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Transkript zur Folge Gemeinsam Pflegen

Die etablierten Rollen, die etablierten Regeln und vielleicht auch die Traditionen, die in einer Familie existieren, benötigen dann eine Anpassung und eine Überarbeitung. Das gelingt natürlich am besten, indem man sich darüber unterhält. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Leben, lieben, Pflegen“, dem Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin auf „Alzheimer und wir“.


Hallo und willkommen. Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria Care. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz.


Ja, die Familie, die Geschwister können eine wertvolle Unterstützung sein, wenn ein Angehöriger an Demenz erkrankt und man sich gemeinsam um ihn kümmert. Aber es kann auch zu Konflikten und Herausforderungen führen. Warum das so ist und wie es gelingen kann, sich gemeinsam gut zu kümmern, darüber sprechen Anja Kälin und ich heute. Doch bevor wir anfangen, möchten wir noch Danke sagen. Vielen Dank an die Edit Haberland Wagner Stiftung. Sie unterstützt uns finanziell bei der Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank.


Ja, wir haben ja schon einmal über das Thema gesprochen, wenn man sich alleine kümmert, zum Beispiel als Einzelkind. Sehr häufig ist es aber natürlich auch, dass man einen Mitspieler hat oder vielleicht auch einen Gegenpart. Auf jeden Fall ist man in der Familie nicht alleine. Vielleicht sprechen wir erstmal darüber, was es eigentlich heißt, gemeinsam zu pflegen. Ich finde, da hat man oft eine falsche Vorstellung.


Also zunächst einmal möchte ich sagen, wenn man auf das Thema Familie schaut, dann ist es ja schon ein sehr eigenes System. Da sind ganz unterschiedliche Rollen vertreten, wie Vater, Mutter, Geschwister, und auch ganz eigene Dynamiken. Das heißt, diese Regeln, die hier festgelegt werden – wer mit wem, wann, worüber spricht, wer welche Rolle einnimmt und auch welche Traditionen eine Familie entwickelt – das ist immer etwas ganz Individuelles. Es ist also ein sehr eigenes System, das eigene Spielregeln hat.


Und wie verändert sich das? Angenommen, jemand – Mutter, Vater, wie auch immer – bekommt dann die Diagnose Demenz. Was macht das dann mit einer Familie?


Im Prinzip kann man sich das tatsächlich wie ein Mobile vorstellen. Wenn sich etwas verändert, dann verändert sich nicht nur ein Teil, sondern alle anderen in diesem System müssen sich mit verändern. Das bedeutet natürlich eine Anpassungsleistung. Das heißt, die etablierten Rollen, die etablierten Regeln und vielleicht auch die Traditionen, die in einer Familie existieren, benötigen dann eine Anpassung und eine Überarbeitung. Das gelingt natürlich am besten, indem man sich darüber unterhält, das reflektiert und überlegt, wie man das gemeinsam gut bewerkstelligen kann. Aber das ist natürlich graue Theorie. In der Praxis sieht es meistens anders aus.


Ja, wie sieht es denn in der Praxis aus? Also, ich weiß, dass es in der Praxis so ist, dass man mitunter verschiedene Vorstellungen hat und auch wenn man eigentlich ein gutes Verhältnis hat, durchaus unterschiedliche Vorstellungen vorherrschen, was die Betreuung oder Pflege mit einer Demenz benötigt.


Ich überlege da vielleicht gerade auch noch einmal, wie das mit meiner Schwester war. Ich glaube, was bei uns natürlich eine gute Ausgangsbasis war, ist, dass wir uns grundsätzlich eigentlich immer schon sehr gut verstanden haben. Wir hatten eine gute Geschwisterbeziehung oder Schwesterbeziehung, die sehr tragfähig und auch schon krisenerprobt war. Und dass wir uns auch irgendwie in ähnlichen Lebenssituationen befunden haben. Also sie hatte Kinder, ich hatte Kinder. Jetzt ist diese Aufgabe dazugekommen, und wir sind von sehr gleichen Positionen gestartet. Dann ging es aber um meine Mutter, wohin sie zieht, und ich glaube, da wurde es das erste Mal so ein bisschen schwierig, weil wir nach einer passenden und stimmigen Wohngelegenheit für meine Eltern gesucht haben. Und da habe ich dann gemerkt, meine Schwester hat Lösungen produziert, ich habe Dinge vorgeschlagen. Und am Ende hatte meine Mutter aber auch noch eine Meinung. Die hat nämlich zum Beispiel gesagt, sie möchte nicht aufs Land. Wir haben uns eine sehr schöne – zu deiner Schwester.


