Transkript zur Folge Demenz vorbeugen mit Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
Lange galt Demenz als etwas, dem wir machtlos gegenüberstehen. Doch aktuelle Forschung zeigt, wir können das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, beeinflussen. Und wir können etwas tun. Und genau darüber spreche ich in dieser Folge „Leben. Leben. Pflegen. Der Desideria-Podcast zur Demenz und Familie“ mit meinem Gast Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer. Er ist Arzt und Experte für ganzheitliche Medizin und war selbst Angehöriger von Menschen mit Demenz. Wir wollen klären, was können wir heute tun, um unser Gehirn zu schützen und fit zu halten? Und welche Rolle spielen Stress und Selbstfürsorge? Und wie können wir ins Handeln kommen?
Herzlich willkommen zu „Leben. Leben. Pflegen. Der Desideria-Podcast zur Demenz und Familie“. Mein Name ist Peggy Elfmann, ich bin Journalistin und pflegende Angehörige. Hier im Podcast spreche ich mit verschiedenen Gästen über Themen, die Angehörige und Pflegende beschäftigen. Ich möchte euch hilfreiches Wissen und konkrete Anregungen für euren Alltag geben.
Ich freue mich sehr, dass ich heute Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer zu Gast habe. Er ist einer der bekanntesten Ärzte Deutschlands. Dietrich Grönemeyer ist Facharzt für Radiologie und bekannt für seine Arbeit in der Mikrotherapie. Er setzt sich für Schulmedizin, Hightech und traditionelle Heilverfahren ein, also das, was man umgangssprachlich ganzheitlich nennt. Und er kennt das Thema Demenz auch aus eigener Erfahrung mit seiner Mutter, seinem Vater und seiner Oma.
Lieber Herr Grönemeyer, ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind und wir uns dem Thema Demenz widmen möchten und auch darüber sprechen, was man vorbeugend tun kann.
Ja, ich freue mich auch. Guten Morgen.
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In Ihrem neuen Buch spielt das Thema Prävention ja schon eine ziemlich große Rolle, habe ich gedacht beim Lesen. Was hat Sie denn persönlich motiviert, sich damit zu beschäftigen? War das auch Ihre Rolle als Angehöriger?
Also eigentlich vorwiegend meine Rolle als Angehöriger. Wir haben das im Studium ja kaum gelernt, uns wenig damit beschäftigt. Das stand gar nicht irgendwo im Fokus. Eher die Depression, aber auch die nur so am Rande, denn psychologische Themen sind zumindest zu meiner Zeit, aber auch heute relativ stiefmütterlich behandelt im medizinischen Alltag, aber auch in der Ausbildung. Es geht meistens nur um den Körper. Also das Chassis, würde ich sagen, unserer Persönlichkeit und unserer Gefühle und unseres Denkens und unseres Verstandes.
Und ich habe sehr früh eigentlich schon erlebt, als meine Kinder klein waren, also so zwei, drei, vier Jahre alt waren, wie die Demenz doch zuschlagen kann. Und ich habe das im Grunde viermal erlebt, eben bei meiner Tante damals mit meinen Kindern, dann meiner Großmutter, meinem Vater, meiner Mutter zuletzt. Und das hat mich motiviert, eigentlich mich tiefer mit der Demenz zu befassen und vor allen Dingen zu helfen, dass andere Menschen vielleicht davon lernen können, um nicht letztendlich Fehler auch zu wiederholen, die man ja selbst praktiziert hat und weil man es nicht gelernt hat.
Viele Menschen denken ja, das ist Schicksal oder es wird vererbt, eine Demenz. Wie erleben Sie das vielleicht auch bei Patienten, wenn es dann darum geht, also was sagen Sie denen, wie können wir das Risiko beeinflussen?
Also klar, wenn man das so sich anguckt, Mutter meiner Mutter, Schwester meiner Mutter, meine Mutter und dann noch zusätzlich mein Vater, der ja in dieser Reihenfolge mit meiner Mutter ja nicht Teil war, sondern in der Familiengeschichte Teil war, sondern noch zusätzlich dazu kam. Klar sind wir sicherlich in irgendeiner Form vorbelastet oder könnten vorbelastet sein.
Ich bin darüber gestolpert in meiner Auseinandersetzung mit der Angst. Ich habe ja ein Buch gemacht im vor nicht allzu langer Zeit zu leben. Es geht mir ums Leben ohne Angst. Und dabei bin ich über eine New Yorker Wissenschaftlerin gestolpert, die bei einer Holocaust-Überlebenden ein bestimmtes Gen gefunden hat, was Stressphänomene, ihre Stressphänomene ausgelöst hat. Also ihre spezifischen Stressphänomene. Und bei der Tochter tauchten genau diese so exemplarisch, auf ihre mutterbezogene oder auch bei der Mutter wiedergefundenen Stresssymptome auf dieselben Symptome, die Angst, das versteckt sich verstecken wollen und so weiter und da wurde mir klar, meine Güte, wir vererben eben auch in irgendeiner Form zumindest Stressphänomene und da könnte man ja auch sagen, auch in irgendeiner Form psychische Symptome und die Art und Weise, damit umzugehen.
In der Weiterfolge, aber da war ich vorher schon drüber gestolpert, so in den Anfang dieses Jahrtausend bei einer Studie der Betriebskrankenkasse, dass letztendlich wir ja selbst 60 Prozent so des Handelns einen eigenen Anteil haben. Dass wir eigentlich im Grunde auch, wenn wir bestimmte Symptome haben, wie von unseren Vorfahren ererbt, ob das Brustkrebs ist, ob das Herzinfarkt ist, ob das die Demenz ist, ich würde sogar so weit gehen, auch Depressionen schon mit einbeziehen, weil das ja häufig gar nicht so genau auseinanderzuhalten ist, dass man im Grunde die trotzdem nicht erleiden muss oder mindern kann oder wirklich auch verhindern kann, wenn man sein eigenes Leben in die Hand nimmt.
Und jetzt kommt der Umkehrschluss, dass die Lancet-Kommission für Demenzprävention festgestellt hat, man kann bis zur Hälfte von Demenz verhindern. Deswegen habe ich mich auch so auf das Gespräch mit Ihnen gefreut, weil das wirklich Hoffnung macht.
Das macht Hoffnung. Und dann habe ich gedacht, Mensch, dann musst du auch noch Hinweise geben. Und deswegen habe ich dann noch einen Ratgeber gemacht „Natürlich altern. Fit bis 100“, weil ich gesagt habe, ja, helfen, also Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das treibt mich ja mein ganzes Leben an als Arzt. Immer wieder den Menschen Kraft zu geben, aber auch Hinweise oder Hinweise, aus meinem eigenen Erleben Dinge weiterzugeben oder von anderen Patienten und Patientinnen Dinge, die ich gelernt habe in Gesprächen mit Patienten und Patientinnen weiterzugeben.
