Transkript zur Folge Miteinander in Kontakt bleiben
Peggy Elfmann: Was ich jetzt aus unserem Gespräch über die Kommunikation ganz entscheidend mitnehme, ist, wie wichtig es ist, sowohl auf den anderen als auch auf sich selbst zu schauen. Man sollte sich bewusst sein, wie man kommuniziert und dass die Kommunikation nicht nur über Worte, sondern auch viel über Stimmung, Gestik und Mimik erfolgt. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Leben, lieben, Pflegen – der Podcast zu Demenz und Familie“. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Bloggerin auf Alzheimer und Weile.
Anja Kälin: Hallo und willkommen. Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz auf vielfältige Weise, beispielsweise durch Angehörigenschulungen und Coachings.
Peggy Elfmann: Anja und ich beschäftigen uns heute mit einem sehr wichtigen Thema: der Kommunikation. Es geht darum, wie sich die Kommunikation durch eine Demenzerkrankung verändert und worauf Angehörige achten können, um gut in Kontakt zu bleiben. Wie dies gelingen kann, erfahrt ihr heute hier im Podcast „Leben, lieben, Pflegen – der Podcast zu Demenz und Familie“. Bevor wir beginnen, möchten wir uns bedanken. Ein großer Dank geht an die Edit Habberland Wagner Stiftung, die uns finanziell bei der Produktion dieser Folge unterstützt. Ganz herzlichen Dank.
Anja Kälin: Peggy, wie ist es denn beim Thema Kommunikation, wenn du daran denkst? Was hat sich verändert, oder wie schaust du da heute drauf?
Peggy Elfmann: Die Kommunikation mit meiner Mama hat sich in den vergangenen elf Jahren erheblich verändert. Rückblickend betrachtet, begann diese Veränderung bereits vor der Diagnose. Damals wusste ich natürlich nicht, dass es an der Krankheit lag. Ich bemerkte jedoch, dass es nicht mehr wie gewohnt war, und führte dies darauf zurück, dass sie beispielsweise kein Interesse mehr zeigte. Normalerweise konnte ich sehr gut mit meiner Mama sprechen, ihr von meinem Alltag erzählen, und sie nahm immer großen Anteil daran, bestärkte mich in bestimmten Dingen und machte mir Mut. Manchmal, wenn ich ihr von meinen aktuellen Problemen erzählte – ich erinnere mich, dass es damals um die Kindergartensuche ging – wirkte es so, als würde es sie nicht interessieren. Ich fragte mich dann immer, ob ihr egal sei, wie es mir geht. Sie hatte sich sowieso zurückgezogen, aber ich fragte mich, ob es ihr egal sei und warum es nicht mehr wie immer war. Ehrlich gesagt, bezog ich es damals ein wenig auf mich selbst.
Anja Kälin: Das, was du berichtest, kann ich aus den Erzählungen vieler Familien und Angehöriger bestätigen. Sie kommen oft genau deshalb zu uns, weil sie das Gefühl haben, dass sich etwas verändert. Bei Desideria betreuen wir Familien, die Menschen mit Demenz begleiten und bereits eine Diagnose haben, und diese berichten rückblickend Ähnliches, wie du es beschrieben hast. Es gibt jedoch auch Familien und Angehörige, die besorgt sind, dass sich etwas verändert, es aber noch nicht richtig einschätzen können, da keine Diagnose vorliegt. Symptomatisch ist dabei, dass dies häufig auf die Beziehungsebene interpretiert wird.
Peggy Elfmann: Du meinst also, dass die veränderte Kommunikation tatsächlich ein Hinweis auf eine Demenz sein kann?
Anja Kälin: Das kann sein, muss es aber natürlich nicht. Es gehört jedoch zur Symptomatik, mit der man es zu tun hat, wenn man einen Menschen mit Demenz begleitet, dass sich die Kommunikation verändert. Je weiter die Demenz fortschreitet, desto sichtbarer wird diese Veränderung. Man kann zwar nicht genau sagen, wann dies eintritt – ob an Tag 100 oder 500, es kann sehr unterschiedlich sein. Aber irgendwann im Verlauf einer Demenzerkrankung verändert sich die Kommunikation tatsächlich, und damit ist nicht nur die Sprache gemeint, sondern alles, was die Kommunikation betrifft. Kommunikation ist letztlich ein Mittel zur Verständigung zwischen Menschen und hat immer eine beziehungsgestaltende Funktion. Damit geht meistens eine sehr große Verunsicherung einher.
Peggy Elfmann: Vielleicht können wir da etwas genauer hinschauen, besonders in die Anfangsphase der Demenz. Du hast gesagt, du erlebst bei vielen Familien Kommunikationsprobleme. Rückblickend hatte ich oft das Gefühl, dass wir aneinander vorbeireden oder dass wir die Mama Dinge fragen und sie nicht antwortet. Wo liegen hier die Herausforderungen beziehungsweise warum kommt es zu diesen Problemen?
