Transkript der Folge Pflege aus der Ferne
Es ist immer ein gefühlter Kompromiss, der in welche Richtung auch immer mit einem unguten Gefühl endet, weil ich eigentlich das Gefühl habe, ich müsste viel öfter da sein, um wirklich richtig gut helfen zu können. Ich habe oft auch das Gefühl, dass meine Mama vor allem Nähe braucht. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Leben, lieben Pflegen, der Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria Care. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz.
Hallo und willkommen. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin auf Alzheimer und Wir. Anja und ich widmen uns heute dem Thema Pflegen aus der Ferne, denn viele Angehörige leben nicht vor Ort, um ihren Menschen mit Demenz zu helfen. Ich selber kenne die Herausforderung und fühle mich oft hin- und hergerissen und frage mich, wie man aus der Ferne tatsächlich gut helfen kann. Doch bevor wir anfangen, möchten wir noch Dankeschön sagen. Vielen Dank an die Edelshaberland Wagner Stiftung. Sie unterstützt uns finanziell bei der Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank.
Peggy, die Folge heute wird im Prinzip sehr stark deiner persönlichen Situation gewidmet sein, nämlich Pflege aus der Ferne. Dann stellt sich gleich die Frage: Ist es möglich oder was ist Pflegen aus der Ferne? Das ist eine gute Frage. Wie soll das eigentlich gehen? Für die Pflege muss man eigentlich vor Ort sein und bei den Menschen sein. Bei uns ist es so, meine Mama lebte etwa 400 km entfernt und mein Papa ist bei ihr. Ich habe lange auch nur ihn als pflegenden Angehörigen bezeichnet, weil es lange auch gar nicht wirklich Pflege in dem Sinne war, sondern Unterstützung oder einfach da sein für meine Mama. In den letzten Jahren hat der Unterstützungsbedarf zugenommen und auch klassische Pflegeaufgaben sind dazugekommen, wie Medikamente richten oder Strümpfe anziehen, duschen, Grundpflege. Mittlerweile spreche ich auch von mir manchmal als pflegende Angehörige, weil ich vielleicht die Grundpflege nicht mache, aber schon Dinge aus dieser Pflegewelt übernehme. Ich kenne die Situation gerade eher genau gegenteilig. Ich habe sehr nah an meinen Eltern gewohnt und sie dann sogar noch näher an mich rangeholt, als sie aus ihrem Haus ausgezogen und in eine Wohnung bei uns in unserem Wohnhaus eingezogen sind. Wie erlebst du diese Situation, so weit weg zu sein, dass dich und deine Eltern 400 km trennen?
Es ist immer ein gefühlter Kompromiss. Der in welche Richtung auch immer mit einem unguten Gefühl endet, weil ich eigentlich das Gefühl habe, ich müsste viel öfter da sein, um wirklich richtig gut helfen zu können. Ich habe oft auch das Gefühl, dass meine Mama vor allem Nähe braucht. Es ist natürlich gut, wenn ich Arzttermine organisiere oder etwas nachfrage, aber was ihr eigentlich am meisten guttun würde, wäre Menschen, ihre Familie um sie herum. Deswegen fahre ich immer mit einem schlechten Gewissen weg, weil ich denke, sie bräuchte eigentlich noch mehr Unterstützung und ich fahre trotzdem. Es ist so, dass deine Mutter mit deinem Vater zusammenlebt und dein Vater eigentlich die Hauptpflegeverantwortung hat.
Deine Sorge richtet sich zum einen stark auf deine Mutter, wie ich das gerade höre. Richtet sie sich auch auf deinen Vater?
Ja, sie richtet sich mittlerweile stark auf beide. Anfangs war es wirklich hauptsächlich so: Was braucht die Mama und was kann ich ihr vielleicht mitbringen oder was kann ich mit ihr machen, wenn ich komme? Wie kann ich sie unterstützen? Aber umso mehr die Aufgabe oder die Verantwortung für meinen Papa zugenommen hat, umso mehr fühle ich mich auch verantwortlich, ihn mit zu unterstützen oder zu stärken, weil ich sehe, was für eine Aufgabe er da leistet.