Ich würde gerne auf die Studie, auf die Lancet-Studie, nochmal kurz eingehen, weil ich glaube, der eine oder andere Zuhörende kennt die wahrscheinlich gar nicht. Sie hat herausgefunden, dass sich 40 Prozent der Demenzerkrankungen vorbeugen lassen. Was sind denn die Hauptpunkte, auf die es da tatsächlich ankommt?
Also erstmal, was ja phänomenal ist, aber wir eigentlich gar nicht so im Bewusstsein haben, ist, dass man sich um sein Hörsystem kümmern muss. Das steht ganz oben in der Lancet-Kommission, auch mit den meisten, die größte Häufigkeit, die sie gefunden hat. Ist das nicht irre?
Das war für mich damals, als ich das erste Mal gelesen habe, tatsächlich der überraschendste Faktor, weil mir das bis dahin schon viel zur Demenz geschrieben, aber das war mir nicht bewusst, wie groß dieser Einfluss des Hörens ist auf das Risiko von einer Demenz, die zu entwickeln.
Ja, vor allen Dingen, wenn man sich das mal weiter überlegt, wenn du nach und nach abgeschnitten wirst aus der Gemeinschaft, weil das ist ein weiteres großes Kriterium, also Einsamkeit, abgeschieden sein von Dritten und das hat ja auch ganz viel mit dem Hören zu tun und auch der Scham oder der Angst oder dem sich verstecken wollen oder so tun, als wenn man alles richtig hört und man selbst ein Spiel mit sich selbst schon spielt und damit mentale Veränderungen entstehen, ist das mir eigentlich ziemlich klar geworden, aber ich war auch extrem stark beeindruckt. Wenn ich dann zurückdenke, glaube ich, dass meine Mutter, und ich habe das früh formuliert auch schon, sehr früh, auch mit einer großen Firma für Hörsysteme und auch öffentlich auf Vorträgen, da habe ich gesagt, Mensch Leute, aber da hatte ich die letzte Studie noch gar nicht, das ist bestimmt 15 Jahre her. Und da bin ich noch in die Schweiz gefahren zu der Hörfirma und habe gesagt, Mensch, das ist doch im Grunde eine große Notwendigkeit, das Hören und die Hörtests in der Bevölkerung als Vorsorgesystem zu verankern, um eine demenzielle Gesellschaft zu verhindern.
Und ich glaube, das ist, wenn ich so zurückdenke und den fragenden Blick von meiner Mutter, auch von meinem Vater sehe, da war es immer ein bisschen anders, weil er so aggressiv war. Oder so ganz über Nacht das Eintrat, die Demenz. Ein bisschen anders. Aber meine Mutter, so wie immer dieses Lächeln, dieses versonnene Lächeln, der fragende Blick und so nicken, nicht mehr sprechen. Nicht aggressiv. Die ist nie aggressiv geworden. Aber immer so, wo sie dachte, sie ist ganz in ihrer Schneekugel, ganz in sich selbst drin. Und das hat möglicherweise viel mit dem Hören zu tun. Oder dem Nicht-Hören zu tun.
Das mit dem Hören finde ich auch deshalb so spannend, weil es ja wirklich was ganz Konkretes ist, das man ändern kann und jetzt auch nicht, ich sag mal, vielleicht so schwierig ist, wie Lebensstilfaktoren zu ändern. Sondern es ist irgendwie was Handfesteres eigentlich, was man ja auch gut Angehörigen oder eigentlich allen Menschen mitgeben kann. Ist das auch was, was Sie Ihren Patienten quasi regelmäßig raten?
Ja, natürlich. Seitdem ja, seitdem ich darüber gestolpert bin. Schon von meiner Mutter habe ich immer wieder, aber bei der Lancet-Kommission dann eben nochmal so richtig, richtig so in den letzten Jahren eben auch bestätigt gefunden. Wie ich auch bestätigt gefunden habe, das ist ja ganz verrückt, dass eigentlich die Risiken, die wir beschreiben in der Medizin, Diabetes, Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel, dass das auch eigentlich von der Lancet-Kommission definiert wurde als ein wesentlicher Risikofaktor. Deswegen findet man ja dann ein Element wieder, wo wir alle aktiv werden können. Fehlende Bewegung und so, da können wir alle aktiv werden.
Und wenn man mal zurückdenkt und zurückforscht in die alten Kulturen, also ich habe mich viel mit chinesischer Medizin befasst am Anfang, weil ich habe selbst Sinologie vom Medizinstudium angefangen zu studieren und hatte schon eine Einladung nach Wuhan, dort tätig zu werden. Da wollte ich als Radiologe hin und gleichzeitig eben auch von den chinesischen traditionellen heilenden Therapeuten und Therapeutinnen lernen, was ja nicht zustande gekommen ist, weil ich meine Kinder nicht mitnehmen konnte. Ich habe deswegen eine Akupunkturambulanz aufgemacht, mir auch einen Chinesen mit eingestellt in mein Team, der wunderbar Phytotherapie und Akupunktur konnte und bei mir dann auch promoviert hat, mit ihm auch wissenschaftlich die Akupunkturzone identifiziert habe und veröffentlicht habe.
Da habe ich eben ganz früh gelernt, bei den Chinesen, bei den Indern, dass es eigentlich drei Kriterien gibt. Und die Inder haben das noch, die alten Veden, noch viel klarer aus meiner Sicht formuliert, eben dieses Ernähren, Bewegen, Wohlbefinden. Dazu gehört auch schlafen, also entspannen und Wohlbefinden insgesamt schaffen, dass das die wesentlichen Kriterien sind, die jetzt wieder auch gerade in der Liste der Lancet-Kommission auch formuliert worden sind. Ist doch irre, ne? Wir wissen es eigentlich seit ja Tausenden. Die Menschheit weiß das. Jeder von uns fühlt das ja auch letztendlich, welche Rolle Entspannung für einen bedeutet, welche Rolle Bewegung für einen bedeutet, dass man sich danach kräftiger fühlt und leistungsfähiger und den Kopf klarer kriegt. Und dass in der Ernährung der Zucker uns wirklich lähmt, das können wir alles rausfinden, wenn wir ein bisschen auf uns hören.
