Direkt zum Inhalt

Transkript zur Folge Was tun? Wie es gelingt, bei Demenz gut Zeit miteinander zu verbringen

Peggy Elfmann: Ich glaube, das ist schon mal ein Trick, nämlich einzuladen und zwar zu einer gemeinsamen Aktivität. Es geht darum, weniger zu beschreiben und zu sagen, wir machen jetzt das und das, sondern eigentlich schon durch die Tat letztlich ins Handeln zu kommen und diese Aktivität, die Freude und den Spaß durch das Tun zu vermitteln. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Leben, Lieben, Pflegen, dem Desideria Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin bei Alzheimer und wir.


Anja Kälin: Hallo und willkommen. Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz und bieten Coachings sowie Angehörigentreffen und Schulungen. Heute wollen wir uns einem Thema widmen, das viele beschäftigt: Was kann ich mit meinem Angehörigen mit Demenz machen? Welche Beschäftigungen und Aktivitäten eignen sich? Bevor wir anfangen, möchten wir uns noch bedanken. Ein großer Dank geht an Desideria. Der Verein ermöglicht uns die Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank.


Peggy Elfmann: Ja, heute soll es um das Thema "miteinander aktiv sein und beschäftigen" gehen. Wenn ich an mich und meine Mutter denke, fühle ich mich oft unsicher, wenn ich mit ihr zusammen bin, weil ich nicht mehr richtig weiß, was wir gut miteinander machen können. Dieses Gefühl oder diese Unsicherheit ist schon lange da, ebenso die Frage, wie ich sie beschäftigen und was ich mit ihr machen kann. Kennst du das auch, Anja?


Anja Kälin: Ja, durchaus. Aus Beratungen, Coachings und von Angehörigen weiß ich, dass dies für sehr viele Menschen und Angehörige ein Thema ist, egal ob Partner, Kind oder Enkelkinder. Diese Frage beschäftigt die Angehörigen, und zwar unabhängig davon, ob es zu Hause in der eigenen Häuslichkeit ist oder im Heim, wenn man seinen demenziell veränderten Angehörigen besucht. Auch dort stellt sich die Frage, was man in der gemeinsam verbrachten Zeit tun kann.


Peggy Elfmann: Vielleicht können wir mal ein bisschen hinschauen, warum das so ist. Ich hatte zum Beispiel das Gefühl, dass meine Mutter sich zurückgezogen hat und gar kein Interesse mehr an Dingen zeigte, die wir miteinander gemacht haben. Manches, was früher ganz normal war, wie der Austausch, das Miteinander-Sprechen oder Telefonieren, ist weggefallen. Das Fehlen dieser Gespräche hat mich in vielen Situationen sehr unsicher gemacht.


Anja Kälin: Ja, und da sprechen wir über eine typische Demenzsymptomatik. Dieses Sich-Zurückziehen und die Sprachlosigkeit sind durchaus typisch für viele Formen von Demenz, ebenso wie eine sich entwickelnde Antriebslosigkeit oder Interessenlosigkeit. Das lässt sich gut erklären: Wenn man nicht mehr gut versteht, was man tut, oder das Gefühl hat, die Dinge nicht mehr so gut tun zu können wie früher, ist es eine normale Folge, dass man zum einen nicht mehr so viel und aktiv darüber spricht und zum anderen vielleicht das Interesse an vielen Dingen verliert, die man gerne gemacht hat. Gespräche an sich sind schwierig, und eventuell erlischt auch genau das Interesse an früheren Hobbys und Interessen.