Anja Kälin: Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Das bedeutet, es gibt mindestens zwei Personen, die sich über etwas austauschen, und es ist wichtig, ein gemeinsames Verständnis herzustellen. Dazu dienen sprachliche Mittel. Bei bestimmten Demenzformen, wie der Alzheimer-Demenz, treten sprachliche Probleme meist relativ früh auf. Wenn sprachliche Probleme wie Wortfindungsstörungen auftreten oder die betroffene Person Dinge nicht mehr benennen, einordnen oder erkennen kann, ist es für den Erkrankten extrem schwierig, seine Bedürfnisse, Gedanken oder das, was ihn beschäftigt, zu formulieren. Dadurch entstehen manchmal auch missverständliche Botschaften, die dann vielleicht vom Hörer, also vom Angehörigen, falsch verstanden werden. Ein Beispiel dafür ist ein vergessener Termin. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass unsere Mutter noch relativ früh in der Erkrankung war und immer wieder Termine vergessen oder Absprachen und teilweise ganze Gespräche sowie Gesprächsinhalte nicht mehr erinnern konnte. Meine Schwester fragte mich damals ein ums andere Mal: "Was ist mit der Mama los?" Sie war total wütend, als ich kam, weil sie nicht wusste, dass ich komme. Das irritierte meine Schwester total, und sie fragte sich: "Hä, warum sind wir nicht herzlich willkommen, so wie wir es sonst eigentlich immer sind?" Natürlich hat dies auch Auswirkungen auf die Beziehungsebene, und es entstehen leicht Missverständnisse, die dann erst einmal aus dem Weg geräumt werden müssen. Der Erkrankte hat vielleicht auch gar keine Möglichkeit, dies einzusehen, weil er sich ja nicht daran erinnern kann, dass er es vergessen hat.
Peggy Elfmann: Was du jetzt beschreibst, erfordert überhaupt erst einmal die Wahrnehmung, dass die Kommunikation anders ist oder dass der oder die Betroffene das Gesagte gar nicht so versteht. Wenn ich mich zurückerinnere, hat meine Mama ganz lange mit Floskeln geantwortet, die oft gepasst haben, zum Beispiel über das Wetter oder "Ja, wird schon alles gut". Eine gute Freundin besuchte mich damals und sagte: "Deine Mama wirkt doch ganz normal. Was ist denn?" Ich finde es sehr schwierig zu erkennen, dass der Austausch nicht mehr so möglich ist und dass das, was man immer gesagt hat, auf einmal gar nicht mehr so ankommt.
Anja Kälin: Ja, genau das ist es. Es ist ja nicht so, dass die Veränderung quasi von einem Tag auf den anderen komplett da ist. Der Unterschied ist nicht massiv, sondern schleicht sich ein und wird immer wieder an einzelnen Stellen bemerkbar. Es kann auch sein, dass sich drei Tage später wieder alles ganz normal anfühlt, weil vielleicht einfach ein guter Tag ist und die Symptome überhaupt nicht so sichtbar sind. Was in jedem Fall feststeht – und dazu gibt es tatsächlich Studien oder Befragungen – ist, dass diese als Kommunikationsstörung wahrgenommenen Probleme das Belastungsempfinden auf Seiten der Angehörigen sehr stark auslösen.
Denn wenn ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ich rede am anderen vorbei, oder er interessiert sich nicht für das, was ich sage, und reagiert nicht in der gewohnten Art und Weise, dann stelle ich natürlich zuerst die Beziehung oder mich selbst infrage, und das ist eine extreme Erschütterung. Dies führt tatsächlich auf beiden Seiten zu Problemen: Da ich dann vielleicht entsprechend reagiere, kann der Mensch mit Demenz wiederum mit dieser Reaktion nicht gut umgehen, und dann schaukelt sich das schnell auf. Mit diesen Problemen kommen Familien sehr häufig zu uns in die Beratung, weil es extrem belastend ist, wenn ich das Gefühl habe, mich vielleicht nur noch mit meinem Gegenüber zu streiten.
Peggy Elfmann: ...und wir eigentlich überhaupt kein gemeinsames Verständnis mehr über die Dinge erzielen. Ja, aber wie kann es denn gut gelingen, in Kontakt zu bleiben?