Also zu viel Zucker. Zucker brauchen wir natürlich. Und 30 Prozent braucht das Gehirn. Und dann sollte man nach alternativen Zuckern gucken. Aber es ist da. Und das finde ich so phänomenal. Und dann bin ich eigentlich immer mit mir so ins Ring gegangen und habe gesagt, was gibst du jetzt weiter von diesem Wissen? Einfach nur für andere, gar nicht, um jetzt wieder ein Buch zu machen oder so, sondern einfach aus meinen Erfahrungen, meinem Erleben, meinem Wissensschatz, den ich so über die Zeit gesammelt habe aus den verschiedensten Kulturen, einfach weiterzugeben.
Ja, also vielleicht liegt es auch daran, dass wir in der Medizin oder in der Forschung, was Krankheiten angeht, sehr auf diese körperlichen Sachen schauen und gar nicht eben auf das Wohlbefinden. Ich glaube, das hängt irgendwie damit zusammen. Und da hat die Studie ja ganz gut gezeigt, wie wichtig solche Faktoren wie Einsamkeit zum Beispiel sind.
Die Studie hänge ich in den Shownotes an. Dann kann sich die jeder nochmal anschauen. Dann kann er auch die einzelnen Bereiche angeschaut werden. Ich würde gerne mit Ihnen tatsächlich auf die psychosozialen Faktoren schauen. Also Stress, Einsamkeit. Warum spielt das so eine Rolle? Wie kann das ein Risikofaktor für Demenz sein?
Guckt man sich mal die Stressphänomene an. Dazu habe ich ja auch neben Ohne Angst einfach die Systematik auch nochmal niedergelegt. Stress hat ja zwei Aspekte. Stress hat den Aspekt, du wirst klarer, weil du durch den Druck, der auf dich zukommt, mentaler Druck, im Grunde dein Gehirn, dein Körper in Alarmbereitschaft geht, umzugehen, eine Veränderung herbeizuführen. Und in der Vergangenheit hat das ganz viel, und so ist es auch immer thematisiert worden, mit Flucht und Verteidigung zu tun. Nein, es hat aber auch mit Herausforderungen zu tun, dass man nämlich diesen Druck, der entsteht, der das Cortisol und das Adrenalin hoch pusht, damit die Gefäße sich erweitern, die Muskeln vorgespannt sind, die Augen, die Pillen sich öffnen, damit man klarer sieht, klarer hört, um auf die Gesamtsituation vorbereitet zu sein. Und dann eigentlich dieses überwindet. Aber nicht nur mit Fliehen, sondern auch mit dem Moment, das Problem zu lösen. In der Schule, was weiß ich, die Angst vor Französischarbeit, Mathearbeit zu überwinden und auf einmal zu sagen: „Ich habe es geschafft“. Oder den 100-Meter-Lauf, da bin ich Sieger geworden. Oder es hat auf jeden Fall Spaß gemacht, auch als Zweiter oder Dritter und freust dich darüber. Ja, ein gutes inneres Gefühl zu geben. Deswegen ist Stress normal. Stress gehört zum Leben dazu. Und dann gibt es eben diese Phänomene Bambi. Also ich finde, dass unsere Gesellschaft sehr stark in die Bambi-Situation hineingegangen ist und in die Vergesslichkeit, weil wir einfach so viel Druck von allen Seiten, also Leistungen, die du schaffen musst, jeden Tag die Mails und jeden Tag Telefone und jeden Tag jetzt digital überschwemmt wirst, medial überschwemmt wirst und gar nicht mehr richtig ordnen kannst. Also kommst du zu dem Punkt und sagst: „Lass mich alle in Ruhe.“ Und dann ist dieser Bambi-Effekt, der ja auch durch Stress entstehen kann. Du sagst, das löst jetzt schon mal jemand für mich. Ob es die Gesellschaft ist, ob es eine Familie ist, ob der Arzt es ist. Also weg von dir selbst.
Und wenn du in so eine Situation kommst, dann kommst du auch schnell, und das ist ja auch beschrieben in der Lancet-Kommission und für mich so wesentlich, es noch stärker auszudrücken, das ist die Trauma-Bearbeitung. Also wenn du deine Liebsten verloren hast, wie meine Eltern, ihren Sohn, ich meinen Bruder mit 44 Jahren, wenn du aus Kriegen herauskommst, wenn du misshandelt, missbraucht worden bist, ungerecht behandelt wirst, deinen Arbeitsplatz verloren hast. Also all diese Dinge müssen ja aufgearbeitet werden. Da hilft vielleicht erstmal, um Ruhe zu finden, dieses Bambi-Syndrom. Das löst schon jemand.
Oder die Vergesslichkeit, die dann kommt. Und das habe ich bei meinen Eltern erlebt, die ja beide zusammengebrochen sind. Ich, als mein Bruder in meinen Armen gestorben ist, zu meinen Eltern gehen musste und ihnen die Nachricht überbringen musste, euer Sohn ist gestorben. Und ich war letztendlich hilflos, weil mein geliebter Bruder da in meinen Armen lag und nicht mehr atmete und musste jetzt noch eine Stunde später diese Nachricht meinen Eltern bringen. Und mein Vater hat geschrien, wie ich noch nie jemanden habe schreien gehört in meinem Leben. Und meine Mutter ist implodiert, hat nichts mehr gesagt.
Und ich sage heute, das ist nicht verarbeitet worden, aufgearbeitet worden. Es hat auch keiner geschafft, daran zu kommen. Es war auch kein Verständnis für psychologische Begleitung oder Coaching. Und ich glaube, dass das ein wesentlicher Aspekt auch ihrer späteren Demenz geworden ist. Und bei meinem Vater interessanterweise genauso aggressiv, genauso mit dieser unbändigen Wut. Und letztendlich bei meiner Mutter mit dieser stillen in sich hineinfallenden Demenz.
Und deswegen ist für mich diese Auseinandersetzung mit Stress und mit Traumata so wesentlich, nämlich proaktiv zu werden, also die Chance zu nutzen, die da drin liegt, sich eben damit auseinanderzusetzen. Und was ich auch gelernt habe, und Sie machen das ja vor, auch mit Ihren Podcasts, mit dem, was Sie schreiben und tun und darüber berichten, dieses für Angehörige da zu sein. Denn das zeigt eine neuere Studie aus Peking und aus Amerika, von John Hopkins, dass Sie sagen, das Wichtigste überhaupt ist, sich mit Angehörigen zu treffen, die in einer ähnlichen Situation sind, von ihnen zu lernen. Du kannst nicht so viele Bücher lesen oder sonst wie auch vielleicht mit deinen Kindern darüber reden und deinen liebsten Menschen. Aber wichtig ist eigentlich das von Angehörigen zu Angehörigen, von denjenigen, die es selbst erleben und sich gemeinsam zu stärken. Und dann kommt Alzheimer Gesellschaft und solche Dinge dazu, die mich auch ganz wunderbar begleitet haben.