Genau.


Sie möchte ja dort nicht wohnen, als wir uns etwas angeschaut haben, weil sie Angst hatte, sich zu verlaufen. Sie hat gesagt: „Anja, ich habe mich für die Stadt entschieden und ich möchte auch in der Stadt weiter wohnen. Ich habe Angst, dass ich verloren gehe.“


Das ist natürlich irgendwie ein Aspekt, der dieses gleichwertige oder gemeinsame Betreuen total schwierig macht, wenn dann der Fokus eigentlich auf einem liegt. Wie habt ihr das gelöst?


Ja, dann war es tatsächlich so, dass wir in München nach einer Wohngelegenheit gesucht haben, und die Frage war, ist es im nächsten Schritt schon das Heim oder eine alternative Wohnform? Aber mein Vater hat dann ganz klar Veto eingelegt und gesagt: „Ich möchte nicht ins Heim ziehen, sondern ich möchte quasi auch nach wie vor autonom, unabhängig in der eigenen Häuslichkeit sein.“ Ja. Und dann war das also ja auch ein Statement, ein Wunsch. Ja. Und dann hat sich glücklicherweise eben diese Möglichkeit ergeben, dass meine Eltern bei mir im Mehrfamilienhaus eine Wohnung gefunden haben und sie dort einziehen konnten. Und dann war natürlich dadurch irgendwie so ein bisschen ein Ungleichgewicht entstanden. Es war klar,


für mich wird es wahrscheinlich mehr Nähe und damit auch mehr Eingebundenheit bedeuten. Und meine Schwester, ja, weiß ich nicht, hat dann eher so diese Helikopter-Position eingenommen, und da gab es natürlich schon auch sicherlich Gefühle auf beiden Seiten, ob das jetzt eigentlich so okay und stimmig ist und ob die Rollen, die wir durch diese Entscheidung bekommen oder in die wir dann reinwachsen, einfach aufgrund der Gegebenheiten, ob die für uns passen.


Habt ihr euch darüber so bewusst ausgetauscht? Oft passiert das ja, ich glaube das, was du jetzt erklärst, dass es so ein Gang ist, und man spricht dann, glaube ich, sehr wenig darüber.


Ja. Und bei uns war es auch so, dass wir sicherlich Entscheidungen getroffen haben und wir erst im Nachgang gemerkt haben, was das für uns beide bedeutet und was sich dadurch verändert, auch in unserer Beziehung und auch in den Beziehungen zu unseren Eltern.


Hattest du das Gefühl, dass ihr euch gemeinsam kümmert, oder dass du mit der Aufgabe alleine gelassen bist?


Ja, das ist schwierig zu beschreiben. Also natürlich gab es so diese innere Stimme, die sich gemeldet hat und gesagt hat: „Ey, da hast du jetzt aber einen ganz schönen, irgendwie einen komischen Deal gemacht, ne? Du hast ganz schön viel bei dir auf dem Teller.“


Und sicherlich hatte meine Schwester auch solche Regungen, wo sie gesagt hat, ja, vielleicht will ich die Mama bei mir haben. Ja, also, weil es ist ja für mich auch ein Motiv, die Pflege oder Begleitung meiner Mutter ist ein Motiv, das auch in meinem Leben existiert und das ich gerne auch haben möchte, diese Bedeutung. Ja, du bekommst ja damit auch eine Bedeutung, und sie musste sicherlich loslassen und vertrauen. Wir haben so genau nie darüber gesprochen, muss ich ganz ehrlich sagen. Das hat sich dann irgendwie gefunden, und an kritischen Punkten ist es eher sichtbar geworden, wo ich sie dann auch eingefordert habe oder sie mich aufgerufen hat: „Ey, Anja, so geht’s nicht, ne?“


Also, das heißt, dort, wo wir in Konflikt gekommen sind, ist Offenheit entstanden, und wir hatten den Mut, es anzusprechen und zu sagen: „Hey, hier brauchen wir irgendwie jetzt eine andere Lösung. So läuft’s nicht gut.“