Peggy Elfmann: Ist es tatsächlich so, dass kein Spaß oder keine Freude am Hobby mehr da ist, oder ist es diese Antriebslosigkeit, die typisch ist? Meine Mutter hätte aus eigenem Antrieb nie vorgeschlagen, spazieren zu gehen. Aber mit ihr rauszugehen und draußen etwas zu unternehmen, war lange gut möglich, und ich hatte immer das Gefühl, dass sie daran Freude hatte und es ihr gut tat. Meine Mutter hat zum Beispiel immer sehr gerne gekocht. Ich glaube, das wurde für sie sehr anstrengend und fordernd, eine sehr komplexe Tätigkeit, bei der man das Einkaufen planen, die Reihenfolge der Arbeitsschritte überlegen, den Tisch decken und vieles vorbereiten muss. Ich hatte das Gefühl, dass es eher Stress auslöste und sie die Dinge nicht mehr so gut hinbekam wie früher, wodurch sie vielleicht durch dieses Gefühl des Scheiterns die Lust daran verlor. Beim Spazierengehen geht häufig der Impuls verloren, Dinge zu tun, also die Idee dazu.


Anja Kälin: Das bedeutet, die Angehörigen bekommen die Aufgabe, einen Impuls zu setzen, um eine Aktivität zu ermöglichen. Ich habe erlebt, dass es meiner Mutter gut tut, solche Impulse zu setzen, und andere Angehörige berichten Ähnliches. Das ist ein Trick: Man sollte einladen und zwar zu einer gemeinsamen Aktivität. Es ist besser, weniger zu beschreiben oder zu sagen "Wir machen jetzt das und das", sondern eher durch die Tat letztlich ins Handeln zu kommen und die Aktivität, die Freude und den Spaß durch das Tun zu vermitteln. Zum Beispiel sind wir zum Kochen schon zu meiner Mutter gefahren, nicht erst zum Essen, sondern zum gemeinsamen Kochen. Damit haben wir das sicherlich noch eine ganze Weile überbrückt. Das Einladen und gemeinsame Tun ist für alle Stadien einer Demenzerkrankung eine gute Idee zur Aktivierung oder Beschäftigung, obwohl ich diese Wörter etwas schwierig finde.


Peggy Elfmann: Ja, ich finde die Wörter auch schwierig. Ich mag dein Wort "einladen" sehr gerne, weil es etwas Wertschätzendes hat. Das Schwierige am Wort "aktivieren" ist vielleicht, dass es davon ausgeht, dass wir als Angehörige etwas tun müssten, damit die Person etwas macht. Das klingt für mich sehr nach Plan und Strategie, was im Miteinander mit Demenz oft nicht der Fall ist. Auch wenn wir jemanden einladen, können wir nicht wissen, ob es funktioniert und was sich daraus entwickelt.
Anja Kälin: Genau, damit sprichst du etwas Wichtiges an. Die Problematik ist, dass auch meine eigene Ordnung leidet. Ich bin es gewohnt, mit meiner Mutter etwas zu tun, woran wir beide Spaß haben, aber die Demenz verändert das. Die andere Person kann es vielleicht nicht mehr so oder gibt selbst keinen Impuls mehr. Also muss ich aus meiner Komfortzone heraus und diesen Impuls setzen, kann mich aber nicht darauf verlassen, dass die andere Person in der gewohnten Weise reagiert oder sich darauf einlässt. Die Schwierigkeit ist, dass man neue Routinen im Umgang mit der anderen Person finden muss und dass die Dinge aufgrund der demenziellen Veränderung, wie zum Beispiel ein Gespräch führen, nicht mehr so verlässlich funktionieren wie in der Vergangenheit.


Peggy Elfmann: Und das Herausfordernde ist ja, man merkt nicht richtig, dass etwas vielleicht nicht funktionieren könnte, sondern hat eine Idee im Kopf, was man gerne oder gemeinsam machen möchte. Man lädt die Person ein und möchte eine Aktivität zusammen machen, aber es ist kein Garant, dass es funktioniert. Ich erinnere mich an eine Situation, als wir mit den Kindern bei meinen Eltern waren. Ich dachte, wir könnten schön entspannt zusammen etwas machen, meine Mutter und meine Töchter hätten etwas zu tun, und wir könnten "Mensch ärgere dich nicht" spielen. Wir haben das Spiel ausgepackt und angefangen, aber es zeigte sich schnell, dass meine Mutter es alleine nicht mehr tun konnte. Wir haben dann beim Würfeln geholfen, aber es funktionierte einfach nicht. Meine Tochter, die Regeln in diesem Alter sehr genau nimmt, fand es total blöd, dass die Oma nicht richtig spielte. Es ist dann ein bisschen ausgeartet; die Kleine hat leise "doofe Oma" gesagt, weil sie frustriert war. Dann war ich frustriert, und meine Mutter war auch traurig, weil sie es gemerkt hatte. Ich dachte, was ist das hier eigentlich? Ich wollte doch nur, dass alle eine schöne Zeit verbringen und Oma und Enkeltochter etwas zusammen haben, aber es funktionierte gar nicht. Das war mega frustrierend.


