnlich verläuft. Das ist so ein schleichender Prozess. Vielleicht nimmt man den erstmal gar nicht so wahr, weil es heißt: „Ach, das kriegt man schon hin. Und noch kann ich ja kommunizieren, und noch geht das ja.“
Man spricht ja auch viel von der nonverbalen Kommunikation, dass die auch noch funktioniert. Aber da kannst du vielleicht auch noch ein Beispiel aus deiner Familie geben. Ich kann immer nur davon berichten, was Klienten mir sagen. Dieses: „Auf einmal bin ich mit allen Belastungen alleine. Ich muss Entscheidungen treffen.“ Ich glaube, das ist auch noch so ein Teil der Einsamkeit, nicht nur, dass ich nicht mit jemandem reden kann, sondern dass ich viele Dinge auf einmal übernehmen muss. Ich muss Sachen organisieren, die ich vielleicht in meinem Leben nie organisiert habe, und muss Entscheidungen alleine treffen. Also, die ganze Verantwortung liegt letztendlich bei mir, und das kann ja auch einsam machen, wenn man keinen Partner hat, mit dem man sich austauschen kann: „Ist jetzt der richtige Schritt? Mache ich die richtigen Entscheidungen?“
Viele muss ich einsam treffen oder alleine treffen. Ja, das stimmt. Und woran ich jetzt gerade noch denken muss in Sachen Kommunikation ist, dass es einsamer wird, stiller wird und sich die Kommunikation irgendwie verändert. Also, du hast die nonverbale Kommunikation angesprochen, und das geht so Stück für Stück. Konnte meine Mama natürlich irgendwie normal sprechen und so, und dann konnten wir uns nicht mehr so tief austauschen, aber es war irgendwie ganz lange noch so eine Kommunikation auf einer anderen Ebene da, durch Mimik, durch Gestik. Ich hatte das Gefühl, sie weiß so ein bisschen, was wir wollen, wie es uns geht. Sie nimmt diese Stimmung wahr.
Und irgendwann war das aber auch weg, einfach weil sie sehr viel geschlafen hat tagsüber, und sie war da, aber Kommunikation war eigentlich wirklich nicht mehr möglich. Und das war auch so der Punkt, wo ich das Gefühl habe: Irgendwie sind wir uns nicht mehr so nah. Irgendwie hat sich diese Beziehung verändert. Und das ist für meinen Papa einfach noch mal eine ganz andere Sache, nicht wahr? 24 Stunden, tagtäglich mit der Frau deines Lebens zusammen zu sein und die aber einfach nicht mehr da ist. Und wenn er dann gesagt hat, es wird einsamer, es wird stiller, das fand ich oft auch sehr schwierig, weil was sagt man darauf? Also, was für einen guten Rat kann man geben? So etwas wie: „Ja, kannst du mal zu einer Selbsthilfegruppe gehen oder geh doch mal raus.“ Es wirkte alles so platt.
Weil diesen Verlust, den hat eigentlich nur der Partner, der das direkt tragen muss. Aber du hast gerade etwas angesprochen, weil wir auch vielleicht versuchen, das so ein bisschen positiv zu beleuchten. Es kann ja auch darum gehen, was helfen kann. Genau, was könnte denn helfen? Und du hast jetzt einen wichtigen Punkt angesprochen. Ich leite ja auch eine Angehörigengruppe, und ich merke einfach, wie sehr die Menschen es wertschätzen, dass sie anderen Menschen begegnen dürfen, die in ähnlichen Situationen sind. Und allein durch diesen Austausch mit anderen, glaube ich, fühlen sie sich ein Stück weit nicht mehr ganz so einsam. Klar ist der Alltag einsam zu Hause, aber dadurch, dass ich andere Menschen kennenlernen darf, die Ähnliches durchleben, hilft das ein Stück weit, sich nicht ganz so einsam zu fühlen. Und das ist wirklich so ein Appell an unsere Hörer, die das Thema zu Hause haben und die so merken, dass sie immer einsamer werden: Sich so einer Gruppe vielleicht anzuschließen, um genau dem erstmal vorzubeugen, dass es noch mehr überhand nimmt, dieses Gefühl von Einsamkeit.