Kann ich nur ein Ausrufezeichen vielleicht dahinter setzen. Ich mag Ausrufezeichen nicht, aber ja, das ist tatsächlich, was sich mit anderen austauschen. Das nimmt natürlich nicht, also im Pflegealltag, im Kümmern, das Problem irgendwie weg. Oder diese Herausforderung in dem Moment, die ist da, die sind da, die kommen, ohne dass man sie geplant hat. Und dafür gibt es auch meistens keinen richtigen Rat im Ratgeber. Aber es tut total gut, danach darüber sprechen zu können. Und da sind halt tatsächlich andere Angehörige oft die besten Zuhörenden.
Ja, und Tippgeber auch. Also auch Tippgeber. Also die sagen, denk doch mal so. Oder vielleicht machst du es anders. Oder ich habe eben gelernt, auch von den anderen, nimm die Aggression nicht ernst. Die ist ja gar nicht gegen dich gerichtet. Die ist ja gar nicht gegen dich gerichtet. Auch wenn der Vater auf der Straße liegt und schreit: „Hilfe, mein Sohn bringt mich gerade um.“ oder so. Das ist ja nicht gegen dich gerichtet. Das ist ja eine eigene Hilfe und Hilflosigkeit.
Schon. Aber die Frage ist, wie macht man das gut? Wie haben Sie das geschafft, das nicht persönlich zu nehmen?
Boah, war schwer am Anfang. Wissen Sie, mein Vater kommt, weil er sich über meine Mutter geärgert hat. Er hatte mir immer gesagt, ich habe da irgendwas im Kopf. Ja, das hat er schon ein Jahr vorher. Der war bis 86 klar, war wunderbar auch auf so Altersmilde, könnte man auch sagen. Er war vorher ja schon ein harter Brocken für mich als ältesten Sohn. Und da habe ich einiges durchgemacht in meinem Leben mit ihm. Aber er wurde immer milder und so verständnisvoller. Und könnte man ja auch heute sagen, das war schon so eine demenzielle Entwicklung, weil wir ja wissen, auch bestimmte Formen von Demenz wechseln ja von Aggression zu Verständnis, dass du denkst, ach, ist ja alles klar, der hat ja gar nichts und dann kommt doch der Ausbruch. Und sowas bei ihm auch. Der kam zu einer Feier, meine Mutter kam zu spät und der ist danach nicht mehr zu bändigen gewesen. Der hat rumgetobt, der hat meine Mutter übelst attackiert, verbal attackiert, warum sie denn zu spät kommt. Er wollte noch eine Rede halten, die war auch völlig daneben. Und wir mussten ihn dann, mein Bruder und ich und meine Kinder, wir mussten ihn irgendwie bändigen. Und danach immer wieder.
Das habe ich am Anfang sehr persönlich genommen. Nicht verstanden, diese Aggression. Vor allen Dingen auch, ich fand das übelst gegenüber meiner Mutter, die war völlig fertig und wusste nicht, was ihr Mann da macht. Und ich habe das erst dadurch, dass ich mich an Menschen gewandt habe, die In der Alzheimer-Gesellschaft, die bei uns um die Ecke war, also es gibt wunderbare Institutionen, kann ich also auch nur jedem raten, da Hilfe, auch Notfallhilfe zu suchen, die man ja auch antelefonieren kann, wenn man nicht weiter weiß. Und da habe ich da Schritt für Schritt gelernt, damit umzugehen. Das findest du nicht raus.
Und die meisten, die das erleben, ich weiß nicht, wie weit sie das auch in der Form erlebt haben, aber die meisten Menschen, die das erleben, sind nicht nur hilflos, sondern sie werden selbst aggressiv. Und das ist das Schlechteste überhaupt. Du kannst nicht aggressiv werden. Du musst es aufnehmen. Und auf Ihre Frage, wie habe ich es aufgenommen? Ich habe ihn bestätigt. Ich habe immer wieder versucht, nachzudenken, was hat er da gerade? Ich wurde von der Geronto- psychiatrischen Abteilung, wo er mal eine Zeit lang war, weil wir herausfinden wollten, was hat er denn jetzt nun eigentlich? Man dachte immer, er hätte vielleicht sogar Creutzfeldt-Jakob-Symptome, er hat ja alles gegessen und das haben die im Krieg ja letztendlich alle, um zu überleben, haben sie alles gegessen, was auch nicht essbar war. Und Autoöl getrunken und den Salat getan und was verschimmeltes Essen. Und das machte er auch später immer nicht das Öl oder so, das verschimmelte Essen, aber er hat einfach, ihm war das völlig egal, wenn er irgendwo war und hat da nicht nachgeguckt, wie es da eigentlich vorbereitet ist, so wie wir heute hier sind. Und dann haben die aber auch schon gedacht, die Lewy-Body-Demenz ist ja nah an Creuzfeldt-Jakob. Und dann haben wir ihn, wie gesagt, in die Abteilung gebracht, in Boam. Und dann riefen die mich an und haben gesagt, wir kriegen den Vater nicht mehr aus der Dusche raus. Er sitzt auf dem Boden und schreit und schlägt um sich. Und er war innerlich im Krieg und zwar in Stalingrad, wo er seinen rechten Arm verloren hat. Und er schrie immer: „Diese Schweine! Nimm mir diese Schweine weg! Ich werde hier gleich erschossen!“ Und er saß da und Fäuste so vor seinem Gesicht.
Ach, und dann hat er mich erkannt und hat gesagt: „Siehst du, kannst du mir helfen?“ Und die Pfleger standen da und waren hilflos und sagten, können Sie denn nicht aufrichten? Wir kriegen ihn nicht hoch. Das muss man sagen, mein Vater war da unglaublich schwer. Und dann noch diesen einen Arm. Und dann habe ich mich auf den Boden gesetzt und habe mit ihm da unten gelegen. Und wir haben uns verteidigt, gemeinsam gegen diese Übermacht der Soldaten, die ihn verletzten, an die Wäsche gehen wollten. Und ich habe mich voll auf seine Seite gestellt und habe ihn damit gesagt: „Siehste, ist doch alles nicht so fair.“ Die Pfleger habe ich dann bedroht und gesagt: „Wenn ihr meinen Vater hier noch weiter so attackiert, dann ist das ein Ende für euch. Ich nehme euch sofort gefangen.“
Ich habe so ein Spiel gespielt. Und das habe ich aber immer wieder. Und das habe ich gelernt. Dieses Mitspielen, dieses Mitgehen, dieses Nicht-Gegenhalten. Und das ist natürlich in jeder Lebenssituation dann auch was anderes. Bei jedem entstehen andere Formen der Verrücktheiten und der Beklopptheiten und der Aggression. Das habe ich wirklich gelernt. Das ist ein wesentlicher Aspekt für mich im psychosozialen Umgang in solchen Situationen.
