„Die Demenz meiner Mama bringt viele Probleme, die wir in der Familie schon lange haben, ans Licht.“
Meine Mutter erhielt 2019 die Diagnose Demenz, aber die ersten Symptome traten schon zwei Jahre vorher auf. Meine Eltern hatten einen neuen Herd gekauft, aber Mama konnte damit nicht umgehen. Es waren viele kleine Auffälligkeiten im Alltag. Irgendwie veränderte sich meine Mama und war nicht mehr die, die ich kannte. Ich vermutete eine depressive Episode und schlug vor, zur Psychologin zu gehen und das abzuklären. Mein Vater hat das Zepter übernommen, mal wieder, und stellte direkt in Frage, ob das wirklich notwendig sei. 2019 gingen sie dann endlich zum Neurologen und der stellte eine Demenz fest. Ich habe mir in den vergangenen Jahren viel Wissen über Demenz angelesen und mache mir viele Gedanken, wie ich meine Eltern unterstützen kann. Aber ich stehe damit alleine da, habe zudem auch keine Geschwister. Ich habe das Gefühl, mein Vater verdrängt die Krankheit. Er wehrt viele Unterstützungs- und Hilfsangebote, die ich vorschlage, ab. Gleichzeitig stellt er große Forderungen an mich und erwartet, dass ich für meine Mutter und ihn bedingungslos da bin. Zum Beispiel beim Pflegeheim. Eines Tages wird das Thema werden, wenn Mama noch mehr Pflege benötigt. Doch mein Vater wehrt sich dagegen und möchte nicht darüber sprechen. Wenn ich ihm sage, dass ich mir Sorgen mache, dass ihm etwas passieren könnte und wir einen Plan benötigen für diesen Fall, wiegelt er ab und sagt: ‚Wenn mir etwas passiert, dann musst du dir etwas überlegen und unternehmen.“. Mir kommt es so vor, dass die Demenz meiner Mama viele Probleme, die wir in der Familie schon immer hatten, verschärft und alte Wunden bei allen von uns aufbrechen. Ein Miteinander ist so kaum möglich.
Nach vielen Diskussionen hat mein Vater es zugelassen, dass ich mich informiere und die Mama bei einer Tagespflegeeinrichtung anmelde. Ich habe mit ihr auch im Demenz-Chor gesungen. Meine Arbeitszeit habe ich reduziert und versuche viel Zeit mit meiner Mutter zu verbringen. Das mache ich gerne, aber die Art meines Vaters macht es mir oft schwer. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie er das möchte, bekomme ich seinen Unmut ab. Ich habe für mich gemerkt, dass ich Hilfe brauche und so habe ich mich auf die Suche nach Unterstützung gemacht. Ich habe an einer Angehörigenschulung teilgenommen. Als diese beendet war, habe ich mit initiiert, dass die Teilnehmenden sich auch weiterhin online zum Austausch treffen.
Durch meine eigene langjährige Therapieerfahrung wusste ich, dass mir Selbsthilfegruppen guttun. Mir hilft es auch jetzt, in der Gruppe über meine Situation mit meinen Eltern zu reden. Im Austausch mit anderen bekomme ich Informationen und gebe mein erworbenes Wissen weiter. Ich kann meine Gefühle und Gedanken reflektieren. Die Situation mit meinem Vater ist schwierig. Ich habe mich deswegen lange schuldig gefühlt, weil ich dachte, ich bemühe mich nicht genug. Aber ich habe gelernt, dass das nicht so ist und ich ihn nicht ändern kann. Wenn ich für meine Mama da sein möchte, muss ich gut auf mich achten und die Situation für mich in den Griff bekommen. Die Angehörigengruppe ist für mich dabei sehr hilfreich. Wir sind zwar an verschiedenen Punkten auf unserer Reise mit der Demenz, aber das Miteinander gibt mir Kraft. Es tut gut zu hören, dass andere ähnliche Erfahrungen machen. Ich fokussiere mich auf Dinge, die ich für mich tun kann, um mit der Situation klarzukommen. Mein Alltag ist so von der Demenz meiner Mutter und meinem Vater dominiert, ich habe gelernt, mir Auszeiten zu nehmen, als Ausgleich. Das sind für mich vor allem meine Reisen, wie neulich nach London und Paris und der Besuch von Konzerten.
Es wäre schön, wenn Menschen ihre Scheu und Angst vor dem Thema Demenz ablegen könnten. Meine Eltern hatten immer einen großen Freundeskreis, aber jetzt ist fast niemand mehr übrig – und das tut mir weh. Meine Mutter war immer für alle da und mir kommt es so vor, dass sie nun alleine gelassen wird. Sie war immer sozial und ist auf andere Menschen mit offenen Armen zugegangen. Ihre Freundinnen von früher und Bekannte haben sich zurückgezogen. Ich wünsche mir, dass die Menschen ihre eigenen Befindlichkeiten zurückstecken. Es passiert doch nichts, wenn man einen Menschen mit Demenz trifft. Die Krankheit ist nicht ansteckend. Und es bräuchte gar nicht viel, um meiner Mutter etwas Gutes zu tun. Mal eine Stunde mit ihr spazieren gehen oder gemeinsam singen. Wenn ich Mama besuche, habe ich oft das iPad dabei. Damit hören wir Musik und singen. Mama ist noch da und ihr Lachen ist da – das ist schön.
Nadine Overkamp begleitet ihre Eltern auf dem Weg mit der Demenzerkrankung, seitdem ihre Mutter 2019 die Diagnose erhielt. Doch dabei tun sich alte Rollenmuster auf und die sind schwierig. „Mein Vater verdrängt die Krankheit. Er wehrt alle Unterstützungs- und Hilfsangebote, die ich vorschlage, ab. Gleichzeitig stellt er große Forderungen an mich und erwartet, dass ich für meine Mutter und ihn bedingungslos da bin“, sagt Nadine. Für sie ist es eine Herzensaufgabe, sich um ihre Mama zu kümmern, aber zugleich ist es herausfordernd aufgrund des Konflikts mit dem Vater. Nadine hat für sich eine Strategie gefunden: sich mit anderen Angehörigen zu vernetzen. Sie organisierte eine Online-Gruppe für Pflegende und engagiert sich in einer Angehörigengruppe bei Desideria. Ihr Fazit: „Ich fokussiere mich auf Dinge, die ich für mich tun kann, um mit der Situation klarzukommen.“