Ich würde sogar sagen, dass noch ein anderer Schritt davor hilft. Also, weil dieses Gefühl der Einsamkeit, der Einsamkeit auch mit der Erkrankung, kenne ich auch. Ich habe ganz am Anfang, als die Mama mal die Diagnose bekommen hat, mit so ein paar Freundinnen, Bekannten drüber gesprochen, und die haben immer irgendwie komisch für mich reagiert, also so nach dem Motto, die konnten nicht verstehen, was das für mich bedeutet, und ich habe mich damit total allein und einsam gefühlt und dachte, okay, vielleicht übertreibst du auch, vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, vielleicht sind deine Sorgen ja total unnötig, und habe das mit mir ausgemacht und habe mich einsam damit gefühlt, und irgendwann habe ich angefangen, darüber zu sprechen und dann darüber zu schreiben, und einfach dieses Gefühl: Ich kann mich äußern, und andere sagen mir einfach nur: „Mir geht es genauso.“ Fand ich total hilfreich. Hat nicht mal jemand gesagt: „Mach doch das oder geh dahin“, sondern „Ja, mir geht es auch so.“
Ja, ein Klient hat mal einen so schönen Satz geprägt: „Ich bin jetzt wir.“ Also, das heißt, ich als Alleinsorgender in einer Gruppe unterwegs bin, wenn ich über mein Thema reden darf und jemand mir zuhört, wird aus dem Ich ein Wir, und das finde ich so schön, und dieses Wir trägt ja oft viel weiter als nur das Ich. Ja, und der Satz hat sich bei mir wirklich eingebrannt, weil so die auch die Not irgendwo zeigt: Wenn ich bereit bin, aus dem Ich ein Wir zu machen, habe ich einen Profit.
Und das versuchen wir auch mit unserer Community, die wir aufbauen, das aus einzelnen Ichs ein Wir wird. Finde ich einen total schönen Satz. Ja, der hat sich auch bei mir, da passiert ganz viel, wenn ich so drüber nachdenke. Meine auch als Beispiel so als Familienmitglied ist man auch nie wirklich alleine, weil man hat ein Wir, also man hat so eine Art Wir-Gefühl, und das trägt einen ja ein Stück weit durchs Leben. Du hast die Community angesprochen. Vielleicht magst du noch ein bisschen weiter erzählen, was ihr bei Desideria macht, wie ich als Angehöriger quasi bei euch auch Unterstützung oder Hilfen bekommen kann.
Ja, die Community, die soll sich jetzt bilden, und sie fängt ja schon an sich zu bilden, und es gibt schon Austausch auch unter den Angehörigen, und das wollen wir eigentlich noch verstärken, indem wir versuchen, dann eine Art Mitgliedschaft zu entwickeln. Wir sind gerade dabei, und die Menschen, die in dieser Situation sind, dass sie sich durch diese Mitgliedschaft zu einem Wir gehörig fühlen. Und das wollen wir ausbauen und mit unseren Angeboten eben auch Raum geben, dass Angehörige sich untereinander vernetzen können, austauschen können, zum Teil angeleitet durch Therapeuten, also durch Berater, wie ich es auch bin, in Angehörigengruppen, aber auch in Seminaren, wo ein großer Teil Austausch bedeutet, also nicht nur Wissen vermitteln, sondern einfach auch ich kann mich mit anderen Menschen austauschen. Und wir sagen ja immer, die Angehörigen sind Experten in ihrem eigenen Umfeld, und das erlebe ich jedes Mal, und ich persönlich lerne auch extrem viel dazu, weil ich bin keine pflegende Angehörige und sehe, wie toll die manchmal Situationen lösen, und indem sie das als Beispiel oder als Geschichte erzählen, anderen ein Mutmacher sind.
Genau dieses Thema Mut machen, schreiben wir ganz groß und wollen, dass immer mehr Menschen rausgehen und anderen Menschen Mut machen mit ihren eigenen Geschichten, was gelingen kann, aber auch ehrlich sind und sagen, das funktioniert nicht, weil es ist nicht nur alles schön, und man kann auch zugeben, dass etwas nicht funktioniert, und auch dadurch können andere lernen. Also, ich sehe da einen großen Mehrwert. Was machen wir denn noch, um Menschen aus der Isolation zu holen? Wir machen oder geben Konzerte. Erzähl mal von den Konzerten.
Wir nennen sie „Konzert im Ohr“, und wir möchten einfach, dass Familien, die pflegen, zu Hause jemanden versorgen, dass die Chance haben, gemeinsam zum Beispiel ein Konzert zu erleben, und ganz großer Teil des Konzerts ist einfach dieses Mitsingteil, weil wir sagen, nur im Mitsingen merkt man auch dieses Wir, wir gehören zusammen. Ich glaube, ein Chor funktioniert super, weil es ist ein Wir, es bin nicht nur ich, sondern es sind mehrere, und wir erleben das immer wieder, was das für großartige Momente sind, und ich wünsche mir, dass wir das noch mehr und weiter ausbauen können, diese Konzerte, weil ich glaube, das hilft den Menschen auch mal rauszugehen und andere zu erleben. Ja, gerade in der Häuslichkeit, wie es immer so heißt, also die meisten Menschen werden ja zu Hause gepflegt und begleitet, und da gibt es ja eigentlich relativ wenig, gerade auch was diese Beziehung und dieses Miteinander irgendwie stärkt und fördert.