Es ist eine Doppelrolle. Ich will für beide da sein, bin aber weit weg und das ist ganz schön schwierig. Wie gehst du damit um? Mit dieser Herausforderung, diesem Wunsch, einerseits da sein zu wollen, und andererseits bist du beruflich hier eingebunden und hast hier auch deine Familie. Eine Zeit lang habe ich gedacht, ich muss jede freie Minute oder meine freien Tage, oder wenn ich Homeoffice machen kann, das so verteilen, dass ich möglichst viel bei meinen Eltern sein kann. Ich bin letztes Jahr im Sommer sehr oft zu ihnen hochgefahren und war dort, und bin dann von dort wieder voll in diese Familiensituation mit den Kindern gekommen und habe dann irgendwann gemerkt, wie kaputt mich das gemacht hat, weil ich auf beiden Seiten geholfen und für mich aber gar nichts mehr übrig gelassen habe.
Ich habe immer noch trotzdem dieses schlechte Gewissen mit mir herumgetragen und gedacht, ich mache doch trotzdem noch nicht genug. Dann hat mir eine gute Freundin gesagt: „Peggy, sag mal ganz realistisch, du hast drei Kinder, du hast da auch eine Verantwortung, du musst darauf achten, dass es dir gut geht. Schau mal, wie die Situation tatsächlich ist und dann leiste eben das, was du leisten kannst.“ Sie hat mir vor Augen geführt, das noch einmal realistisch einzuschätzen, was ich tatsächlich leisten kann. Und auch einzuschätzen, wenn ich tatsächlich dort wäre. Ich habe schon immer mal diesen Gedanken gehabt, hinzuziehen, obwohl es eigentlich keine wirkliche Option ist. Aber diese Möglichkeit durchzuspielen, hat mir geholfen zu sehen: Auch wenn ich dort mit meinen Kindern leben würde, könnte ich trotzdem nicht die Pflege leisten und 100% für meine Mama da sein, einfach weil mich die Mädchen natürlich brauchen. Genau. Ich glaube, da sind wir dann tatsächlich schon bei dem Punkt, wo fängt Distant Care eigentlich an? Ist es quasi schon jenseits der Haustür?
Und ist es vielleicht schon schwierig, drei Ecken weiter weg zu wohnen und nicht immer da sein zu können, nicht immer helfen zu können? Oder ab welcher Kilometerzahl fängt es eigentlich an? Das finde ich ganz spannend, dass du das berichtest, weil ich das tatsächlich sowohl in den Angehörigengruppen ganz oft höre, als auch in den Seminaren. Und da haben wir tatsächlich auch immer wieder Geschwisterpaare, die unterschiedlich nah und weit weg wohnen. Ich merke, eigentlich ist es ein nicht aufzulösendes Dilemma. Man fühlt sich immer nicht ganz zulänglich, beziehungsweise es gibt diese perfekte Lösung nicht. Vielleicht ist es einfach auch ein Teil der Erkenntnis zu sagen, perfekt gibt es hier nicht, sondern es reicht gut genug. Ich tue das einfach mit dem Wunsch, Gutes zu bewirken, und gleichzeitig muss ich aber auch schauen, wo meine Grenzen sind. Egal wie ich es machen werde, es wird sich wahrscheinlich immer so ein bisschen anfühlen, als ob es nicht reichen würde.
Wahrscheinlich hast du da recht. Obwohl ich mir denke, wenn ich bei meinen Eltern um die Ecke wohnen würde, hätte ich die Chance, in manchen Situationen einfach mal vorbeizufahren, wie jetzt, als es um die Coronaimpfung ging, zu sagen: „Okay, ich mache das jetzt einfach mal schnell für euch.“ Das ist natürlich etwas anderes, wenn ich aus 400 km Entfernung überlege, wann fahre ich jetzt hin, wie könnte ich das regeln?
So kleine Dinge bekommt man, glaube ich, einfach besser hin, wenn man dort lebt, auch wenn man natürlich Abstriche machen muss. Eine Sache ist auch, dass ich aus der Ferne manche Dinge nicht so gut einschätzen kann. Wie geht es ihnen tatsächlich? Was für Probleme gibt es? Nun habe ich das Glück, dass meine Mama nicht alleine lebt, sondern dass mein Papa da ist und das einschätzen kann. Ich kann mich eigentlich auch darauf verlassen, dass er das einschätzt und weiß. Manchmal haben wir da auch einen ganz unterschiedlichen Blick. Ich selber weiß nicht genau, wo jetzt das Problem ist, und ich hatte schon Situationen, wo ich dachte, es geht eigentlich oder es passt. Dann war ich da, und wenn ich bei meinen Eltern bin, wohne ich auch dort und bekomme dann plötzlich alles mit, wo tatsächlich die Probleme sind. Ich war dann zum Beispiel total überrascht, dass das Treppensteigen so ein wahnsinniges Problem geworden ist und meine Eltern abends eine Stunde lang standen, überhaupt nicht hochgekommen sind. Ich habe zu meinem Papa gesagt: „Was ist denn hier?“ Und er: „Das geht schon länger so und es geht abends nicht mehr.“ Ich habe gesagt: „Da musst du doch etwas sagen, dann können wir etwas ändern.“ Das sind halt Dinge, die bekommt man nicht mit, wenn man in der Ferne ist.