Anja Kälin: Was ich für essenziell halte, ist, dass ich sehr viel über Demenz und die verschiedenen Formen von Demenz weiß. Es gibt ja den Satz: "Es gibt so viele Demenzen, wie es Menschen gibt", aber trotzdem gibt es bestimmte Symptome, die bestimmten Arten von Demenz zugeordnet sind, beispielsweise Alzheimer, Frontotemporale Demenz oder Lewy-Body-Demenz. Dort sollte man sich ein bisschen orientieren; Wissen kann helfen. Denn dann kann ich Dinge, die ich im Verhalten meines Gegenübers beobachte oder wahrnehme, zuordnen. Ich glaube, es geht da auch noch einmal um die Trennung von Person und Krankheit.
Peggy Elfmann: Mhm. Hast du da ein konkretes Beispiel, das die Sprachfähigkeit oder die Sprachentwicklung bei einer Demenzform von einer anderen unterscheiden könnte?
Anja Kälin: Man sagt beispielsweise, dass sich bei einer Alzheimer-Demenz relativ früh Sprachstörungen, also wirklich in der Sprache, als Wortfindungsstörungen etc. entwickeln. Das ist bei anderen Demenzformen weniger der Fall. Und deswegen ist zum Beispiel die frontotemporale Demenz oft so schwierig zu diagnostizieren, weil diese Symptome gar nicht unbedingt auftreten. Dort sind eher Verhaltensveränderungen zu sehen. Es kann in jedem Fall helfen, sich dort ein bisschen zu orientieren und zu wissen, welches Spektrum an Symptomen eventuell auftreten kann. Das Zweite, was meiner Ansicht nach hilft, ist eine gewisse Empathiefähigkeit. Das bedeutet, sich in andere hineinzudenken. Dies kann ich nur, indem ich mich mit der Krankheit beschäftige und versuche, mich hineinzufühlen, wie es mir an seiner oder ihrer Stelle gehen würde, wenn ich ein Wort nicht finde. ...und mir denke: "Gott, Hilfe!" Es ist ja auch immer die Frage, wie bewusst der Erkrankte das wahrnimmt. Aber wenn er diese Veränderung wahrnimmt, wird er vielleicht Vermeidungsstrategien entwickeln und sagen: "Ich will nicht, dass ich ständig der Dumme in diesem Gespräch bin". Oder, wie du es gerade mit deiner Mutter erzählt hast, dass sie sich immer mehr aus den Themen zurückzog, weil es ihr vielleicht zu komplex wurde und sie gar nicht mehr in dem Maße reagieren konnte, wie sie es vielleicht früher getan hat oder tun wollte. Das kann ich beispielsweise bestätigen: Meine Mutter hat auf bestimmte Themen, mit denen ich gerne zu ihr gekommen bin, irgendwann gar nicht mehr reagiert. Und da war ich schon ein bisschen befremdet und dachte mir: "Hä?"
Peggy Elfmann: ...das war doch eigentlich so ein Lieblingsthema zwischen uns.
Anja Kälin: Ja.
Peggy Elfmann: Ja. Mhm. Ach so, eine Idee, wie man diesen Perspektivwechsel tatsächlich hinbekommt? Ich meine, ganz nachvollziehen kann man nie, was in Menschen mit Demenz vorgeht, aber dass man das irgendwie üben oder für sich in bestimmten Situationen anwenden kann.
Anja Kälin: Was mir beispielsweise sehr geholfen hat, ist, gute Bücher zu dem Thema zu lesen. Das sind Bücher, in denen Betroffene tatsächlich berichten, wie es ihnen ergangen ist. Ich erinnere mich da an ein Buch von Wendy Mitchell. Sie hat genau über die Situation geschrieben, in der sie merkte, dass sich bei ihr etwas verändert. Sie hat zwei Töchter und lebte alleine. Wie sie das alles bewältigte und ihre Töchter mit ins Boot nahm und was sie alles im Alltag erlebte und wie sie es erlebte – das hat mir sehr gute Einblicke gegeben, wie sich das wohl anfühlen muss. Das heißt, es gibt ja inzwischen, und darüber bin ich sehr froh, immer mehr Selbstbetroffene, die Erfahrungsberichte zur Verfügung stellen und aus ihrer Perspektive berichten, wie es ihnen geht, was sie sich wünschen und was sie brauchen. Zum Beispiel bietet Promen dazu ganz tolle Filme an. Das ist eine Organisation in Wien, die übrigens jetzt auch einen Podcast mit Selbstbetroffenen herausbringen, die einfach mal berichten: "Okay, wie fühlt sich das denn an?" Ich glaube, solche Einblicke geben eine Chance, diesen Perspektivwechsel hinzubekommen. Und natürlich kann man auch in Angehörigenschulungen, wie sie beispielsweise Desideria anbietet, in der Gruppe reflektieren, wie es dem eigenen Angehörigen vielleicht geht. Wir geben dort immer wieder Wissensimpulse, die dabei helfen, diesen Perspektivwechsel gut hinzubekommen.