Deswegen finde ich das auch so besonders, was ihr da macht, und so hilfreich irgendwie auch, um rauszukommen, um Teil zu sein von irgendwie etwas Größerem. Genau. Teil sein von etwas Größerem. Ich glaube, das ist wirklich das Stichwort. Im Verlauf von vielen Demenzerkrankungen zeigt sich ja dann, dass es zu Hause oft nicht mehr geht, dass die Begleitung, Betreuung, Pflege einfach nicht mehr schaffbar ist für eine Person oder eben auch für das Netzwerk, das sich etabliert hat. Gleichzeitig ist es ja, wenn man so will, vielleicht eine Art Befreiung für den Angehörigen, weil er nicht mehr so eingebunden ist, denkt man, aber andererseits bringt das schon auch ganz schöne emotionale Herausforderung mit sich. Unter anderem dieses Thema Einsamkeit. Kannst du mal erklären, was du da für Erfahrungen mit gemacht hast und warum das da auch ein Thema ist?
Weil dann entsteht eine neue Art von Einsamkeit. Also, dieses auch so ein Achterbahnfahrgefühl, rauf und runter. Eigentlich wünscht man sich als pflegender Angehöriger dann irgendwann sehnlichst: Ich brauche Luft, ich brauche meinen Freiraum, ich kann nicht mehr, ich will nicht nur für den anderen da sein, ich möchte auch mal was für mich tun. Und dann, wenn der Schritt getan ist ins Pflegeheim, entsteht wieder eine ganz andere Art von Einsamkeit. Dann ist man wirklich alleine zu Hause. Also, dann gibt es nicht mehr den Partner, mit dem man sich einsam fühlt, oder die Partnerin, sondern dann ist man de facto alleine zu Hause. Und wenn es keine Kinder mehr im Umfeld gibt, dann sitzt man vielleicht in einem Haus, was vorher mit Leben gefüllt war, und sitzt dann da und denkt sich so: „Okay, was mache ich jetzt mit mir? Wie kann ich meinen Tag sinnvoll gestalten?“ Weil so eine Pflege- und Sorgearbeit nimmt ja sehr viel Raum, nimmt sehr viel Energie in Anspruch, nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, und jetzt habe ich auf einmal gefühlt einen Überfluss an Zeit, die ich verbringen soll, und wie gestalte ich das sinnvoll?
Viele Menschen wissen überhaupt nicht mehr, was sie dann machen sollen. Ja, sie wissen nicht, wie sie mit der vielen Zeit umgehen. Also, wenn man so eine Waagschale sich vorstellt, da hat man gepflegt, dann ist die Waage so ausgeglichen: Ich habe einen strukturierten Tag, ich habe jemand, um den ich mich kümmern kann. Und jetzt ist der Mensch in einem Pflegeheim, dann fällt diese Waagschale total in ein Ungleichgewicht. Auf einmal ist er weg. Und was mache ich denn jetzt? Jetzt muss ich schauen, dass ich das ausfülle. Und ich merke, dass es oft gar nicht so einfach ist, wenn ich die letzten Jahre nur auf den Menschen konzentriert habe, zu gucken, was tut mir denn jetzt eigentlich wirklich gut und was brauche ich und was will ich? Und die meisten wollen ja auch gebraucht werden. Sie waren jahrelang gebraucht und auf einmal sind sie nicht mehr gebraucht. Ich stelle mir das, ich wollte gerade sagen, das Pflegen nimmt ja nicht nur, sondern das Pflegen gibt ja auch einfach, es gibt eine Struktur, es gibt dir eine Aufgabe, einen Sinn irgendwie da zu sein. Manchmal Anerkennung aus dem Umfeld: „Du machst das so toll, du bist ja super und so weiter.“ Also, das hat auch eine Klientin zu mir gesagt, weil ich sie wirklich damit konfrontiert habe: „Was ist denn der Benefit von der Pflege?“ Sie aber sagt: „Ja, endlich werde ich gesehen.“
Und wenn das „gesehen werden“ auf einmal nicht mehr da ist, was passiert denn dann? Und da sollte man sich auch vielleicht innerlich schon vorbereiten, oder wenn es jetzt in dieser Situation ist, dass man sich wirklich von außen Hilfe holt und einfach mal dieses Thema platziert und mal überlegt: „Was mache ich denn jetzt mit mir und wie kann ich jetzt mein Leben voll gestalten?“