Du hattest ja auch einen bestimmten Deal mit deiner Schwester, weiß ich. Ja. Tatsächlich war es letzten Endes so, dass ich gesagt habe: „Nina, jetzt haben wir das so entschieden. Für mich ist es in Ordnung so, wir probieren das. Ich würde dich nur bitten, dass wenn du merkst, da läuft was schief und ich kann es aus der Innenperspektive und aus der Nähe zu meiner Mutter überhaupt gar nicht wahrnehmen, dass du mir das spiegelst und sagst.“ Und das war eigentlich unser Pakt. Ja, und letzten Endes aber eben auch von meiner Seite, dass ich, wenn ich das Gefühl habe, ich brauche mehr Unterstützung, ich das auch offen ansprechen darf. Also, das war eigentlich unsere Vereinbarung, die wir schon getroffen haben.


Wie war es denn bei dir? Oder wie ist es bei dir?


Ja, also bei mir ist es ja so, mein Bruder, den habe ich quasi an meiner Seite so als Unterstützer. Der wohnt leider quasi die gleiche Entfernung von meinen Eltern weg, wie ich auch, nur in eine andere Richtung. Wir sind ja kurz nach der Diagnose als Familie tatsächlich mal so zusammengekommen, um überhaupt zu besprechen, okay, was wurde da jetzt gesagt und das fassbar zu machen, dass meine Mama Alzheimer hat. Und da haben Kai und ich beide gesagt: „Wir sind für euch da. Wir wissen auch nicht genau, wie es weitergeht, aber wir möchten euch gerne helfen. Wir lassen euch nicht alleine.“ Das hat sich irgendwie so ein bisschen durchgezogen, finde ich. Also, dass mein Bruder und ich schon, dass wir beide wirklich für meine Eltern da sein wollen, wenn es auch auf die Distanz ist. Und es hat sich im Laufe der Jahre so entwickelt, dass wir beide versuchen, so oft wie möglich nach Hause zu fahren, abwechselnd meist. Was dann irgendwie zur Folge hat, dass wir uns selbst oft gar nicht so viel gesehen haben und zeitweise auch gar nicht so viel ausgetauscht haben beziehungsweise ja eigentlich viel über die Mama ausgetauscht haben und was meine Eltern brauchen, und uns so ein bisschen außen vor gelassen haben, aber da so diesen starken Fokus auf sie hatten und beide aber eigentlich immer so einer ziemlich gleichen Meinung sind, wer was braucht.


Ich aber oft das Gefühl hatte, ich bin diejenige, die so ein bisschen sagen muss, wie es weitergeht, weil ich bin die große Schwester.


Und da ist es wirklich irgendwie so hochgekommen, ja, Peggy ist ja die große Schwester und die wird da schon irgendwie den Weg finden, und ich tatsächlich auch die Erfahrung gemacht habe, dass ich in manchen Themen oder manchen Dingen einfach wahnsinnig unsicher bin und ich natürlich auch nicht weiß, was das Richtige ist. Also gerade jetzt auch so, wo es um die Frage geht, wie geht’s denn weiter?


Was ist denn der beste Weg? Ist es wirklich gut, wenn die Mama jetzt zu Hause wohnen bleibt, haben meine Eltern da die Hilfsangebote, die sie benötigen, oder ist das viel zu viel für mein Papa?


Wäre nicht ein Umzug viel besser? Müsste ich das irgendwie forcieren? Und da mein Bruder auch sagt: „Du, ich weiß es auch gerade überhaupt nicht, keine Ahnung, was wirklich wichtig ist und was der richtige Weg für sie ist.“
Also vor ihm quasi einzugestehen so ein bisschen: „Ich weiß es nicht.“


Was sagst denn du dazu? Das ist schon irgendwie so eine neue Erfahrung in unserer Geschwisterdynamik, würde ich sagen.
Ja, und ich finde es gerade total spannend, was du erzählst, weil im Prinzip da drei so ganz typische Sachen drin sind. Also einmal, was natürlich schön ist an eurem Beispiel und glaube ich auch ganz wichtig und essentiell, dass man irgendwie so im Gespräch ein gemeinsames Ziel festlegt, auf das man gemeinsam hinarbeitet. Also, sprich, dieses „wir wollen, dass es der Mama gut geht“ und darauf einigt ihr euch schon mal, und das ist prima. Ja, dann habt ihr nämlich da und dann müsst ihr einfach nur schauen, wo ist die Schnittmenge. Offensichtlich seid ihr gut da im Gespräch, was auch prima ist. Und gleichzeitig wird auch von dem, was du erzählst, so sichtbar, dass es natürlich sehr verlockend ist, in seine alte Rolle reinzugehen. Also du, die große Schwester, so wie es früher auch war, ne? Du hast gezeigt, wo der Weg langgeht, und da ist halt die Frage, inwiefern der andere bereit ist, also jetzt dein Bruder zum Beispiel wieder in die Rolle des kleinen Bruders reinzugehen. Da gibt es natürlich dann viele Familienkonstellationen, wo der eine oder andere sagt, er hat keine Lust, wieder in diese Rolle zu gehen.