Peggy Elfmann: Was hältst du von der Idee, direkt mit dem Angehörigen zu sprechen? Natürlich sind wir immer dafür, mit dem Angehörigen zu sprechen, unbedingt. Das möchte ich nicht infrage stellen. Aber kann so etwas helfen, zum Beispiel: "Verstehst du mich noch?" Oder "Was verstehst du?" Ich glaube, kann man darüber reflektiert reden und so erfahren, wie man besser miteinander redet?
Anja Kälin: Mhm. Das ist ganz spannend. Ich stelle fest, dass es durchaus Angehörige gibt, die sich sehr für das innere Erleben ihres erkrankten Angehörigen interessieren. Dies tun sie in erster Linie durch Zuhören: da sein, zuhören, mitfühlen, mitdenken, sich einlassen und sich Zeit nehmen. Dadurch hat man die Möglichkeit, Hinweise über das Erleben des anderen zu bekommen und sich dann Gedanken darüber zu machen. Ich glaube, das erfordert auch die Bereitschaft, sich einzulassen, darüber zu reflektieren, wie man sich verhalten und welche Angebote man machen kann, und dann wieder zu beobachten und wahrzunehmen, wie der andere darauf reagiert, ob es funktioniert. Ich glaube, das sind die Ideen oder die ersten Schritte in Richtung einfühlsamer Kommunikation. Und dann gehört natürlich auch das Nachdenken über sich selbst dazu. Man sollte nicht nur über die Bedürfnisse des Erkrankten nachdenken, sondern auch über die eigenen Bedürfnisse. Denn wenn ich einen guten Blick dafür habe, was ich brauche und wie es mir geht, kann ich in der Kommunikation solchen unschönen Situationen vorbeugen, in denen ich vielleicht selbst dünnhäutig werde und etwas gerade nicht aushalte. Das gelingt, indem ich vielleicht auch mal einen Raum schaffe, wo ich alleine bin, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich glaube, es gehört wirklich dazu, mich und den anderen zu verstehen und zu schauen, was zwischen uns passiert und wie wir das gut gestalten können. Das ist wiederum die Grundlage für eine gute Beziehung und eine gute Atmosphäre, und das ist wiederum für beide förderlich: für den Menschen mit Demenz und auch für mich als pflegender Angehöriger.
Peggy Elfmann: So wie ich dich verstehe, ist man als Angehörige*r eigentlich eher in der Verantwortung dafür, dass die Kommunikation gut gelingt. Es ist wichtig, auf die Bedürfnisse zu achten. Ich erinnere mich auch, dass meine Mama das nicht unbedingt wahrnehmen konnte, sondern dass es eher an uns lag, die Fragen richtig zu stellen. Aktuell ist es oder ist es schon länger so, dass meine Mama gar nicht mehr spricht, aber natürlich noch mit uns kommuniziert. Seitdem sich das so verändert hat, sind wir glaube ich diejenigen, die das irgendwie steuern müssen.
Anja Kälin: Da sprichst du etwas Wichtiges an: Man muss sich bewusst sein, dass sich die Welt des Betroffenen stark verändert und er immer weniger die Fähigkeit hat, diese zu gestalten. Dies liegt daran, dass er weniger Mittel und Möglichkeiten hat, seine Bedürfnisse zu transportieren oder seine Erlebenswelt zu erklären. Insofern kann man schon davon sprechen, dass es ein bisschen einseitiger wird und ich als pflegender Angehöriger in die Verantwortung genommen werde, dafür zu sorgen, dass gute Momente und auch gute Kommunikationsmomente entstehen. Dabei ist nicht nur die Sprache gemeint. Sprache ist ja nur ein ganz kleiner Teil der Kommunikation; es gibt auch die Mimik, die Gestik, die Körperhaltung und einfach das ganze Nonverbale. Dort kann ich gestalten, aber ich muss nicht nur Angebote machen, sondern auch in die Wahrnehmung kommen, um den anderen in den Botschaften zu verstehen, die er mir sendet. Und Menschen mit Demenz – da kannst du ja vielleicht gleich noch einmal dazu sprechen – ich habe schon das Gefühl, dass sie auch, wenn die Sprache verloren geht, durchaus noch andere Kommunikationskanäle haben. Wenn ich mich darauf einlasse und in die Wahrnehmung komme, kann ich auch Stimmungen gut erfassen. Meine Mutter beispielsweise hat, als sie nicht mehr gesprochen hat, sehr viel in Melodien, also in ihrer alten Satzmelodie, auf eine andere Art und Weise mit mir gesprochen, und ich konnte ihre Stimmung darüber schon sehr gut ablesen. Bei dir ist es ja gerade aktuell, glaube ich, so, dass deine Mutter immer weniger spricht oder gar nicht mehr. Vielleicht kannst du dazu noch einmal sprechen.
