Transkript zur Folge Wenn Partner ins Pflegeheim ziehen
Peggy Elfmann: Es ist wirklich ein Prozess. Ich habe mich ein Jahr damit beschäftigt, immer wieder innerlich gedacht, dass ich jetzt Abschied nehmen kann. Ich konnte es nicht. Es ging einfach nicht. Und es ist immer noch ein Prozess. Es ist aber so, dass ich mir das über den Kopf klar mache: Es muss sein und es geht nicht anders.
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Leben, lieben, Pflegen, der Desideria Podcast zu Demenz und Familie. Ich bin Peggy Elfmann, Journalistin und Blogger auf Alzheimer und We.
Anja Kälin: Hallo und willkommen. Ich bin Anja Kälin, Familiencoach und Mitgründerin von Desideria Care. Wir begleiten Angehörige von Menschen mit Demenz und bieten Coachings sowie Angehörigentreffen und Schulungen an.
In der vorherigen Folge haben Anja und ich ja über den Umzug ins Pflegeheim gesprochen, und auch in dieser Folge ist das Thema. Allerdings geht es um eine andere Perspektive, und zwar sprechen wir darüber, wie das ist, wenn der Partner oder die Partnerin in ein Heim oder eben in eine Demenz-WG zieht. Dazu haben wir uns einen Gast eingeladen, Heide Hällfritzsch. Liebe Heide, schön, dass du heute bei uns bist.
Heide Hällfritzsch: Ja, vielen Dank. Ich bin gern gekommen.
Peggy Elfmann: Doch bevor wir anfangen, möchten wir noch Danke schön sagen. Ein großer Dank geht an Desideria Care. Der Verein ermöglicht uns die Produktion dieser Folge. Ganz herzlichen Dank.
Anja Kälin: Desideria Care engagiert sich für Angehörige von Menschen mit Demenz und macht ihre Leistungen sichtbar. Damit wir das auch weiterhin tun können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wir freuen uns über jede Spende.
Peggy Elfmann: Ja, liebe Heide, ich freue mich sehr, dass du da bist. Wir hatten dich ja schon mal als Gast im Podcast. Ist schon eine ganze Weile her. Wir haben gerade so dieses Thema Pflegeheim für uns entdeckt und haben gemerkt, wie weit das ist und wie unterschiedlich auch die Perspektiven sind. Anja und ich zum Beispiel haben, glaube ich, eine andere Perspektive als Partner oder Partnerinnen, und würden gerne mit dir heute darüber sprechen. Wie ist denn der aktuelle Stand bei euch? Vielleicht kannst du die Zuhörer da ein bisschen mit reinnehmen.
Heide Hällfritzsch: Also, der aktuelle Stand ist: Seit vier Monaten ist mein Mann in einer Einrichtung, und zwar ganz. Also, er wohnt nicht mehr zu Hause und ich bin allein. Und das Alleinsein muss man tatsächlich erst wieder lernen. Es ist nicht einfach, es ist auch todtraurig. Auf der einen Seite freue ich mich, dass er gut untergebracht ist, dass ich wieder Freiheiten habe. Auf der anderen Seite bin ich sehr traurig – ich muss immer gleich heulen – bin ich sehr traurig, dass er nicht mehr neben mir sitzt.
Peggy Elfmann: Mhm. Also, ist einfach eine neue Situation. Heide, vielleicht erzählst du noch mal, wie es zu dieser Entscheidung kam. Also, vor vier Monaten ist Klaus umgezogen. Wie wurde für dich deutlich, dass es nicht mehr geht?
Heide Hällfritzsch: Er war davor in einer sehr guten Tagespflege, und ich wurde natürlich schon immer wieder darauf hingewiesen, dass es irgendwann so weit ist, dass ich mich trennen muss, weil ich das einfach nicht mehr schaffe. Ich schaffe es psychisch nicht, ich schaffe es physisch nicht. Es hing alles an mir. Und er ist immer wettlaufgefährdet. Ich habe ihn schon mehrfach von der Polizei wieder gebracht bekommen, die ganze Hygiene. Es hing praktisch alles an mir. Und wie gesagt, ich wurde auch immer wieder aufmerksam gemacht von meinem Hausarzt, von der Tagespflege, und ich habe dann letztes Jahr den ersten Versuch angefangen und hätte einen schönen Platz gehabt, und konnte nicht. Ich konnte mich nicht entscheiden. Ich konnte mich einfach nicht trennen. Und das war letztes Jahr zweimal, dass ich dann einfach, alle sagen, das war der Sechser im Lotto. Ich habe gesagt, ich kann es nicht.
