"Mir hat es geholfen, offen für Neues zu sein und mir Unterstützung für zuhause zu suchen"
Mein Mann Walter und ich hatten nie darüber gesprochen, wie es wäre, wenn einer von uns Hilfe benötigt. In seiner Familie gab es eine Oma und einen Onkel, die ebenfalls eine Demenz hatten. Dass das einmal bei uns Thema werden könnte, daran haben wir nicht gedacht. Nach dem Schlaganfall entwickelte Walter eine vaskuläre Demenz. Mir fiel es zuerst daran auf, dass er sich nicht mehr orientieren konnte. Er fuhr gerne Fahrrad, aber manchmal kam er verwirrt zurück und wusste nicht, wohin er eigentlich fahren wollte. Oder er ließ sein Rad irgendwo stehen und konnte sich nicht daran erinnern. Es war eine Herausforderung, mit meinem Mann über diese Veränderungen zu reden. Ich habe ihn einmal auf die zunehmende Vergesslichkeit angesprochen, da meinte er verärgert: „Du willst ja wohl nicht sagen, dass ich dement bin.“ Ja, was macht man da? Ich fand es am Anfang schlimm, auch weil ich nicht wusste, an wen ich mich wenden konnte und mich damit allein gefühlt habe.
Nach der Diagnose sagte die Ärztin, dass ich auf Dauer Hilfe brauchen werde. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Durch die Ärztin hatte ich den Kontakt zur Caritas und habe dort einen Kurs für Angehörige von Demenzkranken gemacht. Ich weiß noch, wie ich dachte: „Wieso soll ich einen Pflegegrad für Walter beantragen? Was soll das bringen?“ Doch es war gut, dass ich da erstes Wissen zur Pflege und zum Thema Demenz bekam. Im Alltag war es anfangs oft schwierig, weil ich Walters Verhalten nicht einordnen konnte. Er sprach und wirkte so wie immer, aber er verhielt sich anders, irgendwie unwillig. Es kam zu Diskussionen, auch weil ich dachte, er müsste das doch kapieren. Ich war zunehmend damit beschäftigt, ihn zu beschäftigen, und das kostete Kraft. Walter hat immer gern gebastelt. Meine Tochter hat ihm geholfen, sein großes Modellschiff fertigzustellen. Später hat er Herrnhuter Sterne gebastelt – feinmotorisch ging das wunderbar. Manches klappt auch heute noch gemeinsam, wie Apfelscheiben trocknen oder Walnüsse aufsammeln. Aber ich stehe immer in der Verantwortung, und das strengt an. Mein Hobby ist das Bridgespielen. Seit Jahren ist dienstags mein Bridge-Nachmittag und diese Auszeit hat mir immer Kraft gegeben. Zu Beginn konnte ich Walter noch alleine lassen, irgendwann nicht mehr. Meine Kinder unterstützten uns, aber sie sind ja in ihren Alltag mit Beruf und Familie eingebunden. Über das Studierendenwerk habe ich dann einen Aushang an der Universität gemacht und eine Studentin gesucht, die gegen Hilfe bei uns wohnen möchte. Nur ein paar Stunden später hat sich Fernanda gemeldet, eine junge Studentin aus Mexiko. Sie kam ein paar Tage später vorbei und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Seit über einem Jahr wohnt sie nun bei uns.
Im Laufe der Jahre mit Walters Demenz war ich immer wieder gefordert, mich anzupassen und auf etwas Neues einzulassen. Jemanden zu suchen und bei uns wohnen zu lassen, hat mich Überwindung gekostet. Aber dadurch habe ich Unterstützung für Demenz-Angehörige gefunden und wieder mehr Zeit für mich und kann auftanken. Und das ist so wichtig geworden, denn mit Walter kann ich mich nicht mehr austauschen. Außerdem bin ich ja die ganze Zeit in der Verantwortung. Walter geht mittlerweile auch montags bis freitags in eine Tagespflegeeinrichtung. Trotzdem ist es zu Hause einfach anstrengend, ganz alleine zu betreuen. Fernanda tut uns gut, weil sie Fröhlichkeit, Herzenswärme und jugendliche Leichtigkeit mitbringt. Sie sorgt aber auch für Stabilität und Verlässlichkeit. Ich denke, es ist wichtig, genau vertraglich festzuhalten und zu besprechen, was man erwartet. Bei uns sind es 23 Stunden Mithilfe im Garten und bei der Betreuung. Mir war zum Beispiel wichtig, dass Fernanda Dienstag nachmittags bei Walter ist, damit ich Bridge spielen kann. Sie gehen in der Zeit spazieren, schauen fern und essen Abendessen. Walter kommt sehr gut mit ihr aus. Für ihn ist sie ein netter Besuch. Mein Mann hat früher gut Englisch gesprochen. Neulich hat er mich überrascht, als er zu Fernanda sagte: „You can stay as long as you want to.“ Auch wenn es schwer ist, es lohnt sich, Neues auszuprobieren.
Ich kenne die Idee von „Wohnen gegen Hilfe“ schon länger und finde sie sehr gut. Als ich mich diesbezüglich einmal erkundigt habe, hieß es, dass Menschen, die Pflege benötigen, davon ausgeschlossen sind. Das ärgert mich. Warum denkt man denn so in Schubladen? Demenz ist ja ein weites Feld, und man kann den Menschen schon zutrauen, dass sie selbst einschätzen, was sie benötigen. Ich brauche für Walter keine Person, die körperliche Pflege übernimmt, sondern jemanden, der regelmäßig Dienstag nachmittags bei uns ist, mit Walter Zeit verbringt, ein gutes Gemüt hatund und ihn im Alltag begleitet. Ich glaube, dass es vielen Menschen so geht wie uns. Ich weiß auch aus Walters Tagespflege, dass der Fachkräftemangel ein Problem ist. Aber die Menschen werden nunmal älter, erkranken an Alzheimer oder anderen Demenzformen und benötigen Unterstützung. Da müssen wir in der Gesellschaft doch offener werden und kreative Lösungen finden. Denn feststeht auch, dass es überfordert, wenn eine Person allein pflegen muss.

Als ihr Mann Walter an Demenz erkrankte, war Christel Bucksch noch nicht klar, wie herausfordernd die Krankheit im Alltag werden würde. Doch die Diskussionen, die Betreuung, die Verantwortung – all das wurde mit dem Fortschreiten der Demenz immer anstrengender. „Ich war zunehmend damit beschäftigt, ihn zu beschäftigen und das kostete Kraft“, sagt Christel Bucksch. Seit vielen Jahren war dienstags ihr Bridge-Nachmittag, diese Auszeit hatte ihr immer Kraft gegeben. Nun aber hatte sie kaum mehr Zeit dafür. Nach der Idee von „Wohnen gegen Hilfe“ hat sie sich Unterstützung organisiert. „Jemanden zu suchen und bei uns wohnen zu lassen, hat mich Überwindung gekostet. Aber dadurch habe ich Unterstützung gefunden und wieder mehr Zeit für mich und kann auftanken“, erzählt Christel Bucksch. Seit einem Jahr wohnt eine mexikanische Studentin bei Familie Bucksch. Fernanda tue ihnen gut, weil sie Fröhlichkeit und Herzenswärme mitbringe, aber auch Stabilität und Verlässlichkeit. Christel Bucksch wünscht sich mehr Offenheit und Mut, dass auch Kommunen solche Lösungen anbieten oder unterstützen.