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Newsbeitrag

Nachgefragt: Wie hilft Familien-Mediation, Martin Schönacher?

28.02.2025

Wenn ein Familienangehöriger an einer Demenz erkrankt und zunehmend Pflege benötigt, müssen Angehörige oft auch schwere Entscheidungen treffen. Doch welche die richtige ist, darüber sind sie sich oft uneinig und es kann zu Diskussionen führen und alte Wunden aufreißen. Desideria-Familiencoach und Mediator Martin Schönacher erklärt, warum solche Gespräche oft eskalieren, wie eine Familien-Mediation helfen kann und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Lieber Martin, was genau versteht man unter Familien-Mediation?

Eine Familien-Mediation ist im Grunde genommen ein strukturiertes Gespräch. Ich gebe den Teilnehmenden eine Struktur an die Hand, um das Thema in mehreren Stufen zu besprechen. So lassen sich Konflikte konstruktiv angehen.

 

Warum gelingt das in einem normalen Gespräch denn nicht?

In Gesprächen passiert es schnell, dass man von einem Thema zum nächsten hüpft und dass sich Interessen, Bedürfnisse und Gefühle vermischen. Wenn es nun darum geht, in einem Gespräch eine wichtige Entscheidung zu treffen, beispielsweise ob die Mutter mit Demenz in ein Pflegeheim ziehen soll, und die Teilnehmenden unterschiedliche Ansichten dazu haben, dann kann so ein Gespräch leicht eskalieren. Statt sich über das Thema auszutauschen und zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen, bleibt man dann in einem Wollknäuel der Emotionen und Vorwürfe stecken und kommt nicht weiter.

 

Warum kommt es überhaupt zu Konflikten, wenn ein Familienmitglied an einer Demenz erkrankt ist?

Die Demenz an sich ist nicht die Ursache, sondern nur der Auslöser. Erwachsene Familienmitglieder leben sich häufig auseinander und haben unterschiedliche Ansichten, Werte und Einstellungen. Wenn jemand aus der Familie an einer Demenz erkrankt und zunehmend Unterstützung und Hilfe benötigt, müssen gemeinsame Haltungen und Entscheidungen gefunden und getroffen werden. Die Kinder müssen also wieder näher zusammenrücken, manchmal nicht ganz freiwillig.

 

Wie erlebst du das konkret?

Nehmen wir als Beispiel ein Geschwisterpaar. Der Bruder wohnt in Berlin, die Schwester in der Nähe der Mutter im Allgäu. Sie kümmert sich um die Mutter, aber kommt mit der Pflege zunehmend an ihre Grenze. Sie wünscht sich professionelle Unterstützung. Der Bruder kommt eher selten zu Besuch und hat das Gefühl, dass alles gut läuft und seine Schwester übertreibt. Bei einer Familienfeier wollen sie das Thema „Unterstützung für Mutter“ besprechen, doch es eskaliert. Er wirft ihr vor, sie würde übertreiben. Sie kontert, er würde sich nicht kümmern. Es kommt monatelang zur Funkstille zwischen den beiden.

 

Was ist da passiert?

Das eigentliche Thema „Welche Unterstützung braucht unsere Mutter?“ wurde von eigenen Bedürfnissen und alten Konflikten überlagert.

 

Was ist dann deine Rolle als Mediator?

Meine Aufgabe ist es nicht zu sagen, was richtig oder falsch ist oder wer Recht hat. Ich bin allparteilich und neutral. Wenn einer sagt: „Die Wiese ist gelb.“ und der andere: „Die Wiese ist weiß.“, dann ist es nicht meine Aufgabe zu sagen: „Die Wiese ist grün.“ Meine Perspektive spielt keine Rolle, die beiden müssen miteinander klarkommen. Ich bin in dem Gespräch nicht für den Inhalt verantwortlich, sondern für die Struktur. Wenn sich die Teilnehmenden vom eigentlichen Thema wegbewegen, dann führe ich sie wieder zurück. Ich unterstütze dabei, Verständnis füreinander zu entwickeln und Emotionen zu besprechen. Eine wichtige Aufgabe ist es, die Bedürfnisse der Gesprächsteilnehmer überhaupt sichtbar zu machen, auch für jeden selbst.