Peggy Elfmann: Mhm. Okay.
Heide Hällfritzsch: Ja. Und dann kam das dritte Angebot, und das war jetzt kurz vor Weihnachten. Und dann habe ich gedacht: So, das neue Jahr beginne ich jetzt einfach neu, und jetzt muss ich den Schritt wagen, und ich habe ihn gewagt.
Peggy Elfmann: Was war denn diesmal anders? Also, wenn du sagst, du hattest schon Angebote und es war eigentlich wie ein Sechser im Lotto. Hat sich für dich in der Zeit etwas verändert oder in eurem Zusammenleben?
Heide Hällfritzsch: Ja, nein, im Zusammenleben hat sich nichts verändert. Es war nach wie vor anstrengend, aber ich habe einfach die Zeit gebraucht, um mich zu verabschieden.
Peggy Elfmann: Mhm.
Heide Hällfritzsch: Um zu sagen: Ich war immer wieder traurig und habe mir dann immer wieder gesagt: "Irgendwann musst du den Schritt wagen. Und wenn ich den jetzt nicht wage und mir passiert etwas – ich bin ja genauso alt wie mein Mann –, dann muss er irgendwohin". Ich habe mir das natürlich alles vorher angeschaut, ich habe genau gewusst, wo er hinkommt. Und das war meine Angst, dass ich ihn dann einfach irgendwo abgeben muss und den Platz, den ich ausgesucht habe, nicht mehr wahrnehmen kann.
Peggy Elfmann: Mhm.
Heide Hällfritzsch: Und deshalb habe ich dann beim dritten Mal – wie gesagt, alle guten Dinge sind drei – habe ich mir gedacht: Ich muss es jetzt machen. Es gibt kein Zurück mehr.
Anja Kälin: Das heißt, Heide, wenn ich dir so zuhöre, hört sich das an wie so ein Prozess. Ja, als dass es nichts ist, was man von heute auf morgen entscheidet, sondern dass es irgendwie so mehrere Runden braucht und vielleicht auch mehrere Gelegenheiten, bis man dann eventuell einen Schritt wagt, weil man auch merkt: Okay, die Alternativen sind nicht sehr vielversprechend.
Heide Hällfritzsch: Genau, es ist wirklich ein Prozess. Ich habe mich ein Jahr damit beschäftigt, immer wieder innerlich gedacht, dass ich jetzt Abschied nehmen kann. Ich konnte es nicht. Es ging einfach nicht. Und es ist immer noch ein Prozess. Es ist aber so, dass ich mir das über den Kopf klar mache: Es muss sein und es geht nicht anders.
Anja Kälin: Du hast auch noch ein Wort in den Mund genommen, was ich schon häufiger gehört und auch gelesen habe und wovon mir auch in den Coachings oder Beratungen gerade mit Partnern berichtet wird, dass sich diese Entscheidung, dem Partner einen Heimplatz oder eine andere Wohnform zu finden, wie eine Trennung anfühlt.
Heide Hällfritzsch: Ja, das ist auch eine Trennung. Das ist wirklich eine Trennung. Obwohl mein Mann ja nicht mehr sprechen kann, ist trotzdem eine Beziehung da, und ich verstehe ihn auch nonverbal nach wie vor. Und es ist einfach ein Unterschied, ob er abends zum Beispiel mit mir im Raum sitzt oder ob ich alleine bin. Das ist ein riesen Unterschied, auch wenn ich mich mit ihm nicht unterhalten kann, aber er ist da, er ist neben mir, und er ist einfach mein Mann. Ist es okay für dich oder wird zu?
Peggy Elfmann: Okay.
