Direkt zum Inhalt

Transkript zur Folge Die Macht der Gedanken

Und da habe ich gemerkt, wie das über mich drüberschwappt, meine ganze Wut, meine ganze Emotion. Ich glaube, ich saß da erstmal draußen, habe geheult, habe gesagt, Nina, ich weiß nicht, was ich tun soll. Und dann hat sie letztlich zu mir gesagt, Anja, du kannst jetzt nur durchatmen. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Leben, Lieben, Pflegen, der Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin auf Alzheimer und wir. Hallo und willkommen.

 Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria Care. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz. Wir wollen heute in dieser Folge der Frage nachgehen, wie es gelingen kann, die Demenz eines Angehörigen anzunehmen. In dem Prozess und auch im Alltag kommen oft viele verschiedene Gedanken und Gefühle hoch. Wie kann man damit umgehen? Wir wollen von unseren Erfahrungen berichten und Anja stellt ein paar Strategien und Methoden vor.


Doch bevor wir anfangen, möchten wir noch Dankeschön sagen. Vielen Dank an die Edith Haberland Wagner Stiftung. Sie unterstützt uns finanziell bei der Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank, Peggy. Wenn ich jetzt so über das Wort Veränderung nachdenke im Kontext von Demenz, wie schaust du darauf? Gibt es da etwas, was dir so ganz augenfällig ist oder wo du sagst, Veränderung ist ein Thema, weil oder so? Ich stelle fest, dass das ein Weg ist, ich vergleiche es immer mit einer Reise, auf jeden Fall etwas, was sich entwickelt hat, wie ich darauf blicke, wie ich damit umgehe und dass es am Anfang ganz anders war als jetzt.


Also, dass es am Anfang mit der Diagnose meiner Mama alles schrecklich war und ein Schock. Wenn mir da jemand gesagt hat, du musst das annehmen und du musst es akzeptieren und dann geht das alles seinen Weg, hätte ich wahrscheinlich gedacht, wie soll das denn funktionieren? Das ist doch schrecklich. Wie soll ich sowas annehmen können? Bin ich jetzt völlig bei dir? Mir geht es ähnlich, wenn ich darüber nachdenke. Kennst du auch dieses Gefühl vom Anfang?


Definitiv. So dieser Schock, erstmal in ein tiefes Loch fallen, nicht wahr? Sagen, das kann doch jetzt nicht wahr sein und dann war es bei mir erstmal ganz viel damit verbunden, mit der Ratio, also mit dem Verstand zu sagen, ach, das kriegen wir hin und da findet man sicherlich Lösungen und wenn man A macht, dann muss doch B passieren und am Ende wird es gar nicht so schlimm sein und wir kriegen das schon hin. Das waren so ganz viele Gedanken, die erstmal tatsächlich auch in den Widerstand gegangen sind und gar nicht so gesagt haben, das ist jetzt ein Weg, sondern ich bin da schon, glaube ich, so in dieses "es kann nicht sein", da gibt es bestimmt Lösungen. Und vielleicht passiert gar nichts. Vielleicht bleibt alles so, wie es ist und wenn, dann kämpfen wir dafür. Ist das akzeptieren oder annehmen oder ist es einfach versuchen, zu handeln, aber immer noch in diesem Glauben, man kann doch was dagegen tun? Ich frage, weil ich auch dachte, wir suchen Medikamente oder der Arzt kann etwas verschreiben und dann wird es vielleicht nicht so schlimm. Ich glaube, das ist genau der Punkt, wenn wir über Akzeptanz oder Annehmen sprechen, dass wir an dem Punkt, wo wir so reagieren, das alles andere als annehmen. Das ist erstmal versuchen, mit dem Verstand etwas zu lösen und eigentlich sind wir eher im Widerstand und es gibt da tatsächlich auch eine Kurve, die das relativ gut beschreibt. Die ist auch im Kontext der Coronapandemie an der einen oder anderen Stelle aufgetaucht. Es ist die Kurve der Veränderung und Trauer von Kübler-Ross, die beschreibt im Prinzip genau das, dass man zunächst einmal, wenn etwas passiert, was schlimm ist, quasi ein Schockzustand eintritt. Man ist erstmal so und es geht erstmal in den Keller.