Peggy Elfmann: Ja, das hat sich über die vergangenen elf Jahre schon massiv verändert, wie wir miteinander kommunizieren oder wie meine Mama sprechen kann. Es fing damit an, dass wir nicht mehr telefonieren konnten, was am deutlichsten wurde, da wir früher immer telefoniert hatten. Das Telefonieren wurde dann immer weniger und kürzer, und irgendwann ging meine Mama gar nicht mehr ans Telefon, und nur noch der Papa war dran. Als ich das irgendwann bemerkte, dachte ich: "Krass, jetzt werde ich vielleicht nie wieder mit ihr telefonieren. Jetzt weiß ich gar nicht, wie es ihr geht, wenn ich nicht da bin".
Anja Kälin: Mhm.
Peggy Elfmann: Das ist dann irgendwie immer weniger geworden, und vor allem in größeren Runden zog sie sich anfangs zurück und sprach wenig. Aber wenn wir in einer Eins-zu-eins-Situation waren oder als Familie zusammen, hat sie schon noch erzählt, manchmal auch ganz überraschend, wie man so sagt, Dinge von früher. Ja, und dann hat sie Dinge durcheinandergebracht, aber das war eigentlich auch sehr schön. Ich bin auch gerne mit ihr spazieren gegangen, besonders gerne alleine, weil sie draußen irgendwie immer noch etwas gefunden hat beziehungsweise es für mich manchmal leichter war. Ich merkte dann bei mir, dass ich nicht genau wusste, worüber ich mit ihr reden konnte, weil ich nicht genau wusste, was sie versteht und wie sie antwortet. Dann gerät man in ein Überreflektieren und sagt gar nichts, obwohl es die Situation schwieriger macht. Es war irgendwie immer einfacher, draußen zu sein oder etwas zu tun und währenddessen zu reden.
Anja Kälin: Und das ist tatsächlich schon ein Tipp: Man sollte wirklich gut im Hier und Jetzt ansetzen, also über das kommunizieren, was gerade passiert. Dabei bieten sich Beschäftigungen wie Spazierengehen total an, weil man über das reden kann, was man gerade sieht und wahrnimmt. Zum Beispiel: "Schau mal, der blaue Himmel" oder "Ach, wie windig heute, nicht wahr?" Das sind schon sprachliche Angebote, bei denen man vielleicht leicht ins Gespräch kommt. Oder auch, wenn man gemeinsam etwas tut, wie gemeinsam im Garten arbeiten. Weniger abstrakte Gegebenheiten oder – wie ich es früher gerne gemacht habe – über meinen Beruf zu sprechen oder Dinge, die nicht in der räumlichen Umgebung waren und über die ich berichtete, brachten relativ wenig. Aber alles, was konkret im Hier und Jetzt stattfindet, das sind natürlich tolle Gesprächsanlässe, und dort findet Kommunikation meistens auch statt. Das ist letztlich unser Hinweis, schöne Momente zu gestalten; das sind natürlich für den Moment schöne Kommunikationsangebote.
Peggy Elfmann: Mhm. Ja, und ich erinnere mich, dass ich es auch immer sehr berührend fand, wenn meine Mama dann etwas gesagt hat. Ich erinnere mich an einen Spaziergang vor zwei Jahren: Das war wirklich das ganze Wochenende lang. Die Mama hat eigentlich nichts gesagt, vielleicht ein Wort, aber sonst war sie einfach sehr stumm. Und wenn man dann über eine Schafherde spazieren geht, und sie steht da, zeigt dorthin und sagt dann: "Ah, da die Schaf!", denkst du dir so: "Wie schön, deine Stimme zu hören!" Und es ist natürlich irgendwie auch traurig, weil ich dachte: "Mann, wie sehr ich es vermisse, dich zu hören!" Wenn es in diesen Momenten gelingt, das zu erleben, finde ich das als Angehörige einfach sehr schön. Und ich hatte auch das Gefühl, dass es meiner Mama irgendwie einen guten Moment gegeben hat, nicht wahr? Es war irgendwie etwas Gemeinsames.