Die Erkenntnis ist ein bisschen: Ich verpasse immer etwas und muss mich eigentlich auf die Wahrnehmung und Einschätzung des anderen verlassen und auch einschätzen können, was mir berichtet wird, was nicht berichtet wird und was ich brauche, um eventuell von so weit weg die Situation gut einschätzen und entscheiden zu können, wann es wirklich Hilfe braucht. Und Unterstützung, und was wäre vielleicht auch eine Einmischung von außen. Zum Beispiel ist das auch etwas, was ich immer wieder gespiegelt bekomme, dass die Hilfsangebote von Menschen, die sehr weit weg sind, auch als nicht passend, adäquat, übergriffig wahrgenommen werden von den Menschen, die direkt vor Ort sind und vielleicht sogar als „Reinpfuschen“ empfunden werden und als totale Fehleinschätzung der Situation gewertet werden. Ich glaube, das ist die Herausforderung, letzten Endes zu schauen, wie da der Abgleich der Wirklichkeiten ist. Man bekommt natürlich die Dinge nicht so gut mit, und auch wenn man nicht da ist, macht man sich Gedanken, was man helfen könnte und was es an Möglichkeiten gibt. Ich kenne schon auch die Situation, dass ich, wenn ich dann zu meinen Eltern fahre, natürlich ganz viel machen und ganz viel helfen möchte und oft auch eine bestimmte Idee gehabt, was jetzt sinnvoll wäre, wenn mein Papa immer sagt, das mit den Papieren ist so anstrengend und dass er immer alles einreichen und sortieren muss.
Dann kann es passieren, dass ich sage: „Komm, ich helfe dir jetzt, wir machen das alles“, und es für ihn aber eigentlich die völlig falsche Unterstützung ist. Er sagt: „Nee, das will ich jetzt überhaupt nicht machen.“ Du hast ja das schöne Beispiel schon einmal genannt von den Hecken, die dann geschnitten werden. Ich habe mir auch gedacht: „Ich bin hier und ich möchte helfen.“ Wie gehe ich jetzt vor, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, weil wir schon manchmal in Diskussionen gekommen sind, weil er enttäuscht war oder das Gefühl hatte, wir schätzen nicht wert, was er tut. Ich sagte: „Nein, natürlich, du machst das super und wir möchten doch nur helfen, deswegen kommen wir mit Ideen.“ Dann habe ich gesagt: „Ich bin jetzt da, ich habe einen Tag Zeit, womit kann ich dir denn heute helfen? Was wäre denn für dich eine Entlastung?“ Und dann hat mein Papa gesagt: „Wir könnten draußen die Hecken schneiden.“ Ich sagte: „Ich bin doch hier. Ich kann etwas mit Mama machen. Wir können etwas machen.“ Er sagte: „Das fände ich jetzt schon gut, wenn wir die Hecken machen.“ Und dann habe ich überlegt: Ist das jetzt tatsächlich eine wirkliche Unterstützung für meine Mama? Braucht sie das? Nein, braucht sie eigentlich nicht.
Aber es ist tatsächlich eine Unterstützung für meinen Papa gewesen, und ich habe dann gedacht: „Wenn ich ihm eine Last abnehme, dann fällt es ihm vielleicht auch wieder leichter, sich um meine Mama zu kümmern.“ Dann sind wir in den Garten gegangen und haben einen schönen Gartenstuhl hingestellt. Die Mama hat sich reingesetzt, hat ein bisschen geschlafen und hat uns zugeschaut, und wir haben die Hecken geschnitten. Ich habe danach gedacht: Das war jetzt nicht unbedingt das, was Hilfe für Menschen mit Demenz ist, aber ich glaube trotzdem, dass es ihr zugutegekommen ist, weil sie vielleicht auch die Harmonie zwischen dir und deinem Vater wahrnehmen konnte und dabei sein durfte und die gute Atmosphäre wahrnehmen konnte. Die Frage ist nur, wie es dir dann mit dem Bedürfnis nach Nähe und geteilter Zeit mit deiner Mutter ergangen ist? Das wird dadurch natürlich nicht abgedeckt. Was ich eigentlich sehr genieße oder was ich schon immer versuche zu machen, wenn ich bei meinen Eltern bin, ist, dass ich tatsächlich auch mit meiner Mama einmal nur eine Runde spazieren gehe. Und mein Papa sagt: „Nein, ich gehe jetzt mit der Mama.“ Ich merke, es fällt ihm dann auch ein bisschen schwer loszulassen. Ich merke aber auch, wie schön das eigentlich für mich und für sie ist, dass wir einmal nur Zeit zu zweit haben. Weil das geht tatsächlich oft unter. Es geht dann viel um Orgakram und Dinge, die erledigt werden müssen. Aber dass man tatsächlich, wenn ich hinfahre, dass ich mir auch die Zeit nehme, einfach neben ihr zu sitzen, daran muss ich mich manchmal erinnern.
