
Wohnen
Wohnen bei Demenz bedeutet mehr als ein Dach über dem Kopf. Es geht um Sicherheit, Orientierung und Selbstbestimmung im Alltag. Um möglichst lange selbstbestimmt leben zu können, benötigen Menschen mit Demenz angepasste Wohnungen und Lebensräume.
In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Darunter sind viele der 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Gleichzeitig sind von den 37 Millionen Wohnungen (inklusive Einfamilienhäuser) nur 560’000 Wohnungen, das sind 1,5 Prozent, barrierearm, also ohne Schwellen, Stufen und mit ausreichender Bewegungsfreiheit. Verbesserungsbedarf besteht auch bei der Gestaltung von Städten und Wohnquartieren. In diesem Zusammenhang werden oft die Worte «demenzfreundlich» oder «demenzgerecht» verwendet, die man eigentlich durch «menschenfreundlich» ersetzen sollte. Der Ethiker, Pfleger und Buchautor Michael Schmieder findet nämlich, dass sich die Bedürfnisse eines Menschen mit der Diagnose kaum ändern.
Im Zentrum stehe die Wertschätzung, und die äußere sich auch, indem man für diese Menschen angemessene Lebensräume schaffe. Wer helle, freundliche, barrierefreie Wohnungen mit Bewegungsfreiheit, klarer Orientierung und vielen Sitzgelegenheiten baut, der baut vor allem menschenfreundlich.
Demenzfreundlich ist vor allem menschenfreundlich
Passender Name hin oder her: Labels wie demenzgerecht, demenzfreundlich oder age friendly lösen sehr positive Entwicklungen aus. Denn sie sorgen dafür, dass sich Verwaltungen, Firmen, Institutionen, Architekten und Bauherren mit der Thematik befassen und passende Lebensräume erschaffen.
Wohnen bei Demenz: Grundsätzliche Überlegungen
- Wo sind die Gefahrenquellen?
- Was braucht die erkrankte Person, was macht sie gerne?
- Was kann ich selbst anpassen, wo brauche ich fachliche und/oder finanzielle Unterstützung?
- Verändern Sie nicht zu viel auf einmal.
- Seien Sie flexibel – die Krankheit und die Bedürfnisse verändern sich.
- Denken Sie auch an sich und an Ihren Rückzugsraum.
So verbessern Sie die Wohnsituation
- Entfernen Sie unnötige Möbel und Hindernisse. Empfehlenswert sind breite, ebenerdige Türen, schwellenlose Zugänge zu Balkon oder Terrasse und eine ebenfalls ebenerdige, geräumige Dusche mit Haltegriffen und rutschfesten Fliesen. Das Bett im Schlafzimmer sollte von drei Seiten bequem zugänglich und höhenverstellbar sein.
- Kennzeichnen Sie die Türen mit persönlichen Gegenständen und Symbolbildern. Zimmertüren lassen Sie am besten offen – oder Sie können sie entfernen.
- Bei der Orientierung in der Nacht helfen Bewegungsmelder und Leuchtstecker.
- Reduzieren Sie die Anzahl der Gegenstände und schaffen Sie trotzdem eine behagliche Atmosphäre.
- Unterstützen Sie die zeitliche Orientierung mit einem großen Kalender und einer Digitaluhr mit großen Ziffern und ausgeschriebenem Wochentag.
- Bei allein lebenden Menschen mit Demenz ist ein gut sichtbares Notizbuch hilfreich, in dem alle ihre Einträge machen können.
- Schaffen Sie eine ruhige Atmosphäre, reduzieren Sie den Lärm von TV und Radio.
- Ältere Menschen brauchen viel Licht. Vermeiden Sie aber grelles Licht und Schattenwurf.
- Setzen Sie wichtige Gegenstände mit Kontrast von der Umgebung ab (zum Beispiel WC-Brille, Lichtschalter, Zahnputzbecher, Schlüsselanhänger).
- Muster und Ornamente auf Tapeten oder Tischtüchern, spiegelnde Flächen etc. verwirren Menschen mit Demenz.
- Große Fensterflächen sollten Sie mit Klebern oder Vorhängen sichern, damit der Betroffene nicht hineinläuft.
- Beseitigen Sie Stolperfallen.
- Haltegriffe im Bad oder beim WC erhöhen die Sicherheit.
- Leuchten Sie Treppen gut aus. Bringen Sie auf jeder Stufe/Kante einen Signalstreifen an. Beidseitig verlaufende Handläufe sichern.
- Überlegen Sie sich früh, ob ein Wechsel der Zimmer oder der Etage Sinn macht.