Anja Kälin: Genau, genau. Da merkt man, dass Kommunikation plötzlich funktioniert, weil sie Verbindung schafft, Beziehung schafft. Und das ist ja letztlich die Zielsetzung: einen gemeinsamen Raum zu schaffen, in dem man in Kontakt und in Verbindung kommt. Und da sind wir schon beim zweiten Tipp: ehrliche Kommunikation, Kommunikation auf Augenhöhe und Kommunikation, die etwas bewirkt, also eine Gemeinsamkeit in Gang bringt. Deswegen ist beispielsweise auch – wenn man jetzt an den dritten Tipp denkt – die Verwendung einfacher Sätze wichtig. Man sollte möglichst nicht zu kompliziert oder zu theoretisch sprechen. Viele verfallen dann in eine Babysprache, aber das ist damit nicht gemeint. Klar, wir sollten versuchen, einfache Botschaften zu formulieren, auch Sprache, die eindeutig ist, und keine großen verschachtelten Sätze oder Ähnliches. Man sagt eher: "Komm, wir setzen Wasser auf" statt "Wir kochen Kaffee". Denn das beschreibt schon die einzelnen Schritte zum Ziel und grenzt die Tätigkeit genau ein, die wir jetzt gemeinsam machen können. Ja, also auch eine bildhafte Sprache nutzen.
Peggy Elfmann: Bildhafte Sprache. Genau. Die Deutsche Alzheimergesellschaft hat dazu auch eine wahnsinnig gute Übersicht mit ganz prägnanten Tipps. Die verlinken wir in den Shownotes, und dann könnt ihr euch das gerne auch mal anschauen. Ich finde, da kann man immer mal wieder gut draufschauen. Mhm. Wie geht man denn damit um? Es kommt ja auch ganz häufig in der Kommunikation vor, dass der Mensch mit Demenz, der Angehörige, Dinge sagt, die nicht stimmen, die irgendwie falsch sind. Das ist ja auch – ich erinnere mich an relativ viele Situationen bei uns, wo mein Papa, aber auch ich selbst, gerne versucht haben, das richtigzustellen. Und was sagst du denn dazu? Warum sollte man so etwas lieber unterlassen? Und welche Strategie hilft dann in diesem Moment? Es gibt dann auch Situationen, in denen die Mama sagt: "Ja, das musst du doch wissen, das war doch unser Mathelehrer". Und ich denke mir dann: "Nee, kann doch gar nicht sein, Mama, ich bin doch deine Tochter, wir hatten doch nicht den gleichen Lehrer". Solche Situationen finde ich schon sehr herausfordernd, damit umzugehen.
Anja Kälin: Ich würde sagen, wenn man längere Zeit mit Menschen mit Demenz zu tun hat und mit ihnen zusammenlebt, stellt man fest, dass dieses Argumentieren und die Frage "Wer hat Recht?" meistens nicht zielführend ist.
Peggy Elfmann: Gar nicht.
Anja Kälin: Häufig wird dann aber auch gesagt: "Na ja, aber dann lüge ich". Ja, das ist für mich auch schwierig, weil ich eigentlich schon ein Fan der Wahrheit bin. Ich glaube, ich würde hier tatsächlich eher von diesem Bild der zwei Welten ausgehen. Jeder lebt in seiner Welt, und ich muss versuchen, eine Brücke zu schlagen, was ich natürlich auch kommunikativ tun kann. Wenn Erinnerungslücken auftauchen, kann ich versuchen, diese so zu schließen, dass beide damit leben können. Wenig produktiv ist es, zu korrigieren, zu verbessern oder auf die Defizite hinzuweisen. Man kann es vielleicht etwas charmanter machen. Manchmal muss man ein bisschen üben, aber in der Regel bekommt man den Dreh raus, wenn ich es als eine Tatsache akzeptiere, dass diese Welten vielleicht nicht mehr deckungsgleich werden und dass das Teil der Krankheit ist und ich damit umgehen lernen muss. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen, dass er Unrecht hat oder dass ich Recht habe oder dass die Dinge so passiert sind, wie sie sich in meiner Welt darstellen. Insofern wäre der Tipp, diese Erinnerungslücken gemeinsam so zu schließen, dass es nicht im Streit endet.
Peggy Elfmann: Und was kann man da ganz konkret sagen? Also sagen: "Ah ja, mhm, dein Mathelehrer"? In Richtung Ablenken oder einfach weder mit Ja noch Nein antworten?
Anja Kälin: Ja, man könnte aber auch ganz konkret fragen: "Ah, dein Mathelehrer, ach, erzähl doch mal ein bisschen von dem, nicht wahr?" So wechselt man das Thema nicht abrupt, sondern geht ein bisschen tiefer auf diesen Mathelehrer ein, warum er jetzt in den Sinn kommt und wie er denn so war. Dann verheddert man sich nicht darin, ob es jetzt meiner oder deiner war oder unserer oder wie auch immer. Man kann letztendlich trotzdem Angebote machen und sagen: "Okay, wie können wir das jetzt umschiffen, ohne dass es in einer unangenehmen Situation endet?" Das ist natürlich jetzt beim Mathelehrer relativ einfach, und es gibt sicherlich Situationen, wo es schwieriger wird. Aber hier kann ich dann beispielsweise auch mit Humor arbeiten oder tatsächlich versuchen abzulenken, oder wenn es eine sehr brenzlige Situation ist, dann einfach in die fürsorgliche Autorität gehen und sagen: "Stopp, ich glaube, wir hören jetzt hier an der Stelle besser auf, weil wir müssen jetzt das und das machen". Ich glaube, darum kümmern wir uns jetzt im nächsten Schritt. Das wäre so eine Idee.