Du hast schon gesagt, dass es schwer ist, einen Überblick zu bekommen, was gerade notwendig ist. Hast du da eine Strategie in der Kommunikation mit deinem Papa entwickelt oder wie versuchst du, einen Überblick zu bekommen? Zum einen ist es der direkte Austausch mit ihm, also dass wir telefonieren. Das ist das, was wir machen und ich bleibe auch bei bestimmten Sachen konkret dran und hake immer mal wieder nach. Was ich sonst total wichtig finde, gerade wenn man nicht da sein kann, ist, dass man auch Kontakt zu einem Netzwerk aufbaut, das um denjenigen beziehungsweise auch um den pflegenden Angehörigen existiert. Man bemüht sich auch, mit denen zu kommunizieren. Das habe ich lange nicht so gemacht. Ich habe schon mitgeholfen, das damals anzuleiern, zum Beispiel bei der Tagespflege, und habe mir die mit angeschaut. Dann ist das aber so vor sich hingelaufen, und das hat dann erst in der Coronazeit angefangen, dass die mich einmal angerufen haben und ich auch einmal länger mit ihnen gesprochen habe. Das hat mir auch noch einmal andere Seiten gezeigt oder gezeigt, was wichtig wäre, welche Unterstützung die Mama vielleicht braucht, welche Unterstützung meine Eltern brauchen.
Gleichzeitig gibt mir das aber auch die Gewissheit, dass da noch jemand ist, den ich auch ansprechen könnte, wenn ich das Gefühl hätte, ich bin mir unsicher. Es ist wie eine zweite Meinung. Deine Idee ist, dass du letzten Endes vielleicht nicht nur einen Ansprechpartner vor Ort hast, sondern mehrere verlässliche Partner hast, mit denen du die Dinge besprechen kannst und im Zweifel vielleicht mehrere Punkte, an denen du etwas impulsieren oder anstoßen kannst. Total. Das war auch der Ausschlag dafür, dass wir den Pflegedienst letztes Jahr ins Haus geholt haben, weil zwingend notwendig vom Pflegerischen war es vielleicht gar nicht unbedingt, und mein Papa hat auch lange gesagt: „Das kann ich doch“ oder „Die müssen doch nicht kommen.“ Für mich war aber ein ganz starkes Argument, dass wenn etwas mit meinem Papa wäre und er ausfallen würde, ich dann nicht mehr möchte, dass meine Mama im Krankenhaus oder wo auch immer sein muss und niemanden kennt, sondern dann ad hoc Menschen da sind, die sie kennen und sie auch so eine Situation schon einmal geübt hat oder andere vertraute Menschen um sich hat, die sich um sie kümmern. Ich habe das damals auch ganz offen besprochen; wir haben das in der Familie sehr offen besprochen.
Mein Papa, mein Bruder und ich haben gesagt: „Der lebt genauso weit weg wie ich. Selbst wenn wir sofort ins Auto steigen, wir sind in vier Stunden erst da.“ Wir brauchen irgendwie Sicherheit. Und letztlich tut es auch meinen Eltern jetzt gut. Es hat sich eingespielt, die kommen regelmäßig und helfen eben das, was gerade anliegt. Das ist nicht viel, aber es ist trotzdem einfach gut, da auch noch andere Unterstützer im Netzwerk zu haben. Die dich direkt kontaktieren können, die du aber auch direkt kontaktieren kannst. Und die im Zweifel, wenn ein Notfall oder eine Notsituation entsteht, die Zeit überbrücken, bis du oder dein Bruder vor Ort ist. Super, super, wenn ihr das so hingekriegt habt und auch alle an dieser Lösung mitgearbeitet habt und das jetzt auch akzeptiert ist.