Anja Kälin: Ich glaube, das ergeht vielen Menschen so. Wenn man eine tolle Idee hat, sie ausprobiert und es schiefgeht, ist es für alle Beteiligten unter Umständen total frustrierend und kostet viel Energie. Deswegen entwickelt sich häufig eine Angst oder der Wunsch, etwas Sicheres für die gemeinsame Zeit zu planen. Oft ist es genau diese Beschäftigung oder die zentrale Frage, die Angehörige in Gruppen oder Coachings mitbringen: Ich bin ratlos und weiß nicht, wie ich mit meinem Partner, meiner Mutter oder meinem erkrankten Geschwisterteil umgehen soll, weil ich nicht mehr genau weiß, wie ich an die Person herankomme und wie wir schöne Momente erleben können. Darum geht es ja, wenn man die andere Person besucht oder Zeit mit ihr verbringt, dass es eine gute gemeinsame Zeit ist. Was rätst du dann, oder welche Tipps gibst du den Angehörigen weiter? Man kann sich an den Therapieformen orientieren, die für Menschen mit Demenz entwickelt wurden. Das sind eher alternative Therapien, wie zum Beispiel Musiktherapie, Kunsttherapie oder Malen.


Ich erinnere mich an eine junge Pflegende, die eher zufällig Mandalas mit ihrer Mutter ausgemalt hat, weil sie es irgendwo gesehen hatte und dachte: "Oh Gott, das ist ja eigentlich total langweilig, aber ich probiere es mal". Das Schöne war, dass sie sah, wie viel Spaß es ihrer Mutter machte, und weil es der Mutter Spaß machte, hatte sie plötzlich auch selbst viel Spaß daran. Das Beste war, dass sie als Studentin, als sie von ihrer Mutter nach Hause fuhr, in den Lernpausen, in denen sie eigentlich für Klausuren lernen sollte, Mandalas ausmalte. Sie sagte, dass es durch das gemeinsame Bearbeiten mit ihrer Mutter zu einer ganz neuen Aktivität für sie selbst geworden sei, von der sie nie gedacht hätte, dass sie ihr nach der Vorschule oder dem Kindergarten noch einmal Spaß machen würde. Das sind Anregungen, die man sich auch von professionellen Demenzbetreuern holen kann. Man kann sich Anregungen und Ideen holen, was man gemeinsam tun kann. Zum Beispiel gemeinsam in der Küche stehen und Karotten oder Äpfel schälen oder Dinge vorbereiten. Im Tun finden sich vielleicht auch Gesprächsanlässe. Es geht darum, weniger darüber zu reden, was man gestern oder vorgestern erlebt hat, sondern eher über das, was gerade sichtbar im Raum passiert. Das Hier und Jetzt spielt dabei eine große Rolle, und dann werden die Dinge auch wieder leichter besprechbar.


Peggy Elfmann: Dieses gemeinsame Tun ist sehr hilfreich. Zentral ist auch der Gedanke "Ich probiere es mal" oder "Wir testen es mal". Man sollte im Kopf haben, dass es ein gemeinsames Spiel ist, aber nicht den Fokus darauf legen, dass es unbedingt funktionieren muss, nach dem Motto "Wir machen das jetzt", sondern eher "Wir probieren es mal". Das nimmt den Druck und die mögliche Frustration, wenn es nicht funktioniert. Ich war damals sehr genervt, meine Mutter war traurig und meine kleine Tochter war auch total genervt.