Und was jetzt aber auch spannend ist, du signalisierst hier schon Bereitschaft, eine andere Strategie zu gehen, nämlich auch deine Unsicherheit einmal zu benennen. Das heißt, dein Bruder – ich weiß ja nicht, wie es ihm geht damit – aber vielleicht ist das für ihn eine neue Erfahrung, dass seine Schwester eben gar nicht so klar ist, wie es früher gewohnt war, und er kann jetzt vielleicht auch andere Qualitäten zeigen und sagen: „Ja, ich stell mich an deine Seite, und ich habe auch Ideen, und die sind vielleicht auch gut und wertvoll und nützlich.“


Jetzt die Frage, wie es aus deiner Sicht geht. Also, lernst du ihn auch neu kennen?


Ja, ich erlebe meinen Bruder schon auch ein bisschen neu, also nicht mehr nur so als den kleinen. Ich meine, natürlich ist er groß, der ist 40, ist erwachsen, hat einen Job, hat eine Familie. Natürlich meistert er viel in seinem Leben, aber ihn so gleichwertig auch zu erkennen, ist jetzt schon auch durch die Pflegesituation neu, und dass wir uns wirklich so als gleichwertige Partner austauschen können. Vielleicht denke ich manchmal, ich muss jetzt die Entscheidung treffen. Ich weiß nicht, ob das dann nur so in meinem Kopf ist, weil es irgendwie oft so ist.


Aber dass wir da durchaus diskutieren und eben auch diese Frage: „Ja, wo ist denn der beste Ort? Kennst du was? Hast du dich mal umgehört?“ Und er kommt mit ganz vielen tollen Ideen eben, also zum Beispiel auch vorgeschlagen hatte, dass er von einer ganz neuen Demenz-WG gehört hat, die bei ihnen um die Ecke gegründet wurde, und genau er da den Kontakt aufgenommen hat, und ich gedacht habe, ja, cool, ist total schön, meinen Bruder an der Seite zu haben, weil wir das gemeinsam schon hinbekommen werden. Das kann ich aus meiner Sicht so bestätigen. Also, ich habe eben tatsächlich auch über die Pflegesituation mit meiner Mutter meine Schwester auch noch mal auf eine andere Art und Weise kennengelernt, auch vielleicht in der Situation gar nicht so reflektiert, aber rückblickend tatsächlich so, und es hat sich auch wirklich unsere Beziehung noch mal verändert, auch eher auf Augenhöhe und partnerschaftlich und jenseits irgendwie so dieser alten Rollenbilder, so große Schwester, kleine Schwester, also ähnlich.


Und gleichzeitig, jetzt einfach noch mal für die Hörer und Hörerinnen, ist es natürlich, wie wir es beschreiben, eine sehr schöne Ausgangsposition. Ich erlebe das sehr, sehr häufig, dass es genauso nicht läuft, sondern dass ganze Familien sehr auseinandertriften, weil die Positionen und die Ideen, auch die Zielvorstellungen und auch die Sachen, über die kommuniziert wird, so unterschiedlich sind. Der eine ist vielleicht nur auf der Sachebene und der andere hat ein Problem auf der Beziehungsebene beispielsweise und sagt: „Na, von dir lasse ich mir gar nichts sagen.“ Oder: „Nö, warum sollte ich das tun, wenn du mir das sagst?“