Dann versuchen wir zu sagen, ist doch gar nicht so schlimm und das kriegen wir schon hin. Das wäre vergleichbar damit, dass ich mich aus dem Keller raus kämpfe und eigentlich so im Widerstand bin. Und dann geht letztendlich die zweite Talfahrt los, wenn sich das Bewusstsein etabliert, dass ich wohl mehr machen muss, als nur Lösungen zu entwickeln und die ganzen Gefühle auftauchen. Man könnte auch sagen, die Seele ist da wesentlich langsamer als der Verstand und diese Gefühle tauchen vielleicht am Anfang auch schon auf, aber ich verorte sie gar nicht so. Im Verlauf einer Veränderung kommen sie aber dann immer gewaltiger und dann ist es dieses berühmte Tal der Tränen, wo dann die ganze Emotion sich Raum nimmt. Es kommen dann Gefühle wie Ärger, Wut, Trauer, solche Geschichten dazu. Und von dort aus kann ich, wenn ich mich mit der Situation noch einmal beschäftige und mich ihr gegenüber öffne, also die Bereitschaft habe, die Situation anzunehmen, wie sie ist. 

Demenz ist eine Erkrankung, an der ich zunächst einmal nichts ändern kann. Ich muss sie so nehmen, wie sie ist. Sie ist nicht verhandelbar. Und wenn ich mich der Erkrankung öffne und mir anschaue, was macht das jetzt mit mir und mit dem Erkrankten und mit unserer Familie und mit unserem Leben und unserem Lebensentwurf, dann kann ich vielleicht in dieses Ausprobieren kommen und über das Ausprobieren kann ich etwas lernen und über das Lernen kann ich dann Dinge in mein Leben integrieren, die mir helfen, diese Veränderung eher zu gestalten, auch wohlwollend anzunehmen, weil ich merke, Handlungsoptionen sind noch da, ich muss nicht im Tal der Tränen sitzen bleiben. Das ist schon auch ganz schön theoretisch. Genau, du hast von diesem Schock erzählt und dass man da vielleicht noch eher so dagegen handelt und dann in dieses Tal der Tränen oft kommt. Hast du ein Beispiel dafür? Hast du es auch erlebt? Es gibt da schon Beispiele, man kann diese Kurve über den gesamten Verlauf der Demenzerkrankung legen und da würde ich sagen, über diese 10 Jahre oder 8 Jahre, die ich meine Mutter begleitet habe im Bewusstsein, dass sie eine Alzheimer-Demenz hat, dann kann ich diese Kurve gut nachvollziehen. 

Ich kann sie aber auch in ganz kleinen täglichen Situationen nachvollziehen. Beispielsweise fällt mir ein, als meine Eltern dann vom Haus in die Wohnung, eine Etage tiefer bei uns in der Straße, umgezogen sind. Da hatten wir am Vortag alle Kisten gepackt und ich habe dann gesagt, Mama, morgen kommen wir und holen die Kisten und wir hatten auch Umzugshelfer organisiert und ich dachte, das ist alles ganz prima vorbereitet. Dann komme ich am nächsten Morgen in die Wohnung. Mein Vater war in der Zeit in der Kurzzeitpflege und meine Mutter saß inmitten dieser Kisten und hatte alles ausgepackt, weil sie Dinge gesucht hat oder unsicher geworden ist. Ich kann es gar nicht beschreiben. Und ich bin fassungslos, wirklich wie im Schock, in diese Wohnung gegangen und habe mir gedacht, Gott, das kann jetzt nicht wahr sein. Was machen wir denn jetzt? Ich habe dann meine Schwester angerufen und die hat dann nur gesagt, Anja, das ist jetzt, wie es ist. Du kannst jetzt eigentlich nur atmen. Und ich saß bei uns auf der Terrasse und habe nur genickt, habe gedacht, stimmt, sie hat recht. Ich kann jetzt nur atmen und dann kann ich schauen, wie ich meine Mutter dazu motiviere, mit mir zusammen die Kisten wieder zusammenzupacken. Im Zweifel muss ich den Helfern sagen, hier ist etwas schief gegangen. Entweder packt mit an oder wir kriegen es hin oder ihr kommt in einer Stunde wieder.