Anja Kälin: Ja, tatsächlich. Die Idee ist, mit hoher Flexibilität zu arbeiten. Man kann Dinge ausprobieren und einen Plan haben, aber mit hoher Flexibilität und situativer Anpassungsfähigkeit vorgehen, fast wie im Improvisationstheater. Das bedeutet, mit Kreativität, Offenheit und Zugewandtheit auf die Situation und die andere Person zuzugehen und sich auf das einzulassen, was im Moment passiert, anstatt an den eigenen Vorstellungen von der Aktivität festzuhalten. Das könnte eine sehr wertvolle Herangehensweise sein.


Peggy Elfmann: Ein Aspekt, der von Experten immer wieder beschrieben wird, ist, dass es wichtig ist, den Menschen in dem zu sehen, was er immer gerne gemacht hat und was sein Leben ausgemacht hat, wie Hobbys oder Lieblingsaktivitäten. Ich glaube zum Beispiel, dass Bewegung, das Draußensein oder Gartenarbeit bei meiner Mutter oder bei uns gut funktioniert haben, weil sie das einfach immer gerne gemacht hat. Seit ich klein bin, hatten meine Eltern einen großen Garten und viel draußen zu tun. Was für viele vielleicht eine lästige Beschäftigung ist, hat meiner Mutter immer viel gegeben und auch Stress in stressigen Arbeitsphasen genommen.


Anja Kälin: Genau, du hast es gerade selbst gesagt, das fällt unter den Aspekt der Biografiearbeit. Bewegung spielt übrigens bei den meisten Menschen eine große Rolle. Zur Biografiearbeit gehört auch das Anschauen von Fotos oder das Aktivieren gemeinsamer Erinnerungen, oder vielleicht das Zurücktauchen in Zeitabschnitte, an die sich der Betroffene noch gut erinnert. Dort kann man Themen finden, die beleben, sofern das sprachlich noch möglich ist. Angehörige spielen hier eine besonders große Rolle, da sie über ein großes Wissen verfügen und professionell Pflegenden in Einrichtungen gute Tipps und Anregungen zu Vorlieben und Dingen geben können, die eine positive Stimmungslage auslösen. Gleichzeitig ist es auch im Kontext der häuslichen Pflege interessant, dass Anregungen von außen sehr gut sein können. Das bedeutet, auch Fremde können Ideen oder Aktivitäten einbringen, die man als Angehöriger vielleicht als nicht so relevant oder uninteressant einschätzen würde. Dann stellt man plötzlich fest, dass der Vater in der Tagespflege total Spaß am Tanzen hat, obwohl er sein ganzes Leben lang nicht getanzt hat, oder sich gerne zu Musik bewegt oder anfängt zu singen. Das sind vielleicht Dinge, die man vom eigenen Vater nicht kennt.


Peggy Elfmann: Es ist schön, dass du dieses Beispiel bringst, weil ich glaube, dass viele auch neue Seiten an Eltern oder Partnern entdecken. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass meine Mutter Schlager so toll findet. Musik wird oft als Königsweg beschrieben, wenn es ums Miteinander und Aktivieren geht. Gerade in der fortgeschrittenen Demenz, wo es manchmal schwerfällt und man nicht weiß, was man miteinander machen oder für die andere Person tun kann, wenn sie die ganze Zeit in ihrer eigenen Welt ist, merke ich, dass sie durch Musik, besonders durch fröhliche Musik, einfach aktiver wird.