Was würdest du denn sagen, ist die Lösung oder könnte eine mögliche Lösung sein? Weil, ich meine, sich als Familie zu zerstreiten ist ja auch potenziell eine Einschränkung dann in der Betreuung und Pflege von jemandem mit Demenz, weil man eben niemanden an seiner Seite hat. Was kann man denn tun, wenn es eben vielleicht nicht so schön läuft wie jetzt bei dir?
Genau. Und ich finde das schön, dass du das gerade erwähnst, weil wenn sich Familien nicht einig sind, hat es natürlich auch ganz viel Auswirkungen auf den Erkrankten selbst. Das ist ja auch die Idee, warum Desideria Care beispielsweise Familiencoaching anbietet, weil wir sagen, es geht nicht nur um die Familie, dass die gut miteinander klarkommt, sondern es geht auch ganz zentral um den Erkrankten selbst, weil wenn der in einer guten Familienatmosphäre betreut wird, ist das für ihn zuträglich. Ja, und wenn sich Familien so zerstreiten, dann ist es häufig auch für den Erkrankten spürbar und vielleicht auch belastend, und natürlich geht dadurch Lebensqualität verloren. Aber jetzt zurück zu deiner Frage:
Wie geht’s?


Ja, da gibt es kein wirkliches Rezept, aber natürlich mache ich die Erfahrung, dass Familien häufig von sich heraus auch diese Ressource entwickeln und diesen Willen haben: „Hey, lass uns reden.“ Auch teilweise Familien, die vorher sehr verstreut waren oder gar nicht mehr viel miteinander zu tun hatten, entdecken dann plötzlich die Gemeinsamkeit wieder. Dann gibt es aber auch Familien, die durchaus nah sind und sich genau über diese Punkte dann zerstreiten. Und dann macht es natürlich schon Sinn, also wenn man es aus eigener Kraft nicht schafft, sich vielleicht da Hilfe von außen zu holen. Das kann eine Familientherapie sein oder ein Familiencoaching, es kann aber auch eine Mediation sein. Das wirkt alles in dieselbe Richtung, weil wenn man sich da durch neutrale Außenstehende begleiten lässt, dann hilft es oft, die Dinge zu klären und zu schauen, zuzuordnen und zu sortieren und zu sagen, worum geht’s denn hier eigentlich und wie können wir lernen, uns gegenseitig wieder besser zu verstehen und ein gemeinsames Ziel festzulegen, auf das wir hinarbeiten?


Wie genau sieht denn so etwas aus? Du machst ja auch viele Coachings und Begleitungen von Familien. Kannst du erklären, wie du das jetzt machen würdest, wenn eben Geschwister oder Mutter, Sohn, Vater, Tochter, wie auch immer da sitzen und so unterschiedliche Meinungen haben? Also geht es darum, jemanden zu überzeugen, dass das eine jetzt der richtige Weg ist, oder wie würdest du das dann angehen?


Ja, es ist nicht so, dass ich als Coach beispielsweise da sitze und mir beide Seiten anhöre und am Ende sage: „Na ja, das ist besser und das ist schlechter.“ Es geht darum, Menschen, die latent aus dem Kontakt sind oder aus dem Kontakt gekommen sind, wieder in die Kommunikation zu bringen. Und manchmal schaffen das die Menschen nicht alleine, und dann sortieren wir erstmal quasi die Frage, worum geht es? Wo ist es denn gerade schwierig in der Kommunikation? Und dann auch noch mal zu schauen, was würdet ihr euch denn wünschen? Und häufig ist es so, also beispielsweise Mutter und Sohn streiten sich darüber, ob der Vater ins Heim soll oder nicht, und beide beziehen da eine unterschiedliche Position, und ja, letzten Endes alles, was in der Vergangenheit eine Rolle zwischen den beiden gespielt hat, also auch Verletzungen beispielsweise, kommen jetzt an dem Punkt wieder hoch.


Und darüber reden sie eigentlich auch ein Stück weit aneinander vorbei, weil für den anderen vielleicht nicht ganz transparent ist, worum es dem anderen denn geht.


Oft ist es dann so, dass wir zu dritt dasitzen, und dann bekommt der eine Zeit, seine Sicht darzustellen, und dann frage ich einfach beispielsweise die Mutter: „Wie geht es Ihnen denn, wenn Sie Ihrem Sohn zuhören? Was passiert denn da bei Ihnen und können Sie das einmal in Worte fassen?“ So und dann geht es so schön hin und her. Dann hat auch die Mutter beispielsweise die Gelegenheit, einfach einmal in diesem Raum alles auszusprechen, was ihr auf dem Herzen liegt oder was ihr wichtig ist oder wo sie sich unverstanden fühlt oder warum sie eine bestimmte Sichtweise hat. Es geht eben genau darum, diesen Perspektivwechsel für den anderen immer wieder mitzuvollziehen. Und wenn da so ein neutraler Dritter da steht, dann ist es häufig so, dass die übliche Dynamik schon ganz anders ist. Also anstatt aufeinander loszugehen und sich in Dingen zu verstricken oder zu verheddern, die vielleicht gar nicht so viel zur Sache zu tun haben.