Anja Kälin: Mhm. Ich glaube, das, was du gerade beschreibst, empfinden viele Partner so, und deswegen haben wir uns eben auch heute dafür entschieden, auch dieser Perspektive noch mal mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht gehen wir noch mal den Schritt weiter gedanklich. Also, das heißt, jetzt ist es ja so, dass Klaus seit vier Monaten in diesem – ist es eine Pflegeeinrichtung? – wohnt. Wie geht es denn Klaus dort?
Heide Hällfritzsch: Ich habe das Gefühl, dass er entspannt ist, und das ist mir die Hauptsache, und dass er auch eine wirklich liebevolle Betreuung hat, und das ist für mich das Allerwichtigste. Und wenn ich komme – also ich komme zweimal die Woche –, dann ist er immer entspannt, und wir gehen spazieren. Manchmal fahre ich auch mit ihm irgendwo an den See und gehe da spazieren. Und am Anfang hatte ich Angst, dass er dann vielleicht mit mir nicht zurückgeht, aber das war überhaupt kein Problem. Er ist aus dem Auto ausgestiegen, wir sind zu der Einrichtung gegangen, und da muss man ja klingeln, bis jemand kommt und aufmacht, und er ist sofort mit mir reingegangen und hat alles so akzeptiert, wie es ist. Und das ist für mich die Hauptsache.
Peggy Elfmann: Mhm. Wie fühlt sich das für dich an, ihn da so zu sehen und zu besuchen?
Heide Hällfritzsch: Also, das fühlt sich für mich gut an, wenn ich das Gefühl habe, er ist gut aufgehoben. Ich sitze immer noch gerne mit ihm oder in seinem Zimmer, was er von selbst gar nicht findet. Also meistens ist er dann im Aufenthaltsraum, wo viele sind und wo es auch schön und freundlich ist und ein Garten davor und so. Aber ich sitze gern dann in seinem Zimmer, und dann mache ich Musik an, was er liebt, was er auch nicht selber machen kann, oder ich mache ihm den Fernseher an. Und das ist ein schönes Gefühl, ihn so neben mir zu haben.
Peggy Elfmann: Mhm.
Heide Hällfritzsch: Und dann bin ich aber auch so nach zwei, drei Stunden, wenn ich das Gefühl habe, er sitzt so bei sich, dann gehe ich auch gerne wieder. Dann denke ich: Ach, schön. Jetzt bist du frei und kannst machen, was du willst. Du kannst jetzt heute Abend einfach ins Kino gehen. Oder du kannst heute Abend einfach Freunde treffen. Oder du kannst jetzt einfach mal ein paar Tage wegfahren. Das ist dann schon ein tolles Gefühl, und das habe ich ja jahrelang nicht gehabt, und das versöhnt einen dann wieder.
Peggy Elfmann: Mhm. Jetzt, Heide, wenn du sagst, okay, du kannst ins Kino gehen, Freunde einladen oder wegfahren: Tust du das auch? Also, nutzt du diese Zeit für dich?
Heide Hällfritzsch: Ja. Ja, das tue ich, weil sonst würde ich ja völlig vereinsamen. Nee, nee, also, ich gehe auch gerne alleine ins Kino. Und jetzt war ich auch fünf Tage weg, und dann kommt meine Tochter und besucht ihn. Ich versuche das auch irgendwie zu regeln, dass er nicht eine Woche ganz allein ist. Ja, da habe ich schon ein gutes Gefühl, dass das alles passt, aber es ist immer noch so ein Hintergedanke: Man hätte es halt noch ein Jahr ausgehalten und noch ein Jahr. Und dann ist es aber auch wieder vorbei. Dann denke ich: Nee, es wäre gar nicht gegangen.
Peggy Elfmann: Mhm. Jetzt berichtest du ja, dass es Klaus in der Einrichtung ganz gut geht. Also, es ist ja wahrscheinlich sehr hilfreich für diesen Prozess, in dem du dich auch befindest, dass du sagst: Okay, er ist da gut aufgehoben, gut versorgt. Wenn du dort bist, dann verbringt ihr eigentlich auch sehr entspannte Zeit, so wie sich es anfühlt, und du kannst es auch ein Stück weit genießen, Zeit mit ihm in der Einrichtung zu verbringen. Was mich jetzt noch mal so interessieren würde: Wie hat denn dein Umfeld quasi diese Entscheidung aufgenommen? Wie waren denn da die Reaktionen?
