
Angehörige
Angehörige von Menschen mit Demenz tragen eine große emotionale und körperliche Last. Gabriele Wirz von der Universität Jena hat über viele Jahre pflegende Angehörige wissenschaftlich begleitet. Im Gespräch mit demenzjournal hat sie elf zentrale Tipps gegeben, wie Angehörige besser mit den Herausforderungen umgehen können, mit Blick auf sich selbst, auf den Menschen mit Demenz und auf das gemeinsame Leben.
Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern notwendig
Pflegende sollten sich bewusst Auszeiten nehmen: Ein Spaziergang, ein Kaffee mit einer Freundin oder einfach ein Moment der Stille kann helfen, wieder Kraft zu schöpfen. Auch wenn es schwerfällt, Pausen sind essenziell. Menschen mit Demenz können häufig keine Anerkennung mehr geben, daher ist es umso wichtiger, sich selbst regelmäßig Wertschätzung entgegenzubringen. Eine kleine Belohnung am Ende eines anstrengenden Tages kann dabei helfen, das eigene Wohlbefinden zu stabilisieren.
Belastung erkennen bevor sie krank macht
Über die Hälfte aller pflegenden Angehörigen zeigt Anzeichen starker Überlastung: depressive Verstimmungen, Schlafprobleme, Zukunftsängste bis hin zu Suizidgedanken. Solche Warnsignale sollten unbedingt ernst genommen werden, auch in einem frühen Stadium. Beratung oder psychotherapeutische Gespräche können helfen, Wege aus der Überforderung zu finden und emotionale Entlastung zu ermöglichen.
Umgang mit schwierigen Gefühlen und Situationen
Geduld lässt sich trainieren, zum Beispiel durch kleine Atem- oder Bewegungsübungen beim Warten. Auch belastende Gedanken wie „Wenn er doch nur endlich sterben würde“ sind menschlich. Sie weisen auf die immense Anstrengung hin, die mit der Pflege einhergeht, und sollten nicht verdrängt, sondern als Zeichen für den eigenen Unterstützungsbedarf verstanden werden.
Wenn Gereiztheit aufkommt, helfen kurze Rückzugsphasen, etwa ein Gang ins Bad, kaltes Wasser über die Hände laufen lassen oder einfach einen Moment allein sein. Auch im Umgang mit aggressivem Verhalten ist Deeskalation zentral: keine Vorwürfe, sondern klare, ruhige Kommunikation. Wichtig ist zu verstehen, dass Aggression bei Demenz selten persönlich gemeint ist, sondern Ausdruck von Angst oder Überforderung sein kann.
Ekelgefühle etwa bei Inkontinenz sind ebenfalls kein Tabu. Praktische Hilfsmittel wie Handschuhe oder Duftsprays können helfen, ebenso das Eingeständnis, dass manche Grenzen erreicht sind. Es ist legitim Aufgaben abzugeben oder professionelle Hilfe einzubeziehen.
Einfühlung, Entlastung und Beziehungspflege
Menschen mit Demenz brauchen nicht immer Aktivierung, manchmal ist Ruhe die beste Medizin. Angehörige sollten lernen, die Bedürfnisse ihrer Partner oder Eltern achtsam wahrzunehmen. Entlastung kann auch durch Tagespflege, ambulante Dienste oder ehrenamtliche Helferinnen entstehen. Oft profitieren beide Seiten davon, nicht nur die Angehörigen, sondern auch die erkrankte Person durch Abwechslung und neue Eindrücke.
Freudvolle gemeinsame Erlebnisse stärken die Beziehung: ein Spaziergang, ein Fotoalbum anschauen, Lieblingsmusik hören. Studien zeigen, dass Musik das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz deutlich verbessern kann und auch Angehörigen Kraft schenkt.
Wenn das Zuhause an seine Grenzen stößt
Wenn Inkontinenz, nächtliche Unruhe oder massive Persönlichkeitsveränderungen auftreten, kommen viele Angehörige an ihre Belastungsgrenze. Der Gedanke an ein Pflegeheim ist emotional aufgeladen: Ist das nicht Abschieben? Wie geht es dem Partner dort? Doch der Heimeintritt kann Entlastung und Sicherheit bedeuten, für beide Seiten. Chronische Überforderung führt nachweislich häufiger zu Aggressionen im häuslichen Umfeld als in Heimen.
Ein Umzug in eine Einrichtung ist keine Kapitulation, sondern oft ein notwendiger Schritt. Frühzeitige Informationen und Beratung sind dabei entscheidend. Auch der Austausch in Angehörigengruppen kann helfen, Ängste zu relativieren und Erfahrungen zu teilen.
Entscheidungen treffen als Angehörige von Menschen mit Demenz?
Nicht immer sind Angehörige sich untereinander einig, was gut für die erkrankte Person ist. Unterschiedliche Meinungen, alte Konflikte oder Unsicherheiten über medizinische Maßnahmen können zu Spannungen führen. Rechtliche Auseinandersetzungen bringen selten gute Lösungen, sie verlagern die Aufmerksamkeit vom Wohl des Betroffenen auf die Frage, wer „Recht hat“.
Beispiel 1: Ein getrennt lebendes, aber nicht geschiedenes Ehepaar ohne Kinder besitzt gemeinsam ein Unternehmen. Der Mann möchte seine Frau in ein günstigeres Heim bringen, sie selbst kann sich dazu nicht mehr äußern.
Beispiel 2: Eine Frau mit Demenz kehrt jedes Wochenende mit blauen Flecken vom Ehemann nach Hause zurück. Dürfen Pflegekräfte oder Heimleitung eingreifen?
In solchen Fällen ist professionelle Moderation und rechtlicher Beistand gefragt. Im Mittelpunkt sollte immer stehen: Was ist gut für den Menschen mit Demenz?
© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria
Weitere Fragezeichen im Kopf?
Desideria bietet zahlreiche Hilfs- und Unterstützungsangebote, unter anderem:
- Kostenfreie Angehörigenseminare zum erlangen fundierten Wissens, praktischer Tipps und Raum für Austausch mit anderen Betroffenen. Ob Pflege, Kommunikation oder emotionale Entlastung: wir begleiten dich einfühlsam, verständlich und auf Augenhöhe.
- Online-Demenzsprechstunde bei konkreten Fragen zu Demenz. Hier erhältst du verlässliche Antworten und professionelle Unterstützung. Unsere Expert:innen hören zu, geben Orientierung und helfen dir, den nächsten Schritt zu gehen.
- Einzelcoaching für persönliche Unterstützung im Umgang mit Demenz. Das Einzel-Coaching bietet Raum für deine Fragen, gezielte Impulse für deinen Alltag und empathische Begleitung durch erfahrene Coaches. Individuell, vertraulich und lösungsorientiert, damit du gestärkt weitergehen kannst.
- Leitfaden “Denk auch an dich”. Egal ob bezüglich Pflege, Überforderung oder Abschied, die Beiträge helfen dir, schwierige Entscheidungen besser einzuordnen. Für mehr Verständnis, innere Stärke und einen achtsamen Blick auf dich selbst.