Da ist dann schon so ein Dritter, vielleicht macht er es anders, die Gesprächssituation, und dann läuft das Gespräch schon anders, und wenn das noch so ein bisschen moderiert und begleitet wird, verflüssigt sich da häufig etwas, und das ist ja genau das, was dann positiv ist, dass also diese harten Positionen aufgegeben werden, dass man auch versteht, was der andere eigentlich will und meint, und dass vielleicht auch eine positive Absicht dahinter steht oder dass vielleicht erstmal Verletzungen aus der Vergangenheit ausgeräumt werden müssen oder noch mal besprochen werden müssen, um im Hier und Jetzt gut ins Handeln zu kommen. So kann man sich das vorstellen.


Das klingt so, als ob quasi diese Gefühlsebene, die ja oft mitschwingt, wenn wir etwas sagen, eigentlich oft nicht gehört wird, aber du das ermöglichst, das auch zu hören und einfach durchs Hinhören vielleicht auf diese Ebene zu hören. Ich glaube, das ist etwas, gerade wenn man so praktisch das Organisieren von einem Angehörigen mit Demenz redet, redet man ja über Dinge, aber wie es einem damit geht, unterdrückt man ja oft gern. Traurige Dinge, die einen unsicher machen. Also gerade so etwas wie Umzug ins Pflegeheim, da reden wir nicht einfach nur über den Umzug in ein Pflegeheim, sondern wir reden über ganz viele komplexe Gefühle. Wir haben es ja in unserer Folge zum Pflegeheim ausführlich besprochen, aber einfach dieses, ja, was da mitschwingt, ich glaube, das redet man oft nicht.


Aber irgendwie sind bei jedem diese Gefühle da.


Genau. Also beispielsweise beim Pflegeheim, da steht vielleicht irgendwie so der Vorwurf auch im Raum: „Ah, wenn du jetzt den Papa da abschiebst, das ist aber nicht in Ordnung, und so funktionieren wir nicht als Familie, und das sehe ich nicht als liebevolles Pflegen an.“ Ja, und die Mutter sagt aber vielleicht: „Hey, ich mache das 24/7, ich bin am Ende meiner Kräfte. Du kannst es überhaupt nicht nachvollziehen, wie es mir hier gerade geht, und ich brauche Hilfe und Unterstützung.“ So, dann merkt man schon, also das sind ganz viele Aspekte, die quasi unter der Sachebene und dieser Entscheidung: „Machen wir das
oder eben nicht, oder wie könnten andere Lösungen aussehen?“ mitschwingen, also Vorwürfe, Erwartungen, Wertvorstellungen, und die können natürlich sehr unterschiedlich sein, und genau darum geht es, einfach diese Dinge auch mal zu thematisieren und zu beleuchten und nach oben zu bringen und zu schauen, ja, wie könnt ihr euch denn da wieder annähern und was müsste sich denn vielleicht auch verändern, damit ihr beide da einen anderen, also quasi nicht in dieser Dauerschleife hängt. Was würdest du sagen, hilft es auch, wenn ich quasi nicht nur miteinander rede? Das ist natürlich gut, aber manchmal funktioniert das ja auch einfach nicht, weil man sich vielleicht so weit voneinander entfernt hat, also mit anderen über die Situation reden, wie es zum Beispiel in Angehörigengruppen, in Selbsthilfegruppen funktioniert. Ich, also für mich persönlich fand es sehr wertvoll, um einfach quasi ja doch so einen äußeren Blick zu bekommen. Du leitest ja viele Angehörigengruppen. Was für eine Erfahrung machst du damit?