Und da ist diese Kurve ein bisschen drin. Gott, das kann nicht wahr sein, dann sich zu öffnen, zu sagen, wer kann mir jetzt helfen? Dann meine Schwester, die hat mir die richtigen Worte gesagt und dann habe ich mir gedacht, gut, und jetzt musst du mit dieser Situation umgehen. Es ist ein Beispiel, an das ich da denke. Ich glaube, diese Kurve macht man sehr oft durch, weil auch mit der Demenz viel im Wandel ist. Fällt dir eine Situation ein?


Mir fallen mehrere Situationen ein, und es sind Momente, die mich an eine Grenze gebracht haben. Zum Beispiel, als meine Eltern die Treppe hochgegangen sind und sie dann da stand, mein Vater sehr geplagt hat, komm, es muss doch gehen. Und ich dann dazugekommen bin und eigentlich erst ganz vernünftig helfen wollte. Nein, du musst doch einen Schritt machen. Es hat aber alles nicht funktioniert und ich merkte, wie sich das so ein bisschen aufgeschaukelt hatte. Ich war dann selber total hilflos, weil ich dachte, was mache ich denn jetzt? Wir stehen mitten auf diesen Stufen im Haus, wie soll ich das jetzt machen?
Es ging einfach gar nicht mehr. Meine Mama konnte nicht mehr und dann dachte ich, okay, dann bleibe ich jetzt auch einfach stehen und sage erstmal nichts. Es ging dann. Also, so ein Moment, wo ich immer das Gefühl habe, es muss doch funktionieren und dann funktioniert es nicht mehr beim Spazierengehen oder wo auch immer oder Zähneputzen, wo es einfach nicht mehr diesen normalen Ablauf hat.


Und das ist dieser Widerstand, nicht wahr? Letztendlich es nicht fassen wollen. Nicht wahrhaben wollen, sagen, das muss doch jetzt so gehen und dann merkt man, es geht nicht so und dann kommen meistens diese Gefühle. Bei mir war das auch so an diesem Morgen, wo ich bei meiner Mutter war. Ich habe wirklich gedacht, das kann doch jetzt nicht wahr sein und ich bin auch wütend geworden. Ich dachte, Mama, was machst du da? Das geht doch nicht. Ich habe dann wirklich an die gesunde Frau appelliert, weil ich nicht wahrhaben wollte, das ist jetzt nicht meine Mutter, mit der ich als Person hier interagiere, sondern das sind Symptome der Krankheit, nicht wahr? Dass sie nachts aufgewacht ist, durch die Gegend gewandert ist, die Kisten gefunden hat und sich gedacht hat, was soll denn das alles hier und wo ist denn mein Zuhause und mein Leben und dann angefangen hat, diese Kisten auszuräumen. Diese Ohnmacht an diesem Morgen ist mir noch so präsent, wenn ich heute noch darüber spreche und nachdenke. Und dann zu sagen, ich war auch völlig überfordert, weil wir hatten die Helfer bestellt, aber mein Mann war in der Arbeit und die Kinder im Kindergarten. Wir hatten auch nur ein Zeitfenster, wo ich das
machen konnte und dann hatte ich eben die gute Eingebung, meine Schwester anzurufen und die hat dann erstmal gesagt: "Oh Gott und" und da habe ich gemerkt, wie das über mich drüberschwappt, meine ganze Wut, meine ganze Emotion. Ich glaube, ich saß da erstmal draußen, habe geheult, habe gesagt, Nina, ich weiß nicht, was ich tun soll. 