Das stimmt. Das ist eine riesige Lücke, die da entsteht. Als meine Mama ins Pflegeheim gezogen ist, habe ich meinen Papa zum Arzt begleitet, und dann ging es, also die hat sich sehr viel Zeit genommen und hat gesprochen: „Ja, musst du vielleicht auch ein bisschen was anderes machen und dich um dich kümmern, und jetzt hast du doch Zeit.“ Und mein Papa hat gesagt: „Ich weiß gar nicht mehr, was ich gerne mache.“ Ich glaube, es verlernt man ganz schnell so in sich reinzuhören und zu sagen: „Was will ich jetzt eigentlich machen?“ Und das muss man wieder lernen, und dazu wäre es gut, wenn man sich Hilfe holt, einfach in Form eines Gesprächs oder auch sich, wie gesagt, mit anderen austauscht: „Was macht ihr denn in der Situation?“ Und deswegen finde ich es so schön, wenn diese Community auch darüber hinausgeht, auch wenn jetzt der Partner im Pflegeheim ist, dass sie bleiben in der Community, um genau diese Art von dem Leben alleine wieder lernen und wieder Mut schöpfen und sagen: „Okay, jetzt habe ich ganz viel Zeit, jetzt kann ich Dinge machen, jetzt kann ich wieder Freundschaften vielleicht aufgreifen, wenn ich die Energie dazu aufbringe, oder ich orientiere mich einfach neu oder bin vielleicht eine Art Mentor für jemanden, der gerade noch in dieser Situation steckt und der mir dann helfen kann einfach als Telefongesprächspartner zum Beispiel.“
Das würde ich mir auch wunderschön vorstellen, dass sich die Angehörigen gegenseitig dann helfen und unterstützen, und ich kann von meiner Erfahrung dem anderen jetzt was mitgeben, und dadurch fühle ich mich ja wieder gebraucht. Vielleicht dauert das ein bisschen, bis man dazu bereit ist, je nachdem, ob jemand im Pflegeheim ist oder verstorben ist. Ich glaube, das ist auch noch mal ein Unterschied, aber ich glaube, das tut ganz gut, um mit dieser Situation etwas Sinnvolles anzustellen.
Du hast gerade schon angesprochen: Wenn die Person dann nicht mehr da ist, wenn sie gestorben ist, ist ja noch mal eine andere Art von Einsamkeit, die entstehen kann. Und das merke ich gerade auch, weil ich das Gefühl habe, das Umfeld möchte mich trösten und sagen solche Sachen wie: „Na ja, ist doch jetzt eine Erlösung, sie ist erlöst.“ Und ich denke mir so: „Was redet ihr?“ Ja, vielleicht muss sie nicht mehr leiden, falls sie jemals Schmerzen hatte. Keine Ahnung. Aber wie kann das jetzt irgendwie etwas Gutes sein? Und auch mein Papa sagt: „Was mache ich denn jetzt? Ich sitze alleine hier.“ Das ist noch mal ein ganz anderes Loch, in das man da fällt.
Kannst du denn als Tochter, jetzt muss ich mal eine Frage stellen, das brennt mir einfach. Kannst du da als Tochter deinem Vater irgendwie zur Seite stehen? Kann er das von dir annehmen, oder fühlt er sich da eher so ja, übergriffig vielleicht von dir behandelt?
Ich weiß es ja nicht. Wir telefonieren recht viel, und dann erzählt er mir, wie es ihm geht, und dann bestätige ich das irgendwie oder sage: „Ja, kann mir vorstellen, dass es gerade ganz schön traurig ist.“ Und ich habe mir angewöhnt, ehrlich gesagt, mehr zuzuhören als darauf zu antworten oder Vorschläge zu machen, weil ich habe mal das Gefühl, mein Papa braucht irgendwie diese Bestätigung, dass es okay ist, dass er einfach wahnsinnig traurig ist und dass es ihm viele Dinge schwerfallen. Und ja, wenn es dann um so praktische Sachen geht, dann übernehmen mein Bruder oder ich das. Aber dieses Zuhören habe ich das Gefühl, das ist gerade eigentlich das Wichtigste für ihn. Aber ich glaube, weil ich das auch so erlebe, ist es für mich viel wichtiger, wenn mir Freundinnen zuhören, als wenn mir jemand sagt: „Ja, geh doch zum Therapeuten“ oder so.