Das hat mich gerade sehr berührt und ich glaube, was man aber sagen muss, das ist nichts, was man einfach so einmal machen kann, oder? Es ist irgendwie tatsächlich ein Weg, um dahin zu kommen, sich darauf einzulassen, auf die Situation und loszulassen auch von den Regeln und Konventionen, wie man vielleicht eigentlich zu sein hat.
Ja, das ist ganz schwer. Ganz schwer. Du musst ja erst mal dich selbst befreien von dem Druck. Das ist so schwer. Und immer wieder. Also das hast du vielleicht das einmal gelöst, beim nächsten Mal stehst du wieder da. Und du schnauzt ja auch rum. Also hab ich auch. Halt die Klappe. Oder das stimmt doch überhaupt nicht. Und jetzt benimm dich mal. Alles, was man so dann sagt, hilft gar nichts. Kommt nicht an, weil die Menschen, sie sind ja in sich, haben ja alles drum, zunehmend andere Dinge vergessen. Ihre Persönlichkeit hat sich verändert. Als Mensch sind sie dieselben. Aber ja, das ist immer wieder eine große Herausforderung. Deswegen braucht ein Angehöriger, eine Angehörige braucht Beistand, braucht Unterstützung. Weil klar, wir sterben, können an der Demenz sterben. Und so ist es dann irgendwann in den meisten Fällen ja auch. Aber es kann auch sehr lange dauern.
Das ist dieser Stress oder diese, manchmal wird ja dann als emotionale Belastung als Angehöriger, die es eigentlich so schwer macht. Und ich finde, darüber wird sehr wenig eigentlich gesprochen, geschrieben. Viele praktische Dinge beim Thema Pflege lassen sich ja gut lösen, aber diese Belastung, dieses Miteinander, was sich verändert, dieses Einlassen auf das, was ist und auch gleichzeitig diese Verantwortung für die Person zu haben, das ist schon eine enorme Belastung. Ich habe mal eine Studie gelesen, ich weiß nicht, ob Sie das so verstehen, die hat mich sehr geschockt. Da ging es darum, dass vor allem pflegende Angehörige ein höheres Demenzrisiko haben. Und dann habe ich gedacht, wow, damals dachte ich, das kann doch nicht sein. Aber ich meine, nach allem, was wir über Risikofaktoren wissen und Pflegen ist halt nun mal anstrengend, stressig, ist es total logisch eigentlich.
Und wird nicht wertgeschätzt. Das außerdem. Vor allem, wenn man es dann noch professionell macht als Krankenschwester, Krankenpfleger, Altenpflegerin. Es ist gesellschaftlicher nicht. Und wenn du dich dann noch um solche Menschen, die ja früher als bekloppt bezeichnet worden sind. Ja, sie sind verrückt. Sie sind eine andere Welt verrückt. Aber sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Ich habe diese Kraft, die von den einzelnen Menschen ausgeht, die ihre Persönlichkeit verändern, verlieren, erlebt bei meinem Vater. Die letzte Zeit, die letzten Monate, lag er im Bett und hat nicht mehr geredet. Und dann kann man sich ja alle Gedanken durch den Kopf gehen lassen, bis zur Sterbehilfe. Und ich habe eben festgestellt, nein, der hat uns so viel Kraft gegeben, nur durch seine Anwesenheit. Er ist da gelegen, und er war da. Er war eigentlich auch ein Teil des geschichtlichen Gedächtnisses, das dann auch so kam. Also mit allen schönen Dingen, aber auch die üblen Dinge, die einen ja trotzdem in Auseinandersetzung gebracht hat und in der Weiterentwicklung und Entwicklung, dass es so wichtig ist. Ich sage mal so, wir können auch, und deswegen glaube ich, dass die Studie, die ich jetzt nicht vor Augen habe, die kenne ich nicht, aber ich glaube, dass die Studie recht hat. Also wenn man sich nur mit den Stressphänomenen auseinandersetzt, wenn du selbst an deine Grenze kommst und nicht mehr weiter weißt, dann möchtest du ja selbst...Bambi sein oder vergessen und sagen, das löst dann die Medizin. Die Medizin löst gar nichts. Sie hat ein paar Tabletten und macht viele Dinge richtig gut, finde ich. Ich bin ja nun Schulmediziner und mit Begeisterung Arzt. Aber die psychosoziale Situation, viele Ansätze in den traditionellen Heilweisen, die genau auch diesen Bereich mit beleuchten oder auch gute Hinweise haben, die sind und genauso wie diesen häufiger wesentlicher. Genau für die Situation, wo letztendlich im Alltag ganz viele Dinge entstehen und Symptomatik ausbrechen, die wir in einer Praxis in den paar Minuten, wo der Patient da ist oder im Krankenhaus ja gar nicht erleben. Das sind ja ganz ausgeschnittene Situationen im Leben. Die hat die Medizin eigentlich gar nicht vor Augen, auch die Wissenschaft viel zu wenig vor den Augen.
Das sind ja solche Dinge, die Sie tun jetzt mit Ihrem Podcast und mit Ihren Veröffentlichungen. Und das, was ich mache, ist extrem unterstützend und hilfreich.
Ja, wir haben über den Stress gesprochen. Ein Faktor, den ich auch gerne noch kurz erwähnen würde, ist natürlich die Einsamkeit. In der Studie wird das auch beleuchtet, wird erklärt, eben Einsamkeit ist ein ernstzunehmender Faktor. Und dann kann man sich zum Beispiel als pflegende Angehörige auch fragen, ja, aber wie soll es denn gehen, wenn natürlich das Umfeld irgendwie einsamer vielleicht wird? Weil sich Freunde, Bekannte zurückziehen. Wie haben Sie das denn erlebt? Beziehungsweise was würden Sie raten, wie man gegensteuern kann?
Offen damit umgehen, mit anderen darüber reden, unter welcher Herausforderung sie gerade leben und existieren, aber wirklich erklären, weil andere können das ja gar nicht nachvollziehen und die merken dann auch gar nicht, dass du vielleicht selbst ein Stück weit verstimmt bist, depressiv wirst, zu depressiven Verstimmungen bist oder auch mal dich nicht so verhältst, wie andere das erwarten, auch sicherlich vielleicht mal beleidigend bist und so, was nicht geht, aber dann muss man darüber reden, sich entschuldigen und auch andere mitnehmen.