Und dann hat sie letztlich zu mir gesagt, Anja, du kannst jetzt nur durchatmen, also es zu akzeptieren, zu sagen, das ist jetzt eine echt blöde Situation und sie hat nicht klein geredet und sie hat auch nicht vom Tisch gewischt, sondern sie hat mich erstmal nur gehalten, hat gesagt, so und jetzt dreh dich um und geh rein und schau mal, ob du die Mama mitnimmst, also dieses wohlwollende Element und zu sagen, komm, das kriegen wir hin und zu lachen. Und zu sagen, jetzt schauen wir mal, vielleicht packen die anderen auch mit an. Da hast du aber ziemlich Glück gehabt, dass du deine Schwester in dem Moment hattest. Es gibt viele solche kleinen Situationen, die aus der Reihe laufen, die einen wütend machen können, weil auch der Mensch mit Demenz etwas falsch macht oder es nicht macht, wie man es erwartet. So banale Dinge wie den Tisch falsch zu decken oder nicht zu decken oder Dinge hinzuzutun, die man nicht braucht. Die sind in so einem Alltagskontext, wenn es vielleicht stressig ist, können die einen ganz schön nerven und frustrieren. Auch wenn man in der Theorie weiß, das ist die Krankheit, der Mensch mit Demenz hat recht und es liegt an mir, da geduldig zu sein, klappt das nicht unbedingt so in der Übertragung, finde ich.


Wie kann man denn in so einem Moment reagieren? Ich weiß nicht, gibt es dann richtig reagieren oder einfach nur damit umgehen, dass diese Gefühle nicht so mächtig werden, dass es sich hochschaukelt. Was vielleicht schon mal hilft, ist zu sagen, es sind nur meine Gedanken, die gerade hier am Laufen sind und meine Gefühle sind für mich gerade Boten, wie es mir gerade geht in der Situation und die zu akzeptieren, anzunehmen, zu sagen, klar, hier läuft gerade etwas gewaltig schief. Wut beispielsweise, nicht wahr? Wenn ich Wut spüre und diese Wut wahrnehmen kann, dann kann ich auch erstmal sagen, was will die Wut mir sagen? Wem gehört sie? Und worüber bin ich denn so wütend? Indem ich mir diese Gedanken mache, also wenn ich die Wut spüre und sage, das ist wie ein Stoppsignal, zu sagen, worum geht es denn hier gerade? Und durch das Reflektieren auch dahinzukommen, dass ich nicht in dieser Reiz-Reaktions-Verkettung bin. Also stopp zu sagen, zu sagen, was geht hier gerade los? Und wie kann ich mit meinem Gefühl jetzt gerade gut umgehen? Was will es mir eigentlich sagen? Und dann zu sagen, wie ist die Situation? Was hilft mir jetzt im nächsten Schritt, ohne dass meine Gefühle mich überschwappen und vielleicht die Situation noch schwieriger machen, wenn ich denen ungefiltert Bahn gebe. Das ist aber ganz schön schwierig, nicht wahr? 

Das ist schwierig. Es geht eigentlich um gelebte Achtsamkeit. Und das kann ich natürlich üben. Hast du einen Tipp, wie man das üben kann oder wie man das lernen kann? Beispielsweise Schreiben. Wenn ich merke, da taucht ein Gefühl immer wieder auf, über dieses Gefühl auch zu schreiben, dieses Gefühl hinzuschreiben oder Gedanken aufzuschreiben, auch wenn es vielleicht nicht erlaubte Gedanken sind, aber die einfach mal aufzuschreiben.