Ja, wenn du da deine Gesprächspartner für dich gefunden hast, aber viele haben das nicht, und viele wollen nicht in der Familie ständig das Thema wieder platzieren. Also, deswegen gibt es ja auch Coaches wie uns, die jetzt von neutraler Stelle einfach da sind, und vieles kann man an einem neutralen Ort auch besser platzieren, als wenn man das immer in der Familie platziert. Das stimmt. Wahrscheinlich ist es dann gerade auch manchmal schwierig: Eltern-Kind-Verhältnis, nicht wahr? Weil mein Papa sagt auch: „Ich möchte dich jetzt ja auch nicht nur belasten, ich möchte dich nicht noch trauriger machen.“ Er ist ja irgendwie immer noch mein Vater und möchte darauf achten, dass es mir gut geht, und ich glaube, da spricht etwas Wichtiges an, sich Hilfe von außen zu holen, von anderen, von Unbeteiligten, ja auch, wie ein Coaching oder Therapie möglich sein kann.
Ja, ich glaube auch von jemandem, der von außen auf die Sache drauf schaut, kann ja noch mal andere Impulse setzen, indem man die richtigen Fragen stellt. Und so könnten vielleicht neue Perspektiven entstehen, die man in der Familie gar nicht entwickeln kann, weil man ist ja immer so, es gibt immer so Triggerpunkte, die dann, kaum sagt man was, dann geht der andere schon auf die Barrikaden, weil er genau weiß, was jetzt dann wiederkommt. Also, das sind ja so Mechanismen und Muster, die sich so eingeprägt haben, und die gibt es halt an neutraler Stelle nicht, und da kann man wirklich ganz konzentriert bei sich bleiben und die Dinge mal von der anderen Seite beleuchten, was einem oft ganz gut tut, weil oft ist einem der Blick irgendwie so verstellt, wenn man so in so einem, ich sage mal, so einem Hamsterrad unterwegs ist, und wenn das mal angehalten wird, kann man mal neu drauf schauen.
Du hast ja vorhin auch schon gesagt, das ist gut, wenn man sich dann Hilfe sucht. Was würdest du denn so als ersten Schritt empfehlen? Weil zum einen ist es ja schwer erkennbar, dass man da drin steckt, und dann so einen großen Schritt, der vielleicht gar nicht so groß ist, aber diesen Schritt da herauszufinden, der ist manchmal eine ganz schöne Hürde.
Ja, das, glaube ich, ist so. Aber wenn man den, wie du sagst, wenn man mal den Schritt gemacht hat und man da mal sitzt und mal so ein paar so die ersten Sätze rauslässt, dann merkt man, wie erleichternd das ist und dass das eigentlich gar nicht so schlimm ist, weil der andere, du hast vorhin so schön gesagt, zuhören, und zuhören, das tut ein Coach. In erster Linie geht es ums Zuhören, und man merkt so, indem man Dinge ausspricht, wird es schon mal leichter. Ja, ich habe etwas ausgesprochen, und dann ist es mal weg von mir. Viele schreiben, so wie du, schreiben ihre Gefühle auf oder versuchen es so zu bearbeiten. Viele können das aber nicht. Und manchmal ist es einfach, man setzt sich hin und redet darüber und bekommt nicht gleich irgendwelche Bewertungen. Freunde sind ja oft so schnell mit Bewertungen da und braucht man vielleicht in dem Fall erstmal gar nicht, sondern möchte mal seine Dinge platzieren, und da ist jemand, der zuhört und vielleicht durch die richtigen Fragen so ein bisschen ja, annehmbare Hilfe gibt. Ich glaube, das ist wirklich ein ganz wichtiger Begriff: annehmbare Hilfe.
Was ist denn das?
Ist gar nicht so einfach zu definieren, weil für den einen ist es das und für den anderen ist es das, und dann ist es, das ist eine große Feinfühligkeit, die da gefragt ist, um diese Hilfe annehmbar zu machen, weil keiner will als bedürftig gelten. Bedürftigkeit ist nicht schön, aber ich habe gelernt, durch meine eigene Geschichte Hilfe anzunehmen, und deswegen mache ich auch das, was ich mache, und das hat mir extrem gutgetan. Ich habe gemerkt, indem ich mich an eine Therapeutin gewandt habe, wie gut mir das tut, dass ich nicht mehr alleine mit dem Problem bin. In der Familie konnte ich das gar nicht so gut platzieren, aber ich bin dann zu ihr hin und habe gemerkt, so ich kann jetzt da mal Ballast abwerfen. Zwar hat die Situation sich dadurch nicht verändert, aber mir ging es extrem besser.
Wenn wir vielleicht noch mal die Perspektive wechseln und quasi von den Freunden oder von den Außenstehenden, die ja gerne helfen wollen, die unterstützen möchten, aber das Gefühl haben, sie kommen nicht richtig ran oder sie können nichts tun, sie sind da irgendwie so hilflos. Gibt es einen Rat, den man geben kann, wie quasi Freunde, Bekannte den Personen helfen können?
