
Herausforderndes Verhalten
Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz kann Angehörige und Pflegende stark belasten. Es zeigt sich durch Unruhe, Schreien, Aggressivität oder auch durch stille Rückzugsphasen. Oft steckt dahinter kein „Problemverhalten“, sondern eine Reaktion auf Schmerzen, Ängste, Überforderung oder nicht erfüllte Bedürfnisse.
Der Begriff stammt ursprünglich aus der Behindertenhilfe und beschreibt Verhaltensweisen, die von außen als unangemessen oder belastend wahrgenommen werden, zum Beispiel:
- Rufen oder Schreien
- Verweigern von Essen, Pflege oder Medikamenten
- Weglaufen
- Enthemmtes Verhalten (z. B. Entkleiden, Schmieren mit Kot)
- Apathie und Teilnahmslosigkeit
Verhalten als Ausdruck von Bedürfnissen
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen extrinsisch und intrinsisch motiviertem Verhalten:
- Extrinsisch: äußere Reize wie Lärm, Hitze, Kälte, bedrängende Personen
- Intrinsisch: innere Auslöser wie Schmerzen, Hunger, Durst, Schlafmangel, Krankheit
Gerade Menschen mit Demenz haben ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, Ruhe und Geborgenheit. Wenn dieses Grundgefühl gestört ist, etwa durch Stress, Zeitdruck oder Unsicherheit, kann es zu sogenanntem herausforderndem Verhalten kommen.
Was die Forschung sagt
In ihrem Buch „Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz verstehen“ benennen Bartholomeyczik, Halek und Holle mehrere Auslöser:
- Verbales Verhalten (z. B. Rufen): oft Reaktion auf Schmerz, Unbehagen, Einsamkeit
- Aggressives Verhalten: tritt häufig bei der Körperpflege auf, wenn sich Betroffene bedrängt fühlen
- Agitiertheit: kann bei Fixierung oder zu wenig Bewegungsfreiheit entstehen
Ursachen erkennen – mit System
Eine bewährte Methode zur systematischen Ursachenklärung ist die Serial Trial Intervention (STI):
- Körperliche Ursachen prüfen: Schmerzen, Hunger, Durst, Krankheit?
- Emotionale Ursachen betrachten: Fehlt Nähe, ist die Umgebung stressig?
- Berührung & Entspannung anbieten: Massagen, ruhige Klänge, Snoezelen (Kombination aus Kuscheln und Dösen)
- Medikamentöse Hilfe prüfen: Erst wenn alle anderen Maßnahmen nicht helfen, kann die Gabe eines Schmerz- oder Beruhigungsmittels in Betracht gezogen werden
Beziehung und Kommunikation
Nicht zu unterschätzen: Zwischenmenschliche Faktoren wie Sympathie und Antipathie. Manchmal erinnert eine Pflegeperson an eine belastende Figur aus der Vergangenheit, das kann Stress oder Abwehrverhalten auslösen. Auch Äußerlichkeiten wie Geschlecht oder Hautfarbe können emotionale Reaktionen hervorrufen.
Demenzexperte André Hennig betont: Wenn eine Pflegeperson abgelehnt wird, sollte das ernst genommen werden – auch wenn es gesellschaftlich als Tabu gilt. Respektvolle, personenzentrierte Pflege bedeutet, auf solche Signale einzugehen.
Begriffe hinterfragen: Was bedeutet „herausforderndes Verhalten“ wirklich?
Der Begriff „Herausforderung“ ist nicht neutral: Laut Duden bedeutet er unter anderem „Provokation“ oder „Aufforderung zum Kampf“. Damit wird ein Verhalten beschrieben, das absichtsvoll wirkt, was der Realität bei Demenz jedoch meist nicht gerecht wird.
In Kanada wurde daher der Begriff „Responsive Behavior“, also „antwortendes Verhalten“, als Alternative vorgeschlagen. Diese Sichtweise macht deutlich: Verhalten entsteht im Zusammenhang mit Umwelt, Kommunikation und inneren Zuständen, nicht aus reiner Absicht.
© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria
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