Heide Hällfritzsch: Also, meine Familie, meine Kinder haben das alle mitgetragen, die waren alle einverstanden. Wir haben uns das alle zusammen vorher angeschaut. Ich habe sie extra mitgenommen, weil ich die Entscheidung nicht alleine treffen wollte. Und sie waren einverstanden mit dem Platz. Das Wichtigste überhaupt ist meine Familie, meine Kinder, die das akzeptiert haben, die mich unterstützt haben, die mich auch jetzt noch unterstützen, und meine Freunde sowieso. Die sehen das inzwischen auch als Bereicherung für mich, weil ich in vielen Dingen wieder mitmachen kann und nicht mehr zeitlich gebunden bin.
Heide Hällfritzsch: Also, da habe ich überhaupt kein Problem. Das ist eher mein inneres Problem, dass ich immer noch denke, so ein bisschen dieses Gefühl: "Hätte ich es halt noch ein Jahr ausgehalten". Aber ich glaube, das wäre auch in zwei Jahren so gewesen. Dieses immer unterschwellige Schuldgefühl: "Jetzt hast du ihn abgegeben". Aber das hätte ich immer gehabt.
Peggy Elfmann: Mhm. Ja.
Heide Hällfritzsch: Und insofern, glaube ich, der Zeitpunkt ist immer hart und die Trennung immer hart. Aber ich habe mir jetzt so viel Zeit gelassen mit Ja und Nein und Ja und Nein, mit Für und Wider, und jetzt ist es so weit.
Peggy Elfmann: Mhm. Habt ihr – also, hast du und der Klaus – habt ihr das jemals noch thematisieren oder darüber sprechen können, über diesen Fall, dass es vielleicht zu Hause nicht mehr geht oder ob ein Pflegeheim infrage kommt?
Heide Hällfritzsch: Nee, haben wir nicht drüber gesprochen, weil ich auch das Gefühl hatte, er versteht es gar nicht. Und ich hatte den Vorteil, dass er wirklich ein paar Jahre erst einmal in der Woche, dann zweimal in der Woche, dann die ganze Woche in der Tagespflege war, und da hat er sich sehr wohlgefühlt, und die war auch wirklich sehr toll.
Anja Kälin: Und von daher war er das einfach gewohnt, auch weg zu sein.
Peggy Elfmann: Ja, ich wollte gerade sagen, es ist wie so eine Art Vorbereitung vielleicht, oder so habe ich das manchmal genommen.
Heide Hällfritzsch: Genau. Genau. Wie eine Vorbereitung, und das war es auch, weil er, wenn er nachmittags kam, dann wäre er auch wieder mit dem Fahrer zurückgefahren, weil der unglaublich liebevoll mit ihm umgegangen ist. Also, ich hatte nicht das Gefühl, dass er jetzt unbedingt mich gerade braucht. Er ist sehr gut auch mit anderen Personen zurechtgekommen.
Anja Kälin: Aber das ist auch sein Charakter, das war schon immer sein Charakter, dass er sehr gut mit seiner Umwelt und mit seinen Mitmenschen und als Arzt sowieso sehr gut mit Leuten zurechtkam. Ich kann mir vorstellen, dass es auch für dich so eine Art Vorbereitung war, zu sehen, dass er gut mit anderen Menschen klarkommt und dich jetzt nicht als ausschließliche Person braucht oder du nicht so ein fixer Anker bist, sondern es auch woanders funktioniert.
Heide Hällfritzsch: Das war ganz wichtig, das war ganz wichtig zu sehen, dass er sich auch da wohlfühlt mit anderen Leuten und mit Pflegern. Da waren ja auch Pfleger, und das war wirklich eine Vorbereitung, das stimmt. Und das habe ich ja wirklich über Jahre jetzt gemacht. Aber es bleibt dann natürlich immer noch die Nacht und das Wochenende. Und ja, wenn er geht, dann geht er, nicht wahr? Das gehört zu der Krankheit auch dazu. Die Kontrolle den ganzen Tag, da war ich schon sehr gestresst oft.