Anja Kälin: Ich glaube, das ist genau die Aufgabe der Angehörigen: zu beobachten und zu schauen, worauf die andere Person reagiert. Gerade in der fortgeschrittenen Demenz sind es Mikro-Reaktionen in der Mimik, wie wach die Augen sind. Gibt es eine sichtbare oder spürbare Interaktion? Wenn man das Gefühl hat, dass etwas ankommt, sollte man es vielleicht einfach wiederholen oder über einen längeren Zeitraum nutzen, um die Person aus der Isolation zu holen, in der Menschen mit Demenz häufig versinken. Es geht tatsächlich darum, und ich glaube, das macht viele Angehörige so traurig und betroffen, dass der Eindruck entsteht, die andere Person sei sehr in sich gekehrt, verschlossen und einsam. Sie aus dieser Einsamkeit zu holen und in die Teilhabe zurückzubringen, das ist genau die Zielsetzung von Aktivierung und Beschäftigung. Es geht nicht nur darum, die andere Person vor den Fernseher zu setzen, sondern Zeit mit ihr zu verbringen und eine Interaktion zu ermöglichen.


Peggy Elfmann: Ich glaube, gleichzeitig muss man eine Balance halten und auch loslassen können. Ich hatte immer die Vorstellung, dass ich, wenn ich da bin, etwas mit meiner Mutter machen muss, damit sie im besten Fall die ganze Zeit glücklich und lächelnd ist. Dann habe ich realisiert, dass sie das vielleicht gar nicht braucht. Diese schönen Momente sind sicher für sie und für mich schön, aber in manchen Momenten war es einfach zu viel. Das Loslassen ist etwas, worüber wir immer wieder gesprochen haben und was man als Angehöriger besonders leisten muss.


Anja Kälin: Man muss die Grenze erkennen: Wo kann ich etwas machen oder einen Impuls setzen, und wann ist es vielleicht Zeit, der Person die Ruhe zu geben, die sie braucht? Genau das sind Themen, die im Coaching ganz individuell besprochen werden. Was ist der eigentliche Antrieb: möchte ich, dass die andere Person am Leben teilhat und Lebensqualität erfährt, oder treibt mich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich beim Beobachten der anderen Person schlecht fühle und immer mehr machen will? Die andere Person braucht es vielleicht gar nicht, denn es geht um die Frage nach Qualität oder Quantität. Vielleicht reicht es in einem bestimmten Abschnitt des Krankheitsverlaufs aus, wenn die Aktivierung oder der Kontakt nicht alle fünf Minuten stattfindet, sondern nur bei bestimmten Aktivitäten wie beim Aufwachen, beim gemeinsamen Essen, beim Spaziergang im Garten oder beim Zubettgehen. Dort sollen quasi diese gelingenden Momente der Begegnung stattfinden.


Peggy Elfmann: Das ist ehrlich gesagt ziemlich schwer. Wir reden jetzt so reflektiert darüber, aber in dem Moment zu wissen, warum man das jetzt macht, warum man möchte, dass die andere Person etwas tut und lächelt, ist schwierig. Denn man möchte eigentlich auch, dass die andere Person einem zeigt, dass sie noch da ist und dass unsere Beziehung bleibt.


Anja Kälin: Und deswegen macht es ja auch Sinn, das immer wieder für sich zu reflektieren und zu hinterfragen und sich in diesem Prozess vielleicht sogar auch Unterstützung von außen zu holen, weil es einem Sicherheit gibt in einer zunächst einmal sehr unsicher erscheinenden Situation, nämlich wenn die andere Person gar nicht mehr reagiert. Dann fühlt man sich quasi aus dem Kontakt und hat viele Fragezeichen. Man macht sich vielleicht auch Vorwürfe, nicht zu genügen oder nicht das Richtige zu machen. Zum anderen geht es aber auch darum, genau darauf zu achten und herauszufiltern, was schon funktioniert, und zu schauen, ob man das vielleicht intensivieren oder häufiger einsetzen kann, wie einen Koffer voller funktionierender Aktivitäten. Gleichzeitig wird sich dieser Koffer immer wieder in seiner Zusammensetzung verändern.