Wir hatten tatsächlich unterschiedliche Meinungen dazu. Aber ich glaube, es ist einfach gut, wenn man offen ist und sagt, warum man das will, und nicht das Gefühl gibt, es sei, weil derjenige, der dort lebt, es nicht gut genug macht. Du hast ganz zu Beginn unseres Gesprächs schon gesagt, es ist auch eine innere Zerrissenheit, in der man wahrscheinlich permanent lebt. Gibt es denn da eine Strategie, wie du damit umgehst? Diese Zerrissenheit ist eher so: Wenn ich weg bin von ihr, denke ich immer, ich habe ein schlechtes Gewissen, fast so nach dem Motto: Ich müsste eigentlich hinfahren oder ich bin traurig, nicht da zu sein. Und wenn ich da bin, ist es eher ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber oder ich vernachlässige, was auch immer. Das Wegfahren finde ich immer schwierig, also tatsächlich loszulassen oder zu denken: Kann ich jetzt mit gutem Gewissen fahren? Oder ist es nur meine persönliche Traurigkeit? Die natürlich immer eine Rolle spielt, oder gibt es tatsächlich etwas, das mir Sorge macht? Meistens ist es diese persönliche Traurigkeit, die einfach da ist, weil ich nicht weiß, wann wir uns das nächste Mal sehen, ob es in zwei Wochen, in vier Wochen oder in sechs Wochen ist, wie es der Mama bis dahin geht. Seltener zum Glück dieses „Ich kann nicht weg, weil sonst geht alles den Bach runter.“ Es ist ein Abwägen: Was muss ich jetzt aushalten, weil es gar nicht anders geht, und wo grenze ich mich ab, indem ich vielleicht noch einmal schaue, gibt es da wirklich einen echten Grund, warum ich mich jetzt sorgen müsste? Gibt es eigentlich auch etwas Positives, wenn ich das jetzt einmal so fragen darf? Ich kann mich daran erinnern, das ist natürlich keine wirkliche Distant Care Situation, aber meine Schwester hat ungefähr 40 km entfernt gewohnt und ich habe gefühlt 3 m entfernt gewohnt. Ich habe meine Schwester tatsächlich manchmal um die Situation beneidet, weil sie wirklich wegfahren konnte. Das konnte ich in dem Sinne nicht. Gibt es etwas, wo du sagst, ich kann dem auch etwas abgewinnen?
Zum einen ist es dieses noch einmal darüber nachdenken können, auch so reflektieren über Situationen, die es mit der Alzheimererkrankung gab. Ich glaube, diese Distanz hilft schon, weil man einfach komplett aus der Situation draußen ist, die Dinge noch einmal anders zu sehen oder anders zu verstehen. Ich gehe dann schon eher mit einem Schwung manchmal rein, oder wenn ich wiederkomme, bin ich auch bereit, Dinge noch einmal auszuprobieren oder zu sagen: „Ich helfe der Mama jetzt beim Essen.“ Momentan wird es immer schwieriger und sie braucht wirklich total viel Unterstützung. Ich merke, mein Papa hat sich da manche Dinge eingeschliffen, und wenn ich lange nicht da war und dann komme, dann habe ich dann mehr diese Motivation: „Jetzt probieren wir es noch einmal.“ Dann bin ich einfach geduldiger, weil ich diesen Akku aufladen konnte, den man oft nicht aufladen kann, wenn man dauerhaft in der Situation ist. Das ist vielleicht auch etwas, was wir Hörerinnen und Hörern mitgeben können, die in der Distant Care Situation sind. Auch diesen positiven Effekt, den man von außen mit einbringen kann, zu sehen und zu sagen: Diese Rolle ist gleichwertig in dem, was sie an Lösungen und guten Impulsen einbringen kann. Ich kann mich eben auch daran erinnern, dass meine Schwester eine Bereicherung war und für mich ein doppelter Boden, weil ich mir immer gedacht habe: Ich kann sie anrufen, und sie kann so unvoreingenommen reingehen und mich unterstützen, wenn ich eigentlich schon halb am Untergehen bin oder verzweifelt bin. Und dann kam sie tatsächlich und hat diesen frischen Wind mitgebracht und gesagt: „Komm, das machen wir jetzt zusammen.“ Das ist ja vielleicht auch schön, wenn man sich bewusst macht, dass da auch etwas Positives drin steckt.