Peggy Elfmann: Mhm. Wenn wir noch mal diesen Entscheidungsprozess anschauen: Ich habe auch mal gehört, dass man irgendwie an einem Punkt genau weiß: "So, und jetzt ist der Zeitpunkt". Das ist ja wie so eine Schwelle, über die man drüber muss. Welchen Tipp oder was hast du da gelernt für dich aus dieser Entscheidung, wie du damit umgegangen bist? Was wäre für die Hörer oder Hörerinnen eine Empfehlung, die du geben würdest?
Heide Hällfritzsch: Ja, der erste Schritt ist natürlich, sich damit auseinanderzusetzen und einfach auch den Wunsch zu haben, ihn irgendwann abzugeben, und den Punkt zu erreichen, dass man auch bereit ist, dass man merkt: Man schafft es nicht mehr, und dann muss man den Schritt tun. Der ist hart, aber man muss ihn in erster Linie dann – so ging es mir – über den Kopf machen. Ich habe ihn wirklich über den Kopf gemacht. Ich habe versucht, alle Gefühle wegzudrücken, die ja immer wieder am Anfang kommen, um diesen Schritt überhaupt zu machen, um mir einfach zu sagen: Es muss jetzt so sein, er hat einen schönen Platz, und ich muss es jetzt wahrnehmen, und ich muss jetzt den letzten Schritt tun und ihn abgeben.
Peggy Elfmann: Mhm. Okay, aber es geht nur über den Kopf. Inwieweit hat dir da dein Umfeld oder deine Familie auch geholfen, bei diesem Schritt, dann auch tatsächlich bei diesem physischen Schritt, bei diesem Neuanfang?
Heide Hällfritzsch: Na ja, meine Familie hat mir immer geholfen, schon beim ersten, beim zweiten Mal, als ich so gezögert habe: "Ja, nein". Da waren sie immer dafür, dass ich das jetzt mache, und haben mich auch bestärkt und waren dann etwas irritiert. Beim zweiten Mal, muss ich sagen, dass ich wieder einen kurzfristigen Rückzieher gemacht habe.
Und beim dritten Mal haben sie dann gesagt: "Na ja, jetzt warten wir mal ab, wie du dich entscheidest". Und dann habe ich mich tatsächlich entschieden. Aber sie haben mich natürlich sofort unterstützt und haben mir mitgeholfen. Wir haben sein Zimmer eingerichtet und Bilder aufgehängt, und sie sind natürlich auch immer da und besuchen ihn. Also, von daher habe ich eine große Unterstützung.
Peggy Elfmann: Ich glaube, das ist auch für viele wichtig, Anja, oder? Also, ich habe es bei meinem Papa erlebt, für den war das wichtig, dass er da nicht alleine gelassen wurde, sondern dass wir das gemeinsam irgendwie gemacht haben. Und du erzählst das jetzt, ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Angehörigen so geht, Anja.
Anja Kälin: Ja, definitiv. Also, das heißt, es hilft einmal, wenn man hier gemeinschaftlich sich gegenseitig in dieser Entscheidung bekräftigt und bestärkt und auch gemeinsam vielleicht zu dieser Einsicht kommt: Das ist jetzt wahrscheinlich die beste Lösung. Gleichzeitig aber eben auch geduldig damit umgeht, wenn man vielleicht ein, zwei, drei Anläufe macht. Ich kriege das wirklich immer wieder mit, dass so viele Menschen eben mehrere Anläufe auch wirklich brauchen, und ja, eventuell diese Entscheidung auch noch ein- oder zweimal nachjustiert werden muss, dass vielleicht dann doch noch mal ein Umzug in eine andere Wohnform oder in eine andere Einrichtung notwendig ist. Oder ich habe es eben auch schon erlebt, dass Menschen dann noch mal für eine Zeit zurückgekommen sind und man es dann noch mal versucht hat oder eben auch vielleicht noch mal andere Konzepte ausprobiert hat. Das ist also einfach etwas, was manchmal vielleicht im ersten Schritt gut läuft, aber oft oder viel öfter, als man denkt, Zeit und Geduld und vielleicht auch ein, zwei Anläufe braucht.