Peggy Elfmann: Ich dachte gerade, es wäre schön, so etwas aufzuschreiben und festzuhalten, was funktioniert. Absolut. Wenn ich dich so reden höre, habe ich das Gefühl, dass es auch wichtig ist, externe Personen einzubeziehen, wie zum Beispiel Ehrenamtliche. Vielleicht ist es auch wichtig, die nötige Ruhe zu haben, denn diese Impulse erfordern eine entspannte Situation, besonders wenn wir über Flexibilität sprechen. Ich kann das nur, wenn ich nicht gestresst bin, und ich merke, wenn es anstrengend wird, funktioniert es nicht, dass ich die andere Person machen lassen und mich danach richten kann. Für viele pflegende Angehörige ist das im Alltag jedoch nicht der Fall, weil sie alleine gefordert sind. Ein Ratschlag wäre also, Menschen hinzuzuziehen oder selbst immer wieder aus der Situation herauszugehen.


Anja Kälin: Unbedingt. Wenn ich selbst in einer entspannten Stimmung bin, fällt es mir leichter, spontan und flexibel zu sein. Das bedeutet, sich für das zu öffnen, was passiert, es zu lesen, wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Kreativität und Humor entwickeln sich vor allem, wenn man in einer gelösten Stimmung ist. Man kann in der Selbstfürsorge darauf achten, sich gut aufzustellen und das Pflegenetzwerk so einzubinden, dass man entlastet ist und Inseln hat, um durchzuatmen, ohne ständig überlegen zu müssen, was als Nächstes zu tun ist. Außerdem kann es eine Möglichkeit sein, Dinge noch einmal auszuprobieren. Ich denke an Robert, der mir erzählte, dass es in seiner Gegend eine Dame mit einem Therapiehund gab. Er dachte, es wäre eine super Idee, wenn sie öfter zu ihnen kommt und Zeit mit Claudia, dem Hund und ihm verbringt. Das Ziel war auch, dass Claudia und der Hund irgendwann gemeinsam Zeit verbringen, damit er mehr Freiräume bekommt. Am Ende hatte er den Hund, aber Claudia interessierte sich nicht wahnsinnig dafür. Und die Dame, die den Hund zur Verfügung stellte, war auch nicht glücklich darüber, dass es nicht so aufging, wie sie es sich ausgedacht hatten. Gleichzeitig ist es toll, so etwas auszuprobieren, weil man auf der Suche nach Impulsen und Ideen ist. Es ist schön, den Mut zu haben, so etwas auszuprobieren und dann vielleicht festzustellen, dass es nicht klappt, genau wie bei Musik-, Tanz- oder Maltherapie. Vielleicht kommt man am Ende auf etwas ganz Einfaches zurück, dass zum Beispiel ein Ehrenamtlicher einfach nur zum Spazierengehen vorbeikommt oder zum Fotos anschauen oder um in eine Kunstausstellung zu gehen und vor großen bunten Bildern zu schauen, was passiert.


Peggy Elfmann: Nach allem, was wir besprochen haben, habe ich das Gefühl, dass die Demenz uns als Angehörige immer wieder mit unseren eigenen Gefühlen, Gedanken, Plänen, Erwartungen und Hoffnungen konfrontiert. Es ist wichtig, dies zu wissen und sich Zeit für die Reflexion zu nehmen. Mein Fazit und was ich mit meiner Mutter gelernt habe, ist, dass es nicht viel bringt, Pläne zu machen. Das mag zwar gut tun, aber man muss sich die Erlaubnis geben, diesen Plan komplett über den Haufen werfen zu können.


