
Familie
Familie spielt eine zentrale Rolle im Leben von Menschen mit Demenz. Sie bietet eine emotionale Stütze, ein organisatorisches Netzwerk und ist oft als hauptverantwortlich für die Pflege. Doch die Diagnose Demenz stellt Familienmitglieder vor tiefgreifende Herausforderungen: Gefühle von Trauer, Schuld, Überforderung und Liebe liegen eng beieinander. Die Frage lautet oft: Wie schaffen wir das gemeinsam als Familie bei Demenz?
Wird bei einem Partner Demenz diagnostiziert, war die Veränderung meist schon länger spürbar. Der Betroffene hat die ersten Symptome oft verheimlicht, etwa wenn er die falsche Autobahnausfahrt nimmt oder Bekannte nicht wiedererkennt. Die Angehörigen geraten nun in ein Wechselbad der Gefühle: Zuneigung und Hilflosigkeit, Verantwortung und Erschöpfung.
Was Demenz mit Beziehungen macht
Beide Seiten, Betroffene und Angehörige, haben Angst vor dem, was kommt. Der gesunde Partner übernimmt neue Aufgaben, oft ohne Vorbereitung. Schlaflosigkeit, Kommunikationsprobleme und Verhaltensveränderungen belasten zusätzlich. Es kann passieren, dass der erkrankte Mensch seine Angehörigen nicht mehr erkennt, sie beschuldigt oder beschimpft, auch in der Öffentlichkeit.
Trotz allem kann Demenz Beziehungen auch vertiefen. Gemeinsame Erinnerungen, emotionale Nähe und kleine Glücksmomente sind möglich, wenn beide Seiten achtsam bleiben.
Elf hilfreiche Tipps für Familie bei Demenz
Die Forscherin Gabriele Wirz (Universität Jena) gibt in einem Interview mit dem demenzjournal konkrete Empfehlungen:
- Auf Selbstfürsorge achten
Angehörige dürfen sich nicht selbst vergessen. Sie sollten regelmäßig überprüfen, wo sie sich Freiräume schaffen können, etwa für einen Spaziergang, ein Treffen mit Freunden oder einen Moment der Stille. Auch kleine Auszeiten helfen, körperlich und seelisch gesund zu bleiben. - Sich selbst Anerkennung geben
Menschen mit Demenz können oft keine Wertschätzung mehr ausdrücken. Und nicht immer kommt diese von anderen Familienmitgliedern. Deshalb sollten sich Pflegende selbst loben und bewusst kleine Belohnungen gönnen, beispielsweise ein schönes Essen, eine Massage oder einen freien Nachmittag. - Erschöpfungssignale ernst nehmen
Über 50 % der pflegenden Angehörigen leiden unter seelischen Belastungen wie Schlafstörungen, Grübeln, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken. Schon erste Anzeichen sollten ernst genommen werden. Psychologische Unterstützung oder Beratungsgespräche können helfen, bevor die Belastung zu groß wird. - Geduld trainieren
Wenn das Schuheanziehen oder Ankleiden lange dauert, hilft es, die Zeit neu zu nutzen. Atemübungen, kleine Dehnungen oder bewusste Wahrnehmungsübungen helfen dabei, die innere Unruhe zu regulieren und Geduld zu entwickeln. - Negative Gedanken zulassen
Gedanken wie „Ich kann nicht mehr“ oder „Ich wünsche mir, dass es bald vorbei ist“ sind menschlich. Sie zeigen, wie erschöpfend die Situation ist und dass dringend Entlastung nötig ist. Es hilft, offen über solche Gedanken zu sprechen. - Mit der eigenen Gereiztheit klarkommen
Wenn man gereizt reagiert, weil die gleiche Frage zum hundertsten Mal kommt, ist das normal. Aber es hilft, Distanz zu gewinnen: kurz das Zimmer verlassen, kaltes Wasser über die Hände laufen lassen und tief durchatmen. Das schützt beide Seiten. - Auf Aggressivität reagieren