Oder auch oft sind diese Gedanken ganze Sätze. Mit diesen Sätzen mal zu spielen und sie abzuwandeln, auch die einzelnen Worte durchzugehen, zu sagen, was bedeuten die denn für mich? Also in so einer Art spielerischen Umgang mit so absoluten Wahrheiten oder absoluten Gefühlen oder absoluten Sätzen zu finden. Und natürlich erfordert es Übung. Das kann ich vielleicht nicht in der ersten Situation so machen, aber ich kann mich schon darin üben, zu sagen, was war denn da der Gedanke in dem Moment und wie kann ich den vielleicht mal abändern oder eben dieses auch rausgehen aus einer Situation, wieder reingehen mit einem neuen Anlauf oder wenn unten auf der Straße Autos vorbeifahren, die Gedanken mal auf diese Autos drauf zu setzen oder sich einen Fluss vorzustellen mit lauter Blättern, wo ich die Gedanken drauf setzen kann oder an ein Aquarium zu denken und an jeden Fisch einen Gedanken dranzukleben, zu schauen, wie die da hin und her schwimmen. Das sind einfach so kleine Bilder. 

Meinst du, dass da auch Möglichkeiten gäbe? Du hast das so mit diesem Stoppschild gesagt und ich habe sofort in meinem Kopf gehabt, wie cool wäre es eigentlich, wenn man in diesem Moment irgendwo ein Signal bei sich hätte. Das geht natürlich unterwegs nicht, aber in der Wohnung oder so könnte man schon einen plakativen Satz oder diesen Satz, es sind nur Gedanken, anbringen, so kleine Reminder irgendwo hinzuhängen, beispielsweise, ich habe bestimmt drei Reminder bei mir im Geldbeutel und in meinem Kalender kleine Reminder gehabt und auch immer noch, für Situationen, die auch heute noch schwierig sind. Es ist grundsätzlich vielleicht gar keine schlechte Idee, sich mit seinen Gedanken auseinanderzusetzen, mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen für alle schwierigen Situationen, die uns im Leben begegnen, weil keiner hat behauptet, dass das Leben per se einfach ist. Es ist ein bisschen ein blöder Spruch und gleichzeitig geht es aber genau darum zu sagen, in bestimmten Situationen tendiere ich zu bestimmten Gedanken und mit diesen Gedanken einfach mal ein bisschen spielerisch zu experimentieren zu sagen, wie kann ich die Absolutheit eines solchen Gedankens eigentlich auch mal durchbrechen. Das ist auch so ein bisschen das Gegenteil von dem, was man eigentlich gerne macht, so Gedanken in positiv und negativ vielleicht bewerten und die Negativen wegzuschieben. Und was du jetzt sagst, ist, die Negativen, die sind auch da und haben ihre Berechtigung.


Und genauso ist es mit den Gefühlen. Wir tendieren dazu, die lieber zu vermeiden und Spaß anzuhäufen, aber Schmerz und Leid und Wut und Trauer gehört zum Leben dazu. Und sie können uns auf wertvolle Aspekte hinweisen, auch zu sagen, da läuft gerade etwas nicht gut. Und was will mir dieses Gefühl gerade über mich und die Situation auch sagen? Und was kann ich jetzt tun? Einmal um für mich zu sorgen und muss ich die Wut jetzt an mein Gegenüber abspielen und das sind einfach so Gedanken oder Aspekte, wo ich über diese Kurve vielleicht hinkomme und sage, Zielsetzung wäre etwas anderes auszuprobieren, darüber zu lernen und dann die nächste Stufe zu kommen, zu sagen, da steckt Erkenntnis drin. Wie kann ich dieses Gelernte jetzt zukünftig in anderen Situationen integrieren, weil ich merke, da komme ich zum wesentlich besseren Ergebnis, als wenn ich unten im Tal der Tränen hocken bleibe.