Ich glaube, das ist das Wichtigste im Umfeld, sowohl was Familie, Freunde, was Arbeitsumfeld anbetrifft. Supervising, ich habe es nicht gehabt. Ich habe also wirklich mich ausgetauscht und mir Hilfe geholt, Informationen, Unterstützung eben auch in dem Umfeld der Alzheimer-Gesellschaft. Aber Supervising, Psychologische Hilfe, Coaching, ganz wichtig. Ich glaube, es ist wichtiger denn je, denn Demenz schreitet fort. Die Demenz in der Gesellschaft. Wir bekommen immer mehr demenziell Erkrankte. Wir sind heute jetzt fast bei zwei Millionen. Es nimmt nach der Prognose deutlich weiter zu, obwohl wir vieles erkennen und damit verhindern, aber trotzdem steigt es. Und ich glaube, wenn wir nicht darüber reden, wenn wir nicht auch der entsprechenden Unterstützung geben, politische Forderungen aufstellen, mit agieren in dem Umfeld, entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft, die vergisst. Wir haben ja auch vergessen, dass wir vor 80 Jahren 70 Millionen Tote hatten im Zweiten Weltkrieg, geschweige denn vom Ersten Weltkrieg. Also wir haben das alles vergessen, was das bedeutet. Und wie Menschen wie meine Eltern, wie meine Mutter, die aus Estland geflohen ist, ihre geliebte Heimat, die geliebten Menschen verloren hat, im Schützengraben den Freund, den Kumpel verloren hat oder mit ansehen musste, wie auf einmal alles weg war, direkt vor den Augen. Größte Brutalität.
Wir müssen uns davor schützen. Wir müssen lernen, schützen und entsprechend eben nicht die Augen zumachen, Bambi-Effekt wieder, sondern proaktiv mit ganz kleinen Schritten im Alltag. Mit den kleinen Schritten. Das Große sehen und fordern und das Kleine vergessen. Nein, das Kleine. Und da aber Selbsthilfe bekommen und in der Medizin, sage ich mal, da bin ich ja gefordert, auch in der Medizin dafür mitzuhelfen, dass wir in der Ausbildung genau diese Psychologischen, psychosozialen Aspekte mit thematisieren und endlich verstehen, dass der Körper nur ein Chassis ist und anders als ein Auto eben auf jedes Gefühl, auf jeden Gedanken mit reagiert. Du kannst dich ja nicht trennen. Du kannst den Geist nicht vom Körper trennen. Du kannst deine Seele nicht abschneiden. Das ist in jedem, auch wenn wir reden jetzt und so, unser Körper reagiert mit seinem Stoffwechsel, mit seinen Ausdrücken, mit seiner Gestik, mit seinem Lachen, seinem Weinen, seiner Gänsehaut, seinem Herzflimmern immer mit. Also dieser Aspekt, wenn wir den verstehen, dann kriegen wir eine ganz andere Zukunft, gesellschaftliche Zukunft.
Leben. Lieben. Pflegen Wissenswert
Ich würde gerne gleich mit Ihnen da nochmal hinschauen, was man jetzt konkret machen kann davor, aber unsere Rubrik Wissenswert reinschieben. In der Rubrik Wissenswert stelle ich meine Studie oder Untersuchung zum Thema vor. Jetzt haben wir heute ja schon einige Studien gehört und die Rede war auch schon von Bewegung. Ich möchte aber gerne noch eine ganz aktuelle Studie vorstellen, die ist in Nature erschienen und hat den Einfluss von Bewegung auf die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz untersucht. Und zwar wurden da 300 Menschen über 14 Jahre lang untersucht, die hatten,
Zu Beginn der Studie schon Amyloid-Beta, also diese Eiweißablagerung, war nachweisbar, aber sie haben noch keine Symptome gezeigt. Und dann wurde eben über 14 Jahre nachverfolgt, wie die sich körperlich bewegt haben. Und die Menschen, die quasi aktiv waren oder die ihre Aktivität gesteigert haben, da hat sich gezeigt, dass die kognitive Leistung sich deutlich langsamer verschlechtert hat und die auch einfach besser noch im Alltag klargekommen sind. Und was ich besonders spannend daran finde, das sind keine Höchstleistungen eigentlich, die da vorhanden waren, die gefordert werden, sondern die Redes von zwischen 5000 und 7500 Schritten, was ja noch deutlich unter dieser empfohlenen Schrittzahl immer liegt. Hat Sie diese Studie überrascht, also das Ergebnis der Studie?
Nee, überhaupt nicht. Weil wir wissen das ja. Wir wissen das ja von uns selbst. Wenn wir spazieren gehen nur, würde ich sagen, das ist auch noch nicht mal an der Schrittzahl auszumachen, sondern am Lebensgefühl.
Erstmal im Lebensgefühl, dass ich mich freue, dass ich wieder lerne zu schauen, dass ich unbemerkt merke, dass ich tiefer atme, dass ich vor allem, wenn ich im Umfeld von Bäumen und Pflanzen mich bewege, dass der Sauerstoff einfach ganz anders ist, ohne dass ich weiß, dass es Sauerstoff ist. Ich fühle es einfach.
Und dass ich dann die Möglichkeit habe, auch das passiert, auch unbewusst, dass man auf einmal Geräusche intensiver hört, dass man Farben intensiver sieht. Jetzt komme ich wieder zu den Kriterien der Lancet-Kommission. Ich habe es ja selbst in der Hand, ohne es jetzt proaktiv zu machen. Ich muss jetzt die Vögel singen hören. Ich muss die Farben sehen. Nein, das passiert einfach. Das ist doch das Tolle. Und wenn ich mich bewege...
Also jede Bewegung ist da schon ein wichtiges Element in der täglichen Aktivität. Ich muss nicht das messen, aber ich weiß, dass die Bewegung, vor allem die dynamische Bewegung, das heißt mal ganz kurz ins Schwitzen kommen, ganz kurz ein bisschen schneller gehen, mal ganz kurz vielleicht auch mal ein bisschen zu laufen, dass die dynamische Bewegung dazu beiträgt, dass es nicht zum Muskelschwund kommt, dass es nicht zur Sarkopenie kommt, sondern dass es einfach, unser Stoffwechselorgan Muskel, das ist ja ein Stoffwechselorgan, weil es die ganzen Hormone und die ganzen Verdauungsprozesse ja noch gleichzeitig und Gedächtnisprozesse ja gleichzeitig noch aktiviert, wesentlich ist. Deswegen hat mich die Studie überhaupt nicht verwundert. Nein, ich bin dankbar, ich bin begeistert, dass es die gibt. Toll.
Schade, dass man nicht noch das Wohlbefinden abgefragt hat, oder?
Genau, ja, absolut. Das wird aber immer nicht gemacht. Das wird ja in diesen Studien...
Ist ja auch ein bisschen schwieriger zu erfassen.