Auch da, glaube ich, ist Zuhören erstmal das wichtigste Element, wie du auch gesagt hast, du wirst deinem Vater zuhören, weil ich kann mir ja nicht anmaßen, dem anderen Ratschläge zu geben und weiß gar nicht, ob das für ihn überhaupt gerade der richtige Moment, die richtige Situation ist. Also, ich glaube, wenn man einer Freundin signalisiert: „Schau, ich bin da, ruf mich an, wenn du mich brauchst, und ich höre dir zu.“ Ich glaube, das ist schon mal der erste Schritt, und damit fällt vielleicht so ein Gespräch überhaupt schon mal einfacher, einfach zu sagen: „Ich bin da“, und nicht jetzt anrufen und sagen: „Komm, mach dies und mach jenes und so.“ Ich glaube, das ist wahnsinnig anstrengend, wenn man ja so in seinem eigenen Thema da ist, weil wenn ich so das Gefühl habe, da ist eine Freundin, die wirklich mal zuhört ohne gleich in diese Bewertung zu gehen oder mit Ratschlägen daherzukommen. Macht man. Ich muss mich auch mal sehr zurückhalten, weil Ratschläge macht man ja gerne, aber wichtig ist, hinzuhören, was braucht denn der andere jetzt gerade in dem Moment? Vielleicht ist es kein Ratschlag, sondern es ist einfach nur: „Ich höre zu, ich bin da.“ Machen die Ratschläge so einen Erwartungsdruck, also einem selber, dass ich höre: „Ja, ich weiß, ich sollte das machen, aber ich kriege es nicht hin“, und: „Mist, jetzt bin ich auch noch selber schuld, weil es mir so schlecht geht, weil ich das einfach nicht hinkriege.“
Ich kann mir schon vorstellen, man fühlt sich dann noch schlechter, wenn man all die gut gemeinten Ratschläge irgendwie nicht umsetzen kann, weil einem vielleicht gerade die Kraft fehlt oder die Lust darauf oder es ist nicht das Richtige. Ich glaube, das ist echt falsch. Ich finde das ganz schön schwierig, einen Ratschlag zu geben, weil man manchmal das Gefühl hat, man hat eigentlich eine Idee, aber es kommt gar nicht an bei der Person. Also, wir haben beim Papa gesprochen, der sich einsam fühlt, und meine Vorschläge waren irgendwie so, ja eigentlich irgendwie ganz gut, aber trotzdem konnte er sie nicht annehmen und umsetzen. Wie gehst du denn damit um beziehungsweise welche Erfahrungen hast du da gemacht?
Ich glaube, eine ganz interessante Frage hier könnte sein: „Was brauchst du denn jetzt gerade?“ Also, was ist denn jetzt gerade dein Thema, und was brauchst du so, dass er so ins Reflektieren kommt, was bei ihm los ist und wo er die Not sieht bei sich selber, ohne dass du jetzt gleich mit einem Vorschlag daherkommst, sondern einfach erstmal hinhörst und siehst: „Da steht er gerade“, und dann kann man ja fragen: „Ja, Papi, oder wo kann ich dir denn dabei helfen?“ Also erstmal ihn seine Situation schildern lassen, wo er sich gerade befindet, und dann kannst du kommen und sagen: „Brauchst du denn da gerade an der einen oder anderen Stelle Hilfe von mir?“ Ich glaube, das wäre ein ganz guter Kommunikationsweg, um ihn mal ins Reden zu bringen und seine Situation zu beleuchten. Und du hörst zu, und dann auf der anderen Seite kannst du ja dann sagen: „Ja, wo kann ich dir denn da helfen gerade, oder kann ich dir überhaupt gerade helfen?“ Vielleicht, wie du sagst, vielleicht kann man ihm gerade auch nicht helfen. Muss er auch erstmal ein Stück weit alleine damit klarkommen, bevor wieder Hilfe, annehmbare Hilfe von außen angenommen werden kann. Immer so erstmal hinhören: „Was brauchst du denn gerade?“ Du hast das vorhin so schön gesagt, dass keine Hilfe ohne Auftrag. Ohne Auftrag, nicht wahr?