Vielleicht können wir uns noch ein Beispiel anschauen. Es geht darum, in Situationen etwas anders zu machen, nicht wahr? Oder zu einer anderen Lösung zu kommen. Da fällt mir zum Beispiel ein, das Zähneputzen ist seit längerer Zeit schon sehr schwierig. Dann hatte mein Papa mal gesagt, bestimmt schon zwei Jahre her, sie macht den Mund nicht mehr auf und es ist so schwierig und es geht nicht. Und dann haben wir erst ganz rational gedacht, wir probieren es mit anderen Zahnbürsten und so und ich bringe dir das vorbei und dann kannst du das so probieren. Es ist aber immer schwieriger geworden und für ihn sehr frustrierend. Meine Mama nimmt dieses Gefühl, glaube ich, einfach auf.


Und dann geht eben oft nichts mehr in der Situation. Es ist tatsächlich oft einfacher, wenn das jemand anderes macht. Mittlerweile kommt der Pflegedienst und Zähneputzen ist tatsächlich eine der Aufgaben, die mein Papa jetzt abgibt und es funktioniert. Ich glaube, das ist eine Erkenntnis, also zu merken, es funktioniert nicht, welche Optionen gibt es denn und dann auch einzusehen, ich kann es vielleicht nicht oder ich habe da eine Hürde, aber es gibt eine andere Möglichkeit und diese Möglichkeit ist eigentlich nicht das, was ich gerne möchte. Mein Papa möchte natürlich am liebsten meiner Mama selber weiter die Zähne putzen, aber zu akzeptieren, jemand anders kann das gut oder es funktioniert besser, wenn der es macht. Das finde ich nach dieser Kurve ein gutes Beispiel dafür.


Genau. Und deswegen haben wir auch gesagt, dass es vielleicht ein ganz gutes Modell ist. Wir werden diese Kurve auch in einem Worksheet zeigen und ich glaube, das ist einfach eine ganz gute Reflexionsmöglichkeit zu sagen, wo befinde ich mich denn hier gerade in dieser Veränderungskurve? Das kann über einen großen Zeitraum die Kurve sein. Es kann aber auch täglich fünf oder sechs Mal sein, dass ich mich dadurch hangle und kann mir dann eben auch eine Hilfestellung sein zu sagen, worum geht es jetzt gerade? Geht es um meine Gefühle, nicht perfekt zu sein in meiner Versorgung und Pflege und zu scheitern und die Angst davor? Und wenn ich die einfach mal zulasse und sage, wenn ich nicht derjenige bin, der das Zähneputzen hinkriegt, wer könnte dann oder wie könnte die Lösung ausschauen, mit der ich jetzt mal spiele?


Und vielleicht auch einfach zulasse, dass ich da scheitere. Deswegen bin ich kein schlechter Ehemann. Insofern finde ich dieses Modell hilfreich, wenn man das so im Hinterkopf hat und dann ab und zu in so einer Situation, wenn man gerade merkt, hier läuft jetzt gerade etwas gar nicht so gut, diese Option zu sehen, wenn ich jetzt ein bisschen ins Spielen komme oder auch mal rückwärts zähle und nicht in meiner Wut baden gehe und dann einen neuen Aufbruch mache und sage, ich mache es jetzt anders als vorher, dann lerne ich wieder etwas über mich, über den anderen, über die Situation und vielleicht sind dann Erfolge dabei und darüber kann ich vielleicht etwas Neues etablieren und Situationen, die vorher schwierig waren, so gestalten, dass sie vielleicht sogar Potenzial für etwas ganz Neues bringen, Pflegedienst, dass man sagt, die Verantwortung habe ich jetzt einfach mal abgegeben. Das klingt so, als wäre es jetzt das Patentrezept. Schön wäre es, nicht wahr? Ich glaube, diese Erwartung wollen oder dürfen wir auch nicht hegen und wollen wir auch nicht weitergeben. Ich glaube, es ist total wertvoll, sich bei Überforderungen tatsächlich mal so zu fragen, warum geht es mir jetzt gerade so und was ist denn eigentlich das Problem? Warum scheitere ich denn jetzt gerade? Ist das meine Vorstellung davon, wie ich als gute Tochter pflegen sollte oder mich und meine Mama kümmern sollte oder gibt es wirklich ein Problem? Aber ich kenne auch Situationen, wo es manchmal einfach blöd ist.