Genau. Und dann kommt immer die evidenzbasierte Sache dazu. Man will das eben alles faktisch. Aber die Evidenz ist wichtig, aber sie begrenzt auch, weil auch vieles aus traditionellen Heilweisen, zum Beispiel Rosmarin. Die Wirkung von Rosmarin ist bekannt schon aus dem Altertum. Also Cäsar hatte wahrscheinlich einen Rosmarinkranz um. Zu der Zeit haben auch die ganzen Schüler und Studenten angeblich im Römischen Reich auch immer wieder ähnliche Kränze aufgehabt. Wir wissen, dass Rosmarinduft die Konzentration erhöht. Wir wissen aus Studien, dass es neuroprotektiv ist, also die Nerven schützt und Nerven auch regenerieren kann. Rosmarin. Dazu hast du aber heute keine Studien, aber du musst es ja im Grunde trotzdem aus der Erfahrungszeit schon mal so formulieren, dass daraus Studien entstehen können.
Und wenn du jetzt nochmal auf KI gehst und sagst, ja, KI hat das ja alles drauf. Die KI ist nur so schlau wie die Quellen. Und wenn die Quellen nicht da sind, und vor allem die alten Quellen sind alle nicht da. Das Wissen liegt in den Klöstern, in Bibliotheken der Institutionen, die liegen irgendwo zum Teil in den Köpfen der Menschen, die das weitergeben und nie was geschrieben haben, als Heiler oder Heilerin und Therapeutin der verschiedensten Diskussionen, dann weiß man, wir sind nur begrenzt in dem, was wir anbieten. Wir müssen doch viel weiter unseren Gedächtnisschatz der Menschheit öffnen und vor allen Dingen zusammenarbeiten, wissenschaftlich und praktisch, lebenspraktisch, auch mit denjenigen, die Dinge machen, die noch gar nicht niedergelegt sind oder irgendwo versteckt sind. Und nicht jeder kennt die Nature-Publikation und selbst wenn ich sie kriegen könnte, sie ist zwar frei zugänglich, nur du musst ja drüber stolpern irgendwie.
Ja natürlich
Ja das ist ja das ist ja auch deswegen machen sie einen Podcast wir reden darüber und deswegen reden wir drüber um das, was die Wissenschaftler da so erforschen, auch weiterzutragen. Und tatsächlich, ja, Sie haben von der Hilfe zur Selbsthilfe gesprochen, Dinge weiterzugeben, um das Leben eben auch eigenverantwortlich zu gestalten. Ja, eine tolle Studie und wie viele andere. Also es kommt ja zunehmend. Also, ja.
Würde noch interessieren, wenn Sie so vielleicht zurückschauen, auch jetzt in der ganzen Beschäftigung mit dem Thema Demenz, Prävention, beim Buchschreiben. Haben Sie da so Momente gehabt, wo Sie dachten, hätte ich das mal früher gewusst, dann hätte ich das schon geändert? Hatten Sie so Aha-Momente?
Also wenn ich früher gewusst hätte, also ich habe es intuitiv natürlich gewusst, aber nicht so niedergelegt, aber dass der größte Teil der Gesundheit und des Wohlbefindens, ich nutze viel lieber den Begriff Wohlbefinden, weil auch ein chronisch kranker Mensch, ein Mensch, das habe ich auf der Krebsstationen verstanden, die ich lange geleitet habe und Frauen auch über den letzten Atemzug in eine andere Welt begleitet habe, dass dieses Wohlbefinden ja bis zuletzt wesentlich ist. Und der Gesundheitsbegriff, Sie haben eine andere Vorstellung, was für Sie Gesundheit bedeutet als ich. Und ist jemand, der eine Arthrose hat, ist er krank oder muss behandelt werden, nur weil man da ein bisschen Kalk im Gelenk sieht, aber keine Schmerzen da sind.
Und wenn Schmerzen da sind, gibt es ja trotzdem noch genug Möglichkeiten der Schulmedizin, aber auch der Naturheilkunde, wie mit Kurkuma, das ja genauso stark wirkt, wenn man es richtig anwendet, wie Ibuprofen umzugehen. Aber was ist Gesundheit? Und wie ist im Körper und Seele verbunden? Also von daher lieber Wohlbefinden. Und ich habe halt gelernt, über die Zeit, dass das entscheidend ist, selbst gefühlt so auch meine Medizin angelegt. Aber als ich dann auch in Studien gesehen habe, dass 60 Prozent der Kraft des Heilungsprozesses aber auch von Gesundheit in dir selbst liegt und dass die Medizin wunderbare Hilfe leisten kann, aber im Grunde nur zu 10, 20 Prozent verantwortlich ist für Gesundheit und deine Gene eine Rolle spielen und dich natürlich austricksen können und auch tun, wenn du nicht selbst aktiv wirst. Das hätte ich gerne zum Anfang zumindest meines Studiums gelernt.
Erstens. Und das Zweite ist eben die Auseinandersetzung mit dem Tod auch. Hätte ich auch gerne darüber im Studium gelernt, dass es eben eine Ars Vivendi, also eine Kunst des Lebens, eine Kunst des Sterbens eigentlich geht und dass das eigentlich immer zusammengelebt und gedacht werden muss.
Aber darüber bin ich durchs Schreiben gekommen und durchs Forschen und ich habe viel körperorientiert publiziert in meinem Leben. Ich habe mir einen Lehrstuhl für Radiologie und Mikrotherapie fast 20 Jahre lang gehabt. Da habe ich aber auch über ethische Aspekte, es gibt ein Buch im Philosophischen Verlag von mir „Ars Medicinae“ da rede ich über das Alter, rede ich über was ist Ganzheitlichkeit, mehr als körperliches Wohlbefinden und so. Da gibt es wissenschaftliche Arbeiten von mir auch schon sehr früh, aber nur durch die Auseinandersetzung, wissenschaftliche Auseinandersetzung damit bin ich dann. Und dann im Schreiben und sage, gehe aus dem Elfenbeinturm raus und rede weiter auch verständlich darüber, bin ich über solche Dinge gestolpert, ja.
Und was nehmen Sie konkret für Ihr Leben jetzt mit, auch in Sachen Demenzprävention vielleicht?
Ich bin natürlich gefährdet. Ich bin gefährdet, natürlich bin ich gefährdet, aber es berührt mich nicht im Alltag. Ich gehe da gelassen mit um, aber ich versuche, die Dinge, über die ich gestolpert bin, über die wir auch geredet haben, eben selbst Veränderungen auch immer wieder durchzuführen. Also bewege mich, viel mache meinen Sport, meine eigenen Dinge, die ich für gut, ich persönlich für mich für gut finde, nicht, weil sie andere machen. Ich bin jemand, der immer Gymnastik macht, der immer sich dehnt. Also schon von Kindheit an fand ich das toll.