Und damit würdest du das Schema bedienen. Du hörst erstmal hin, hörst zu und fragst, ob du ihm helfen darfst. Und wenn er dir den Auftrag gibt, ich glaube, dann kann er sie auch annehmen, die Hilfe. Das ist eine ganz andere Situation, die du da mitbedienen kannst und ihm quasi einen Du hältst ihn irgendwo, ja, und er hat das Gefühl, er kann sich dir anvertrauen, und wenn er Hilfe von dir braucht, dann kann er sie auch äußern, und du kannst sie annehmen und kannst ihm versuchen dann zu helfen. Das ist, glaube ich, völlig ein Unterschied, als wenn ich sage: „Papi, mach das, mach doch das und das und das“, weil ich glaube, dass das gut ist für dich. Aber weißt du denn hundertprozentig, was gut ist für ihn?
Eben nicht. Genau. Und erstmal ihn kommen lassen. Und vielleicht ist nach dem Gespräch auch die Situation da, dass du ihm gar nicht helfen musst. Indem man es ausgesprochen hat, hat es vielleicht schon für sich auch gelöst. Heißt immer, die Klienten tragen die Lösungen in sich. Es ist nur gerade verstellt oder nicht erreichbar, weil einfach zu viel passiert ist. Also nicht spürbar, was brauche ich denn jetzt gerade, so dass ich das erstmal im Reden lösen kann.
Das ist ja auch etwas, was im Miteinander von vielen Angehörigen oder wie ihr es habt, in Schulungen, in Angehörigengruppenkursen tatsächlich dann zutage tritt, nicht wahr, dieses Miteinander sich auch austauschen und auch reflektieren können und vielleicht macht es das ein bisschen klarer. Also, in meiner Gruppe zum Beispiel, wenn ich merke, da ist so ein Thema, was bei einer Person so total präsent ist, dann kann man ja dieses Thema in die Gruppe geben, und dann sitzt quasi die eine da, die dieses Thema reingegeben hat, sitzt da, und die anderen geben einfach aus ihrer Perspektive mal so Ideen rein. Ja, und du kannst dann da sitzen und kannst dir überlegen, welche Idee wäre denn jetzt für mich passend, und wenn dann mehrere da sitzen, kann das sehr, sehr wertvoll sein, weil dann kannst du dir als Fragestellende heraussuchen, welche Idee ist jetzt in meiner Situation okay für mich oder gut für mich, und kann da unheimlich viel lernen, ohne dass die anderen jetzt beleidigt sind, weil ihre Ideen nicht aufgenommen sind, aber nicht jede Idee ist für den anderen gut. Also, das ist auch so eine ganz tolle Methode, einfach so ein Thema in die Runde zu geben und dann mal von vielen zu hören, wie sehen die denn das? Und indem ich das höre, reflektiere ich ja schon mit meinen eigenen Gedanken, und da überlege ich ja, wie würde ich das machen, das ist ja eine tolle Idee, so könnte ich es ja machen oder das hilft mir oder das hilft mir gar nicht, weil falscher Ansatz ohne dass man da überfordert wird, sondern man hat quasi einen Blumenstrauß, aus dem man auswählen kann, und so etwas kann einfach nur in der Gruppe passieren.
Wenn du jetzt von Gruppen sprichst, heißt das, man trifft sich immer physisch und miteinander, oder siehst du da auch Möglichkeiten in der digitalen Welt, in der Online-Welt? Du hast von Community gesprochen, das ist ja wahrscheinlich auch nicht immer ein „wir treffen uns zu zweit irgendwo“, sondern vielfältige Möglichkeiten des Miteinanders. Ja, Gott sei Dank haben wir die Möglichkeiten, und seit der Pandemie ist uns das ja wirklich in den Schoß gelegt worden. Wir machen eigentlich zu 90 % alles online, weil es spart Zeit, die Menschen können zu Hause bleiben, sie müssen nicht ewig fahren, es ist für den Therapeuten einfacher, es ist einfach ein riesiger Zeitersparnis, und wir merken auch, dass das Medium online super gut funktioniert und dass man trotz der Entfernung eine Nähe herstellen kann, die manchmal ausreicht. Ich meine, ich bin ein großer Fan von Präsenzcoaching, weil es ist eine andere Energie da, wenn man den Menschen gegenüber sitzt, aber es hilft, wenn es anders nicht geht, und es entsteht, ich finde, großartige Nähe im Online-Austausch. Deswegen sind auch alle unsere Angebote eigentlich online. Und es vernetzt Familien, die aus verschiedenen Orten oder von verschiedenen Orten her die Sorgearbeit machen. Also, es vernetzt Geschwister. Wir haben ganz viele Geschwisterpaare, die zum Beispiel in einer Onlinegruppe gemeinsam über dieses Thema reden, und dem anderen mitzuhören, redet man sehr viel reflektierter und anders miteinander, als wenn man alleine als Geschwister zusammen sitzt, weil da kommen dann wieder diese Muster hoch, und indem man so eine Art Zuhörerschaft hat, benimmt man sich doch ein bisschen anders.