Aggression ist oft Ausdruck von Überforderung, Angst oder Verzweiflung. In solchen Momenten ist Deeskalation gefragt: ruhig bleiben, mit klarer Stimme sprechen und Grenzen setzen, aber ohne Vorwürfe. Falls nötig: räumliche Distanz schaffen. - Mit Ekelgefühlen umgehen
Inkontinenz oder das Reinigen von Toilette und Körper kann Angehörige stark belasten. Praktische Hilfen wie Handschuhe oder Duftsprays können erleichtern. Wenn es nicht mehr geht: Hilfe von außen holen, z. B. durch professionelle Pflege. - Einfühlung üben
Nicht jeder Mensch mit Demenz möchte beschäftigt werden. Manche brauchen Ruhe. Angehörige sollten lernen, auch diese Bedürfnisse wahrzunehmen und zu akzeptieren und dabei nicht von sich selbst auf den anderen schließen. - Professionelle und ehrenamtliche Hilfe annehmen
Tagespflege, ambulante Pflegedienste oder Ehrenamtliche können entlasten. Auch wenn die Organisation am Anfang Mühe macht: Es lohnt sich, Angebote auszuprobieren. Manchmal genießen es auch die Erkrankten, mal rauszukommen. - Die Beziehung bewusst pflegen
Auch kleine gemeinsame Rituale wie das Betrachten alter Urlaubsfotos, Spaziergänge oder Lieblingsmusik können emotionale Nähe fördern. Studien zeigen, dass Musik das Wohlbefinden für beide Seiten stark verbessert.
Wenn es zu Hause nicht mehr geht
Inkontinenz, nächtliche Unruhe oder starke Wesensveränderungen können die häusliche Pflege an ihre Grenzen bringen. Die Entscheidung für ein Heim fällt schwer, ist aber oft notwendig. Viele Angehörige empfinden sie als Scheitern, doch das Gegenteil ist der Fall: Der Umzug kann beiden helfen.
Die Vorstellung, dass der Partner nun zum letzten Mal neben einem einschläft, ist emotional belastend. Doch Heime bieten professionelle Strukturen, die auch für die Familie entlastend wirken. Wichtig ist, sich frühzeitig zu informieren, noch bevor eine Notlage entsteht. Angehörigengruppen können ebenfalls eine wertvolle Unterstützung sein.
Wenn Entscheidungen schwer werden
Auch nach dem Umzug ins Heim bleiben viele Angehörige eng eingebunden, etwa durch Besuche, Gespräche mit dem Personal und gemeinsames Entscheiden. Doch was, wenn es Konflikte gibt? Wenn z. B. Medikamente infrage stehen, die der Patient früher abgelehnt hat? Oder wenn Familienmitglieder uneinig sind, ob der aktuelle Pflegeplatz der richtige ist?
Manche Konflikte sind komplex und erfordern klare rechtliche Regeln, doch je später sie geregelt werden, desto schwieriger wird es. Denn dann geht es oft nur noch darum, wer Recht hat und nicht mehr darum, was gut für den Erkrankten ist.
Beispielhafte Fragen aus der Praxis
- Ein Ehepaar ist getrennt, nicht geschieden. Der Mann will seine Frau in ein billigeres Heim verlegen – darf er das?
- Eine Bewohnerin kehrt nach Wochenenden mit blauen Flecken zurück – darf das Heim den Ehemann infrage stellen?
Diese Beispiele zeigen: Familienbeziehungen sind zentral, aber nicht immer konfliktfrei. Wichtig ist, früh Verantwortung zu klären, Patientenverfügungen und Vollmachten zu erstellen und offen zu kommunizieren.
© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria
Weitere Fragezeichen im Kopf?
Desideria bietet Zahlreiche Angebote für Familien im Umgang mit Demenz. Die verschiedenen Möglichkeiten bieten eine Hilfe für unterschiedlichste Bedürfnisse der Angehörigen, sei es Informationssuche, Austausch oder professionelle Unterstützunng.