Turnvereine gibt es ja leider auch nicht mehr so viele. Sport fällt in den Schulen aus. Die Sportvereine sind leider nicht mit den Schulen gekoppelt. Das wäre ein ganz wesentlicher Aspekt für Prävention aus meiner Sicht für die Zukunft. Also Sportvereine an die Schulen und da auch ein Stück weit von amerikanischem Leben, wo in Schulen und Hochschulen ja extrem viel Sport gemacht wird, zu lernen. Mir geht es ja nicht um den Leistungssport. Mir geht es darum, um Bewegung, über die wir ja gesprochen haben.
Essen sich auch mit denjenigen auseinandersetzen und das finde ich gut. Die vegan essen, die vegetarisch essen, die auch flexitarisch, also die Argumente sich anhören und für sich den Weg finden, der wichtig ist. Da bin ich ziemlich bewusst geworden und bin auch dankbar über diese ganze vegane Bewegung, die entstanden ist. Ich bin flexitarisch, ich esse ganz selten mal Fleisch oder einen Fisch. Ich lebe mein ganzes Leben eigentlich vegetarisch. Also das ist so mein Teil. Ich bin 73 Jahre alt, ich nehme keine Medikamente. Brauche sie nicht. So heißt nicht, dass ich sie nicht eines Tages brauche. Bin vergesslich. Ich vergesse Namen. Aber schon mit 20 Jahren habe ich die vergessen. Und mache mir keinen Kopf darum. Und finde für mich dieses Zufriedensein, dass ich leben darf, dass es ein riesiges Geschenk ist, das begleitet mich eigentlich tagtäglich, nachdem ich auch die schwersten Situationen in der Familie besprochen habe, erlebt habe, einen Bergen abgestürzt in zehn Meter und immer noch lebe oder einen schweren Motorradunfall hatte, eine Herzmuskelentzündung und immer wieder aufgestanden und immer wieder gesagt, das Leben beginnt jeden Tag aufs Neue. Also das lebe ich. Aber nicht im Kopf, sondern durch mich. Nicht, dass ich darüber nachdenke und vor allen Dingen die Liebe zu meiner Frau und zu meinen Kindern. Das ist das schöne Zusammensein mit anderen Menschen, die einem nahestehen, aber auch mit denen man sich trifft. Das trägt mich.
Vielen Dank, Herr Grönemeyer, dass Sie so offen über Ihre Erfahrungen gesprochen haben und auch Ihr Wissen hier geteilt haben. Heute war bei „Leben. Lieben. Pflegen“ das Thema Prävention ganz groß. Wer mehr von Ihnen auch lesen möchte, auch zu dem Thema, kann natürlich gerne Ihr Buch lesen. "Demenz gezielt vorbeugen, ganzheitlich behandeln, liebevoll begleiten“ heißt es. Ich verlinke es auch an den Shownotes.
Ja, ich nehme aus unserem Gespräch jetzt auch ganz viel mit aufs Wohlbefinden achten. Und diese schöne, hoffnungsvolle, wir können was tun. Also es ist nicht alles irgendwo vorbestimmt, sondern vieles haben wir in der Hand, nicht alles.
Und dass Prävention, also man schiebt das Thema Demenz ja gerne ganz weit nach hinten in irgendeine Ecke. Aber es fängt eigentlich heute an, denn ich glaube, je früher man sich gute Muster angewöhnt, auch wenn es darum geht, irgendwie schwierige Situationen zu verarbeiten, da profitieren wir eigentlich alle langfristig davon. Genau.
Gibt es noch einen Satz oder irgendwas, was Sie den pflegenden Angehörigen mitgeben möchten?
Genieße das Leben. Es ist kürzer, als du denkst. Und nimm jede Herausforderung wirklich an. Nicht verstecken. Annehmen. Und teile sie anderen mit. Das, was du als Lösung für dich selbst gefunden hast.
Für euch habe ich noch zum Abschluss ein paar News von Desideria. Desideria ist ein Verein, das sich für Angehörige von Menschen mit Demenz einsetzt und dazu ganz verschiedene Angebote hat. Zu diesen Angeboten gehören auch die Angehörigen-Seminare. Jede Seminarreihe besteht aus zehn Terminen, so je zwei Stunden. In kleinen Gruppen kommt ihr zusammen, angeleitet von erfahrenen Therapeuten und Therapeutinnen.
In den Seminaren erhaltet ihr Infos, aber vor allem ist es ein geschützter Raum zum Austausch. Und wir haben heute auch schon darüber gesprochen, wie wichtig es ist, sich mit anderen Angehörigen zu treffen, zu besprechen, vielleicht auch einfach nur zuzuhören manchmal. Das Angebot ist für Teilnehmende aus Deutschland kostenfrei. Die Termine findet ihr alle in den Shownotes.
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Werbung:
Zum Abschluss möchte ich mich noch einmal bei unserem Partner IEA Medical bedanken. Gerade im herausfordernden Alltag mit Demenz kann es helfen, wichtige Gesundheitswerte zu Hause im Blick zu behalten. Das Blutdruckmessgerät für den Oberarm liefert präzise und verlässliche Blutdruckwerte und das digitale Fieberthermometer ermöglicht eine schnelle und genaue Temperaturmessung.
Das sind nur zwei Beispiele aus dem Sortiment von IEA Medical. Ihr könnt das komplette Angebot ganz in Ruhe im Onlineshop unter iea-medical.com kennenlernen. Und mit dem Code DESIDERIA10 erhaltet ihr bis zum 20. Januar 10% Rabatt auf eure Bestellung. Den Link und den Code findet ihr in den Shownotes.
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Danke, dass ihr zuhört und Teil der Community seid. Teilt diese Folge gerne mit anderen Angehörigen und Interessierten. Wir freuen uns sehr über Likes und Bewertungen auf Apple Podcasts oder Spotify. Und genauso sehr freue ich mich, wenn ihr unseren Podcast abonniert. Das war Leben, Leben, Pflegen der Desideria Podcast zur Demenz und Familie. Heute mit meinem Gast Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer. Vielen Dank, dass Sie da waren.
Ich danke auch. Und nicht vergessen, singen und tanzen und leben. Das Leben ist eines der schönsten.
„Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria-Podcast zu Demenz und Familie.“
Redaktion Peggy Elfmann.
Produktion Till Wollenweber.
„Leben. Lieben. Pflegen“ ist ein Angebot von Desideria. Empfehlt diesen Podcast gerne weiter. Alle Folgen und Informationen findet ihr in den Shownotes, auf lebenliebenpflegen.de und auf Instagram unter desideria.ev