 

Warum ist es so wichtig, dass die Bedürfnisse beachtet werden?

Die Bedürfnisse sind immer da. Unser Verhalten resultiert aus unseren Bedürfnissen. Wir sind uns ihnen allerdings oft nicht bewusst. Wenn sie uns bewusst sind, können wir besser damit umgehen und es gelingt besser, auf der Sachebene zu bleiben. Diese Sachebene ist die, auf der die Geschwister dann eine Entscheidung für die Mutter treffen können.

 

Das ist gar nicht so einfach, oder?

Nein, das ist es nicht. Gerade, wenn wir uns um einen Angehörigen kümmern, kommen viele Emotionen und Gedanken auf. Wenn wir noch mal zu dem Beispiel zurückgehen: Da drängt die Tochter vielleicht auf einen Umzug ins Pflegeheim, weil sie Angst hat, die Pflege nicht leisten zu können und sich und ihr eigenes Leben zu verlieren. Das so klar zu sehen und zu äußern, fällt ihr dennoch schwer, weil sie auch der Meinung ist, sie müsste für die Mutter da sein.

 

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um eine Familien-Mediation in Betracht zu ziehen?

Es ist selten zu früh und nie zu spät. Um ein bisschen konkreter zu werden: Ich würde nach einem eskalierten Gespräch zur Mediation raten. Oder wenn ich das Gefühl habe, nicht frei sprechen zu können oder es immer wieder zu Missverständnissen kommt. Wenn Sand im Getriebe steckt, ist es besser, man entfernt diesen frühzeitig, bevor die ganze Maschine zum Stehen kommt.

 

Wie läuft eine Familien-Mediation konkret ab?

Ich biete für Desideria Mediation in Präsenz sowie digital an. Ich finde es gut, wenn man beim ersten Gespräch gemeinsam an einem Ort zusammenkommt. Dann schauen wir individuell, legen das Ziel fest und hangeln uns an der Struktur entlang. Im Verlauf können Einzelgespräche stattfinden, oft auch digital. Manchmal lässt es sich räumlich gar nicht anders einrichten. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Online-Gespräch so etwas wie ein Brückenbauer war. Manche Menschen fühlen sich da sicher. Der konkrete Ablauf ist immer individuell.

 

Das klingt nach sehr vielen Gesprächsterminen. Ist das so?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dennoch geben häufig zwei oder drei Sitzungen schon wichtige Impulse. Dann ist sicher noch nicht alles gelöst, aber die Teilnehmenden sind in einer anderen Energie und können selbstständig gut weiter sprechen. Die Entscheidung, die sich anfangs vielleicht wie ein Riesenberg angefühlt hat, kann man in vielen kleinen Schritten nun selbst angehen. Es kommt auch vor, dass Teilnehmende in einem größeren Zeitraum immer wieder Termine wünsche, um den erreichten Erfolg zu sichern.

 

Und was ist, wenn nicht alle an einen Tisch kommen wollen? Macht dann eine Familien-Mediation überhaupt Sinn?

Wenn sich jemand entzieht, dann ist das nicht ideal. Aber dennoch kann eine Mediation helfen und zurück in die Selbstwirksamkeit bringen. Als systemischer Therapeut bin ich überzeugt, dass jede Veränderung eine Auswirkung hat. Wenn man sich im Gespräch mit den eigenen Bedürfnissen und Mustern beschäftigt, setzt das etwas in Gang und beeinflusst das Miteinander. Die Tochter, die beispielsweise immer die Initiative ergreift, aber gleichzeitig überfordert ist, wird sich ihrer Gefühle und Bedürfnisse bewusst – und kann ihr Verhalten ändern.

 

Wie kann es gelingen, dass der Angehörige mit Demenz in die Mediation einbezogen wird?

Das Gespräch dreht sich ja um diese Person und doch passiert es leicht, dass deren Sicht und Bedürfnisse übergangen werden. Ich finde es eine schöne Idee, dieser Person einen Platz im Raum zu geben. Man kann dazu einen Stuhl aufstellen oder einen Gegenstand benutzen, der die Person symbolisiert. Ich erinnere mich an eine Frau, die einen besonderen Stein dabei hatte, der stand für ihren Mann und dessen positive Kraft. 

 

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