Ich glaube, ganz schwierig wird Pflegen aus der Ferne, wenn derjenige alleine lebt. Das realisiere ich auch immer wieder in Gesprächen mit Familien, dass das, glaube ich, vielleicht auch nur ein Konstrukt auf Zeit ist, wo man einfach schauen muss, wie lange es überhaupt gut geht. Ich sehe auch, dass das sehr zeitaufwendig ist und es erfordert von den Personen auch wirklich sehr regelmäßige Besuche und Pflege dieses Pflegenetzwerkes. Ich habe das Gefühl, da muss man sehr genau hinschauen, wie lange das gut gehen kann. Ich glaube, es funktioniert wahrscheinlich auf Dauer nur mit großen Kompromissen. Ehrlich gesagt, wie jede Pflege aus der Ferne. Und dann ist häufig irgendwann diese Entscheidung: Ziehe ich dorthin oder hole ich den anderen zu mir? Das erlebe ich sehr viel, dass das dann irgendwann eine Lösung ist. Wenn ich jetzt noch einmal auf dieses Thema schaue, Pflegen aus der Ferne oder Begleiten, wie auch immer, dann scheint mir vor allem eines sehr klar: dass das zum Teil ganz schön zeitintensiv ist und sehr viele Energien und Ressourcen in Beschlag nimmt. Das wird mir immer sehr augenfällig, wenn ich mich mit Angehörigen unterhalte, die nicht direkt vor Ort sind.
Ich glaube, das ist oft gar nicht so richtig sichtbar, was Angehörige aus der Ferne tatsächlich leisten. Eine ehemalige Kollegin von mir zum Beispiel, die ihre Mutter unterstützt, die auch 6 Stunden entfernt lebt, hat sogar ihren Job reduziert und fährt fest von Freitag bis Montagabend dorthin, eigentlich jede Woche übers Wochenende, um bei ihrer Mutter zu sein und sie zu pflegen. Die anderen Tage übernimmt das der Pflegedienst oder eine Nachbarin kommt einmal vorbei. Das ist auch etwas, wo ich mir denke: Wow, ich habe totalen Respekt davor, wie sie das hinkriegt und trotzdem versucht, ihrer Mutter zu helfen, weil es ihr so wichtig ist. Und was für ein Einsatz! Ich glaube, das muss man einfach sehen, dass da nicht nur Verpflichtung, sondern auch Wunsch dabei ist und dass die Menschen bereit sind, sehr viel dafür einzuzahlen. Ein Teilzeitjob, das muss man sich auch erst einmal leisten können für die Pflege der Mutter. Die Zeit, die investiert wird, auch das Geld. Ich glaube, das wird häufig im Außen gar nicht so sichtbar. Ich denke, das wäre vielleicht für uns alle noch einmal die Frage, wie können wir, wenn wir das sehen, unterstützen, indem wir beispielsweise auch die Freundschaft nicht aufkündigen oder da sind, wenn es einmal notwendig ist, weil man schränkt ja eventuell auch sein soziales Leben sehr ein.
Und was dann doch zeigt, dass diese Pflege aus der Ferne möglich ist. Dass man sich dann trotzdem auch ruhig als pflegender Angehöriger benennen sollte, weil man trotzdem pflegt und unterstützt. Es ist vielleicht anders als bei demjenigen, der vor Ort ist, aber trotzdem ein wichtiger Beitrag. Ich hoffe, diese Folge hat euch gefallen. Ich fand sie sehr aufschlussreich. Danke, Peggy. Diesmal ist es eine Folge geworden, wo du uns viel Einblick in deine Situation gegeben hast, und ich bin dir dankbar und ich glaube, wir können es so stehen lassen. Mir ist die Ambivalenz tatsächlich noch einmal sichtbar geworden, also, dass es nicht nur schlecht ist, sondern auch positive Aspekte hat und dass man trotzdem gestärkt in dieser Rolle aufgehen kann und Positives bewirken kann. Das war Leben, lieben, pflegen, euer Podcast zum Thema Demenz und Familie. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann gebt uns gerne ein Like oder schreibt uns eine Bewertung auf iTunes. Wir freuen uns auch, wenn ihr unseren Podcast abonniert und gerne auch weiterempfehlt.
Die Infos findet ihr in den Shownotes und auf unserer Webseite www.lebenliebenpflegen.de. Wir hoffen, dass wir euch mit dieser Folge auch ein wenig helfen konnten in eurem Pflegealltag und wir freuen uns, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid. Eure Anja und Peggy von Leben, lieben Pflegen, der Podcast zu Demenz und Familie. Tschüss, ciao