Peggy, jetzt hast du ja berichtet, dass ihr gerade auch viel mit der Situation konfrontiert seid, dass deine Mutter immer weniger spricht. Wie gehst du denn damit um? Oder wie kommst du mit deiner Mutter in Kontakt, oder auf welchen Kanälen kommunizierst du nach wie vor mit ihr? Kannst du das mal ein bisschen näher beschreiben?
Peggy Elfmann: Also, die Kommunikation hat sich schon deutlich von Wörtern hin zum Hinschauen und Hinsehen verändert, wie meine Mama mit dem Körper spricht. Bei meiner Mama kann man ziemlich viel von den Augen ablesen. Auch die Mundwinkel zeigen immer ganz gut, ob sie entspannt ist oder wie es ihr geht. Wenn ich ihr beispielsweise beim Essen helfe, bringt es mehr, einfach hinzuschauen, also zu gucken, ob die Mama noch etwas haben möchte, ob sie den Mund aufmacht, ob sie genießt, wenn sie kaut, als wenn ich sage: "Möchtest du noch etwas essen?" oder "Was möchtest du haben?" Solche Sachen. In anderen Situationen ist auch die Körpersprache, wie sie zum Beispiel mit Händen umgeht, wichtig. Bei uns ist ja auch dieses Thema des Gehens, des Aufstehens. Wenn ihr vielleicht etwas, also sie hatte eine Zeit lang eine kleine Wunde am Bein und geschwollene Beine. Es funktioniert einfach nicht, zu fragen: "Hast du Schmerzen?" oder "Passt es, wenn ich dir jetzt diesen Kompressionsstrumpf anziehe?" oder "Wie magst du es gerade haben?" oder "Kann ich dir das Bein hochlegen?" Das kann ich alles nicht mehr fragen. Dann muss man tatsächlich ein bisschen ausprobieren und dann darauf schauen, wie sie darauf reagiert. Verzieht sie die Mundwinkel? Spannt sie die Hände zu einer Faust an? Da habe ich immer das Gefühl: "Okay, es ist gerade irgendwas nicht so ganz in Ordnung. Sie fühlt sich gerade nicht so ganz wohl". Das sind jetzt die Zeichen, wo ich merke: "Okay, irgendwas passt nicht, oder ich muss etwas tun, oder es ist nicht so gut". Und was meine Mama auch sehr deutlich macht, ist mit Emotionen zu reagieren, also mit Traurigkeit oder auch mit Freude. In Situationen, in denen die Kinder da waren und beim Frühstück Quatsch erzählt haben, fing meine Mama an zu lachen. Da dachte ich, sie kann eigentlich gar nicht wirklich verstanden haben, was wir erzählt haben, aber die Situation war einfach sehr entspannt, und sie hat eben mit ihrem Gefühl darauf reagiert. Gleichzeitig kann ich mich gut an eine Situation erinnern, in der ich jemand anderem – und Mama war dabei – etwas Trauriges erzählte, wo es darum ging, dass ich traurig bin, dass wir irgendwie Abschied voneinander nehmen müssen, und meine Mama fing an zu weinen. Das sind Reaktionen, die von ihr kommen, und wo ich auch total merke, dass wir doch miteinander kommunizieren können. Es ist nicht so, dass das jetzt irgendwie weg wäre, sondern das ist immer noch da. Und es liegt natürlich auch in meiner Verantwortung, das aufzugreifen und mit ihr irgendwie auch in Kontakt zu kommen.
Anja Kälin: Mhm. Und da sprichst du ganz wichtige Themen an, zum Beispiel gerade beim Thema Schmerz oder so etwas. Ich glaube, es ist total wichtig, auf diese Mikrokommunikation zu achten: Gestik, Mimik, auch die Körperhaltung – dreht sich jemand weg. Und einfach auch, einerseits mit den Angeboten zu experimentieren, aber auch zu akzeptieren, wenn der Mensch mit Demenz mal gerade nicht will. Denn manchmal ist es so, dass das Bedürfnis der Angehörigen oft sehr hoch ist, diesen Kontakt zu haben, weil der Mensch ja irgendwie schon ein Stück weit vermisst wird, und die Kommunikation mit ihm. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, auch dafür ein Gespür zu bekommen: nicht nur auf die positiven Signale zu achten, sondern durchaus auch mal auf die Signale, bei denen man merkt: "Okay, das passt jetzt gerade nicht". Und da gehe ich jetzt vielleicht eher mal aus dem Kontakt, halte es aus und mache vielleicht in einer Viertelstunde oder einer halben Stunde ein neues Angebot.