Genau. Und auch blöd bleibt. Das ist auch Teil des Prozesses zu sagen, für manche Themen gibt es vielleicht jetzt gerade auch keine Alternative, als es auszuhalten, aber dann mit einem Wohlwollen und mit Mitgefühl und einer Offenheit es auszuhalten und zu schauen, vielleicht ändert sich insgesamt noch einmal etwas an diesen Situationen und darüber werden aber andere Handlungsmöglichkeiten sichtbar. Oder Entscheidungen, also ein offenes Mindset, wie man es so Neudeutsch sagt, zu haben.


Wir hoffen, euch hat die Folge gefallen und ihr konntet da trotz oder vielleicht gerade wegen diesem theoretischen Hinterbau etwas für eure Situation mitnehmen. Schaut euch gerne das Worksheet an und wir freuen uns über eine Rückmeldung, inwieweit ihr das vielleicht einsetzt oder nutzen könnt oder auch gerne an andere gebt und vielleicht habt ihr auch Lust, uns eure Strategien für herausfordernde Situationen zu verraten. Wir möchten an der Stelle noch auf etwas anderes hinweisen und zwar auf das Demenzmeet, das wir nach München holen. Peggy, du warst schon in der Schweiz und hast es dir angesehen. Vielleicht berichtest du noch oder sagst zwei Sätze dazu.


Am 16. Juli findet in München das erste Demenzmeet statt und ich war letztes Jahr in Zürich eingeladen und war wahnsinnig begeistert. Es ist ein offener Austausch unter Menschen mit Demenz, ihren Angehörigen und Fachpersonen. Und es ist ein Miteinander auf Augenhöhe. Da gilt das Du, egal ob man Professor, Doktor ist oder Angehöriger und man kommt in ein gutes Gespräch. Die Meinungen des einen sind nicht mehr wert als die des anderen und ich freue mich wahnsinnig, dass es das jetzt auch in München geben wird.


Wer Interesse hat, kann gerne auf der Seite von Desideria Care nachschauen. Da berichten wir noch ein bisschen davon, wie dieser Tag ausschauen wird. Im Wesentlichen soll es ein offener, lebendiger Tag, leichte Stunden zu einem schweren Thema werden. Schaut euch einfach mal um und wir werden in den nächsten Folgen sicherlich noch ein bisschen mehr berichten. Tragt euch das Datum schon mal im Kalender ein und wir würden uns sehr freuen, wenn viele von euch nach München kommen. Das wäre sehr fein. Genau,
das war Leben, Lieben, Pflegen, euer Podcast zum Thema Demenz und Familie. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann gebt uns gerne ein Like oder schreibt uns eine Bewertung auf iTunes. Wir freuen uns natürlich auch, wenn ihr unseren Podcast abonniert und gerne auch weiterempfehlt. Die Infos findet ihr in den Shownotes und auf unserer Webseite www.lebenliebenpflegen.de. Wir hoffen, dass wir euch mit dieser Folge auch ein wenig helfen konnten in eurem Pflegealltag und wir freuen uns, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid.


Eure Anja und Peggy von Leben, Lieben, Pflegen, der Podcast zu Demenz und Familie. Tschüss. Ciao.

Der Desideria Newsletter

Mit unserem Desideria Newsletter bleiben Sie auf dem Laufenden und erhalten Neuigkeiten zu unseren Unterstützungsangeboten, Aktionen in der Öffentlichkeit und Veranstaltungen.

Hier zum Newsletter anmelden