Ich könnte mir vorstellen, dass man auch einfach über andere Themen spricht, nicht wahr? Also, ich weiß, bei uns, mein Bruder und ich hier funktionieren eigentlich ziemlich gut, aber es geht sehr viel um so praktische Dinge, die gemacht werden müssen, Dinge, die gelöst werden müssen. Dieses: „Wie geht es dir damit? Was brauchst du?“ Dafür nehmen wir uns ganz, ganz selten die Zeit.
Fällt auch oft hinten runter. Das ist schade. Und das passiert eben in diesen Gruppen. Da geht es eigentlich fast nur ausschließlich um diese emotionalen Dinge. „Was brennt mir auf der Seele und was tut mir weh, was tut mir nicht weh? Was tut mir gut, was tut mir nicht gut?“, um einfach diese Dinge aussprechen zu können in der Gruppe und dann das Feedback zu bekommen, ist wirklich ein Mehrwert. Also, an dieser Stelle unbedingt die Ermutigung: Probiert das einfach mal aus und sucht euch ein Angebot aus. In den Shownotes findet ihr die Termine und die Links zu den Anmeldungen von Desideria oder eben auch zu anderen Angeboten, die als Gesellschaften. Genau. Sucht euch Menschen in einer ähnlichen Situation oder die eben mal in dieser Situation waren oder jemand Außenstehenden wie bei einem Coaching, um nicht mehr so alleine zu sein, einfach mit diesen Themen auszusprechen, wie es euch geht.
Und dann sollten wir nicht vergessen zu erwähnen, dass es um einen besonderen Tag geht auch, den wir hier ankündigen wollen. Demenz Meet am 4. Mai. Da geht es um Austausch, ganz besonderen Austausch und um viele mutige Angehörige, die ihre Geschichten erzählen und auch damit auf die Bühne gehen, was ich großartig finde, weil es nahbarer geht es schon gar nicht mehr, und da kann man ganz, ganz viel mitnehmen, aber auch in den Pausen kann man sich mit anderen bilateral austauschen. Das muss nicht jeder auf die Bühne, sollte auch nicht jeder auf die Bühne. Das würde, glaube ich, das Ganze etwas sprengen, den Rahmen. Aber ich finde es einen tollen Tag, und es kommt viel, viel Positives dabei rüber.
Genau. Am 4. Mai in München. Den Link zum Programm und zu den Tickets findet ihr auch in den Shownotes. Ja, wir stecken mitten in den Planungen. Ich freue mich da sehr drauf. Ich finde das Demenz Meet, seitdem ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal in Zürich dabei war, wirklich so etwas Besonderes, weil einfach die Menschen mit Demenz und die Angehörigen im Zentrum stehen. Also, ganz viele von ihnen auf der Bühne stehen, aber auch in den Vorträgen und den Beratungen geht es eigentlich immer darum, und dieses Miteinander um diese emotionale Seite des Pflegens und Begleitens, die oft gar nicht so ein Thema ist oder über die man nicht spricht, aber die doch einfach sehr beschäftigt und mitunter auch belastet.
Genau. Und wir schließen ja den Tag mit einem Konzert ab, und wer so etwas noch nicht erlebt hat, der darf dann gerne dabei sein, wenn man gemeinsam Lieder singt und das gemeinsam erspürt, was da für eine tolle Energie im Raum ist. Also, ich kann es wirklich nur jedem empfehlen: Kommt in die Hochschule für Philosophie nach München.
Ja, unbedingt. Dann war es das mit dieser Folge. Vielen Dank, dass du dabei warst. Die Desiderie hat mir voll Spaß gemacht, und ich nehme auch richtig viel mit, dass das Zuhören wichtig ist und Sprechen und sich Menschen suchen, die in einer ähnlichen Situation sind, weil die einfach ein besonderes Verständnis dafür haben. Absolut. Mein Motto ist ja wirklich: Reden hilft, sonst geht es einfach nicht. Und wenn man sich das beherzigt, dann kann vieles vielleicht leichter werden. Das hoffe ich für alle, die uns zuhören.
Ja, vielen Dank. Danke auch an Valentin Ramm, der uns wie immer bei der Technik unterstützt hat, und ja, schreibt uns gerne Feedback, Kommentare zu dieser Folge oder was euch vielleicht auch sonst so unter den Nägeln brennt. Ich freue mich, wenn ihr beim nächsten Mal wieder dabei seid. Bis dahin, eure Peggy, und danke dir, Desiderie. Gerne. Tschüss.