- Platzieren Sie gefährliche Gegenstände (Medikamente, Putzmittel, Pflanzenschutzmittel etc.) außer Reichweite.
- Informieren Sie sich über Elektrogeräte mit Sicherheitsmechanismen.
- Vorsicht beim Rauchen und mit brennenden Kerzen.
- Sorgen Sie dafür, dass geschlossene Räume von außen aufgeschlossen werden können.
- Hinterlegen Sie bei allein lebenden Menschen mit Demenz beim Nachbarn einen Zweitschlüssel.
Alltagshilfen im Umfeld
Auch das gewohnte Lebensumfeld außerhalb ihrer Wohnung kann für Menschen mit Demenz so gestaltet werden, dass sie Orientierung, Bewegungsfreiheit, Schutz und Wertschätzung erhalten. In vielen Städten und Gemeinden sorgen lokale Unterstützungsstrukturen dafür, dass Betroffene ihren Alltag weiterleben und am Sozialleben teilhaben können.
Dazu gehören barrierefreie Straßenübergänge sowie genügend Sitzbänke und Handläufe ebenso wie Informationsstellen, Nachbarschaftshilfe und Spaziergruppen. Auch die Beschäftigten von Supermärkten, Sparkassen oder Polizei können den angemessenen Umgang mit demenziell Erkrankten in speziellen Trainings erlernen.
Im Rahmen ihrer Initiative «altersfreundliche Städte» hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein globales Netzwerk aufgebaut, das mit dem Austausch von Ideen, Fragen und Praxisbeispielen hilft, das direkte Wohnumfeld von älteren Bürgern und auch von Menschen mit Demenz bestmöglich zu gestalten. Um in das Netzwerk aufgenommen zu werden, müssen Städte darlegen, dass sie angemessene Maßnahmen treffen, um den Lebensraum in ihren Städten altersfreundlich zu gestalten. Im deutschsprachigen Raum schließen sich immer mehr Städte diesem Netzwerk an.
Auch das Schweizerische Förderprogramm Socius der Age-Stiftung will ältere Menschen dabei unterstützen, länger zuhause leben zu können. Die Teilnehmenden haben unter anderem Anlauf- und Informationsstellen eingerichtet, Nachbarschaftshilfe organisiert und Wohnassistenzen etabliert.
Wohnen im Pflegeheim
Auch Pflegeeinrichtungen können architektonisch so gestaltet werden, dass sie Menschen mit Demenz in ihren Alltagsaktivitäten unterstützen und ihr Wohlergehen fördern. Zu den wichtigsten Handlungen, die sie noch lange selbstständig und aus eigenem Antrieb tun können, gehört die Fortbewegung. Sicherheit und Orientierung dafür bieten hindernisfreie Flure und Wege, die wie ein Rundweg angelegt sind.
Rampen statt Treppen ermöglichen den Bewohnern, gefahrlos von einem Stockwerk ins andere zu gelangen. Wichtig sind auch Freiräume für Begegnungen von Betreuern und Patienten, ebenso wie private Nischen, in denen sich die Menschen mit Demenz zurückziehen können, ohne alleingelassen zu werden.
Fußböden und Möbel aus Holz strahlen auch für Menschen mit Demenz Wärme aus. Handläufe aus Holz eignen sich, weil Betroffene gern mit den Händen darüberfahren und sie beim Gehen als Orientierung nutzen. Auch die richtige Beleuchtung beugt der Sturzgefahr vor, ebenso Ängsten oder Depressionen. Viel Licht bedeutet eine höhere Lebensqualität, und das Tageslicht ist die beste und billigste Lichtquelle. Es hilft demenziell Erkrankten außerdem, sich im Tagesverlauf besser zu orientieren und einen natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus aufrechtzuerhalten.
Bei der Farbgestaltung, der Raumakustik und der Stimulation durch Bilder oder Düfte ist Reizüberflutung ebenso zu vermeiden wie Reizarmut. Räume, die mit allen Sinnen erfahren werden können, fördern bei vielen Betroffenen das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Generell aber sind die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz so vielfältig, dass es für die architektonische Gestaltung ihres Lebensumfelds keine Patentrezepte gibt. Gute Architektur zeichnet sich dadurch aus, dass sie menschliche Lebensräume schafft – für Menschen mit oder ohne Demenz.
Eine demenzgerecht eingerichtete Wohnung schützt die Menschen durch Barrierefreiheit vor Stürzen und anderen Gefahren, ermöglicht Orientierung und verringert durch einfache Handhabung von Geräten und Möbeln mögliche Frustration.
© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria
Weitere Fragezeichen im Kopf?
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