Peggy Elfmann: Ja. Mhm. Das ist aber extrem schwer. Ich meine, ich möchte ja weiter mit dir in Kontakt sein, und es ist natürlich total schwierig, weil sie nicht redet. Aber dann versuche ich es, also es ist eher so ein Daneben-Sitzen und Streicheln, und ich habe schon das Gefühl, dass sie das mag, aber manchmal glaube ich auch nicht so unbedingt, und dann sitze ich da und denke: "Mist, jetzt sitze ich eigentlich neben meiner Mama, aber irgendwie ist sie auch nicht mehr da, und ich kann sie gerade nicht erreichen, weil sie ihre Augen zu hat und weil sie ganz woanders ist".
Anja Kälin: Und das ist natürlich die Herausforderung, das dann auch auszuhalten. Also im Sinne von, eine solche Situation auszuhalten und dann quasi auch wieder zu reflektieren: "Was ist das Motiv für dieses Verhalten gerade? Welches Bedürfnis könnte dahinterliegen, und wie kann ich dem jetzt gerecht werden?" Vielleicht akzeptiere ich auch einfach gerade, dass der Kontakt nicht möglich ist. Was ich jetzt aus unserem Gespräch über die Kommunikation ganz entscheidend mitnehme, ist, wie wichtig es ist, auf den anderen zu schauen und auch auf sich selbst zu schauen. Man sollte sich bewusst sein, wie man kommuniziert und auch, dass man nicht nur über Worte kommuniziert, sondern ganz viel eben auch über Stimmung, Gestik und Mimik.
Und was ich dabei sehr motivierend finde, ist, dass man tatsächlich herausgefunden hat: Wenn man die Beziehung und mit der Beziehung auch die Kommunikation gut gestaltet, geht es beiden Seiten besser – sowohl dem dementiell veränderten Menschen als auch einem selbst. Und ich finde, das ist ein großer Motivator, an dieser Stelle zu arbeiten, und ja, auch wenn es manchmal schiefgehen mag, vielleicht einen neuen Anlauf zu wagen und zu sagen: "Ich probiere es wieder und wieder und wieder". Das ist oft ein stetiges Üben, aber es kann mit großer Freude und Genugtuung belohnt werden.
Peggy Elfmann: Mhm. Das finde ich eigentlich ein wunderschönes Fazit, und es macht Hoffnung, dass man miteinander in Kontakt bleiben kann, auch wenn bestimmte Fähigkeiten verloren gehen.
Anja Kälin: Ja. Dann lassen wir es mal so stehen.
Peggy Elfmann: Genau, dann lassen wir es so stehen und wollen euch abschließend noch ein paar Infos mitgeben. Und zwar gibt es von Desideria Neuigkeiten: Es gibt eine neue Runde der Demenz Buddies, die demnächst anfangen, für die man sich noch anmelden kann. Anja, vielleicht magst du mal ganz kurz erzählen, worum es da geht und was dort passiert?
Anja Kälin: Also mit den Demenz Buddies bieten wir vor allem jungen Pflegenden, sogenannten Young Carers, die Möglichkeit, sich zu vernetzen und auszutauschen. Der Kurs findet immer einmal wöchentlich mittwochs von 18 bis 20 Uhr statt. Es ist eine Gelegenheit, sich mit Gleichbetroffenen auszutauschen, und es sind auch noch Plätze frei. Wenn du dich jetzt angesprochen fühlst oder jemanden kennst, der daran Interesse haben könnte, freuen wir uns sehr, wenn sich dieses Angebot herumspricht, denn es ist wirklich einmalig. Es ist eine Online-Gruppe, die quasi in ganz Deutschland kostenlos zur Verfügung gestellt wird, und wir freuen uns, wenn wir den Kurs wieder starten können.
Peggy Elfmann: Die Infos dazu stellen wir natürlich auch in die Shownotes, also sowohl, wann der Termin anfängt, als auch, wo ihr euch anmelden könnt.
Anja Kälin: Genau.
Peggy Elfmann: Ja, dann war's das mit dieser Folge "Leben, lieben, Pflegen – der Podcast zu Demenz und Familie". Vielen Dank auch an unsere Unterstützung bei der Technik, Valentin Rahm.
Anja Kälin: Genau, danke schön.
Peggy Elfmann: Wir hoffen, euch hat die Folge gefallen und freuen uns auch sehr über Feedback. Empfehlt den Podcast natürlich gerne weiter und seid beim nächsten Mal wieder mit dabei. Bis zum nächsten Mal. Tschüss.
Anja Kälin: Tschüss.