Anja Kälin: Genau. Und zu sagen: "Okay, vielleicht auch weg von der Autobahn". Das bedeutet, alte Routinen und Muster zu verlassen und vielleicht einfach mal zu sagen: "Ich fahre jetzt den Feldweg, und wenn wir stecken bleiben, drehen wir halt wieder um". Das Sprichwort "Weniger ist manchmal mehr" hat hier absolut seine Richtigkeit. Ich habe neulich ein Buch für Fachkräfte gelesen, in dem es darum ging, was man mit Menschen machen kann. Und ich merkte, dass die Erwartung, man könnte immer etwas Schönes machen, total absurd und überhöht ist. Es geht um 10-Minuten-Slots und ganz kleine Mini-Aktivitäten. Ich glaube, das ist es auch, und das darf man sich als Angehöriger sagen: Es ist halt so, wie es ist, und die Krankheit ist nun mal da. Wir können nicht im permanenten Glückszustand sein, und auch die beste Aktivierung kann das nicht bewirken.
Ich erzähle vielleicht noch eine Geschichte von einer Klientin, die mir kürzlich erzählte, sie habe ihren Keller aufgeräumt. Sie hat einen Sohn, und der ist inzwischen erwachsen. Sie fand einen Karton mit einem Spiel, das ihr Sohn wohl zu seinem sechsten Geburtstag bekommen, aber nie gespielt hatte. Sie dachte, sie nimmt es zu ihrer Mutter mit ins Heim oder in die Demenz-WG, wo sie wohnt. Es war so ein Sandbild-Bastelset. Sie setzte sich mit ihrer Mutter hin, und es hat unglaublich viel Spaß gemacht. Zum einen stellte sie fest, dass ihr sechsjähriger Sohn das wahrscheinlich nie hinbekommen hätte, und zum anderen bedankte sich ihre Mutter für die Zeit, die sie sich genommen hatte, um das mit ihr zu machen. Sie sagte, es war eigentlich eine komische Idee, aber so gelungen und schön, und dieses Danke von ihrer Mutter zu bekommen war einfach toll, und es ging eigentlich nur um die gemeinsam verbrachte Zeit.


Peggy Elfmann: Das ist ein total schönes Fazit: Es geht gar nicht so sehr darum, was wir machen, sondern darum, dass wir versuchen, in Kontakt miteinander zu bleiben. Genau. In diesem Sinne freuen wir uns, wenn Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Wir möchten uns an dieser Stelle bei Valentin Ramm bedanken, der uns mit der Technik und den Aufnahmen unterstützt. Vielen Dank fürs Zuhören, fürs Zuhören das ganze Jahr über. Das ist die letzte Folge. Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne schon einmal schöne Feiertage, und wer Lust und Zeit hat, sich ein bisschen Input zu holen, kann das auch bei Desideria machen.


Anja Kälin: Genau, weil im neuen Jahr starten wir wieder mit vielen neuen Angehörigenseminaren zum Thema Edukation Demenz. Worauf ich auch gerade im Kontext von Weihnachten hinweisen möchte: Wir haben seit Oktober die Online-Demenzsprechstunde "Frag nach Demenz" mit Dr. Sarah Straub gestartet. Wir richten uns damit an alle, die immer wieder in Situationen stecken, in denen eine Frage auftaucht und man schnell eine Antwort braucht, aber vielleicht keine Zeit für einen Hausarzttermin, einen Termin beim Neurologen oder in der Beratungsstelle hat. Stattdessen kann man abends einfach schreiben, und genau dafür ist diese Demenzsprechstunde gedacht. Schreiben Sie Ihre Frage an Dr. Sarah Straub, und sie wird Ihnen innerhalb von 48 Stunden antworten, egal was Sie zum Thema Demenz beschäftigt und wo Sie gerade Hilfe oder eine gewisse Not verspüren.


Peggy Elfmann: Die Links und Mailadressen finden Sie auch alle noch einmal in den Shownotes. Ich finde das ein super Angebot.


Anja Kälin: In diesem Sinne einen guten Jahreswechsel.


Peggy Elfmann: Wir freuen uns, wenn Sie auch im neuen Jahr wieder dabei sind, und wünschen Ihnen alles Gute. Bis dahin, Ihre Peggy.


Anja Kälin: und Anja. Ciao. Tschüss.
 

Der Desideria Newsletter

Mit unserem Desideria Newsletter bleiben Sie auf dem Laufenden und erhalten Neuigkeiten zu unseren Unterstützungsangeboten, Aktionen in der Öffentlichkeit und Veranstaltungen.

Hier zum Newsletter anmelden