Das sprichst du ein wichtiges Thema an. Also diese Geschichte, zu einem Mediator zu gehen, da braucht es grundsätzlich eine Bereitschaft. Ja, und daran scheitert es manchmal, gerade wenn die Positionen so weit auseinanderliegen oder vielleicht auch schon immer in der Familie gestritten wurde oder irgendwie so ganz extreme Positionen eingenommen wurden.
Da kann es dann tatsächlich helfen, dass ich mir dann dadurch helfe, indem ich mit anderen darüber rede und auch noch mal versuche, für mich zu klären. Also, ich kann auch alleine zum Coach gehen, wie will ich denn mit dieser Situation, mit dieser verfahrenen Situation, die auch vielleicht gar nicht mehr zu retten ist und die ich vielleicht auch gar nicht mehr retten will, weil so gravierende Dinge vorgefallen sind oder eben beispielsweise über das Thema Demenz überhaupt gar nicht geredet wird? Ja, das gibt es ja auch, also diese komplette Verleugnung des Themas, und da kann es natürlich für einen selbst schon schwierig werden, und dann können natürlich solche Gruppen ganz wunderbar helfen, um ja auch einen Raum zu
geben, wo ich die Themen dann einfach mal für mich ansprechen kann und sortieren kann, Impulse bekomme. Wie gehen andere denn mit dieser Situation um? Und dass ich mich nicht so alleine fühle, weil das ist ja genau der Effekt. Wenn ich quasi in der Familie aus dem Kontakt komme, dann fühle ich mich, obwohl ich eine Familie habe, total alleine. Und da kann natürlich dann so eine Selbsthilfegruppe oder Angehörigengruppe oder so ein Seminar eine ganz tolle Möglichkeit sein, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und dieses Gefühl der Einsamkeit abzulegen.


Und an dieser Stelle vielleicht auch der Hinweis, dass es die Angehörigengruppen bei Desideria Care gibt, aber natürlich auch bei den regionalen Alzheimer-Gesellschaften, vielen Wohlfahrtsverbänden, und dass es sich da wirklich total lohnt, mal hinzugehen und das auszuprobieren.


Ja, und ich möchte da aber auch noch mal markieren, dass ich es gut nachvollziehen kann, dass es einfach auch eine Weile braucht, bis man den Schritt tut. Häufig eben dann aus einer großen Not heraus, ja, weil man vielleicht auch sagt, ich kann irgendwie nicht mehr, ich brauche jetzt irgendwie Hilfe. Einfach da die Idee, sich so früh wie möglich damit auseinanderzusetzen, um dann den richtigen Zeitpunkt möglichst früh zu finden, weil ich schon gemerkt habe für mich, dass dieses drüber sprechen also wirklich sehr entlastend ist. Da sind wir irgendwie so beim Fazit, das wir oft ziehen, aber was, glaube ich, auch einfach sehr essentiell ist, genau das drüber sprechen. Ja, abschließend gibt es noch ein paar Infos von Desideria Care. Anja, erzähl doch mal, was habt ihr denn da für ein neues Angebot?


Also, ich finde es ganz toll, weil es die Möglichkeit für alle ist, die im Kontext mit Demenz Fragen haben, diese loszuwerden, nämlich das ist die Demenz-Sprechstunde mit der Neuropsychologin Dr. Sarah Straub. Die Sarah war bei uns auch schon im Podcast und hat ja auch darüber gesprochen, wie sie zu dem Thema Demenz kam und was sie auch an der Uniklinik in Ulm tut. Sie berät Familien, und sie ist bereit, quasi Fragen schriftlich zu beantworten über die Webseite von Desideria Care. Das Ganze nennt sich Online-Demenz-Sprechstunde. Ihr könnt da gerne mal reinschauen. Die Fragen beantwortet sie öffentlich. Also, das heißt, jeder, der auf die Seite geht, kann auch schon mal schauen, welche Fragen dort aufgetaucht sind, und vielleicht helfen ja schon, wenn andere sie gestellt haben, und wenn ihr andere Fragen habt, könnt ihr sie ganz einfach anschreiben, und sie werden schnell beantwortet.


Wir würden uns freuen, wenn ihr das nutzt.


Ja, also schaut euch das mal an. Den Link findet ihr dann in den Shownotes und natürlich auf Desideria Care. Genau. Dann war’s das mit dieser Folge von „Leben, lieben, Pflegen“.
Vielen Dank für die tolle Unterstützung der Technik, Valentin Rahm.


Wir hoffen, dass ihr beim nächsten Mal wieder dabei seid und ja, alles Gute bis dahin. Eure Peggy und Anja. Ciao

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