Heide Hällfritzsch: Das stimmt. So ist es, genauso fühle ich mich auch. Ja.
Anja Kälin: Und ich glaube, der zweite Punkt, der in dem Gespräch deutlich wird, ist einmal diese Entscheidung und zum anderen der Umgang mit den Gefühlen, die dann auftauchen. Und ich glaube, die sind halt einfach auch sehr einzigartig im Kontext einer Paarbeziehung. Das ist halt noch mal eine ganz andere Dimension als die, die wir das letzte Mal besprochen haben aus der Töchter- oder Söhneperspektive, also sprich aus der Kinderperspektive hier. Es spielen halt einfach ganz andere Aspekte, Motive und natürlich auch Gefühle eine Rolle. Und die braucht noch mal einen anderen Blick, noch mal einen anderen Umgang, noch mal eine andere Reflexion und auch noch mal vielleicht eine andere Zeit, um mit diesem Schmerz, den das eventuell auch auslöst, und der Trauer, die damit verbunden ist, umzugehen und eine neue Perspektive aufzubauen, sprich zu sagen, wie fühlt sich jetzt quasi mein Leben an mit dieser neuen Form des Zusammenlebens. Ja?
Anja Kälin: Weil der andere ja immer noch da ist, aber es ist eben nicht mehr die geteilte Wohnung oder das geteilte Haus. Und da erlebe ich einfach auch häufig in diesen Gesprächen mit den Partnern oder Partnerinnen, die gesund sind, dass es sehr viel Zeit und Reflexion und ja, Geduld braucht, da sich auch für sich selber in dieser neuen Situation einzuleben.
Peggy Elfmann: Mhm. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch etwas ist, auf das man sich nicht so richtig gut vorbereiten kann. Also, man kann natürlich den Einzug ins Pflegeheim vorbereiten, sich das anschauen, aber wie es einem dann wirklich damit geht, also wie es dir wirklich damit gegangen ist, das konntest du wahrscheinlich nicht planen oder dich irgendwie darauf vorbereiten, Heide, oder?
Heide Hällfritzsch: Nee, da konnte ich mich nicht vorbereiten. Aber ich wusste das. Ich wusste das, dass ich wahrscheinlich viel Zeit brauche, um Abschied zu vollziehen. Ich merke auch, dass es mit der Zeit besser wird.
Peggy Elfmann: Mhm.
Heide Hällfritzsch: Dass ich mich zwischendurch wirklich ganz wohlfühle und vor allem frei fühle. Aber es ist wirklich ein Prozess. Es ist nicht einfach. Man braucht Zeit, aber man hat zumindest noch die freie Wahl. Das, was mich immer beruhigt, ist, dass ich die freie Wahl habe, den Platz auszusuchen und nicht irgendwann gezwungen bin, dass er irgendwohin kommt.
Peggy Elfmann: Mhm.
Heide Hällfritzsch: Und es tröstet mich auch, und ich denke, es ist auch gut so, wie es ist.
Peggy Elfmann: Mhm. Gibt es noch etwas, was du dir wünschen würdest, was dir jetzt in deinem Prozess helfen würde?
Heide Hällfritzsch: Ich glaube, ich kann mir nur selber helfen. Es sind alle unglaublich herzlich. Meine Kinder stehen dahinter, die Freunde freuen sich für mich, dass ich mehr Freiräume habe, dass ich nicht mehr so belastet bin, und diesen Abschiedsprozess, den muss ich mit mir selber ausmachen. Da kann mir auch keiner helfen, den muss ich selber bearbeiten. Aber so ist es einfach beim Abschied. Wobei den Abschied natürlich – ich habe ihn ja und ich bin auch froh, dass ich immer wieder hinfahren kann und mit ihm zusammen sein kann. Aber der Abschied vom täglichen Leben, von unserem Leben, was wir seit mehr als 50 Jahren jetzt geführt haben, das muss ich mit mir selber ausmachen.
Anja Kälin: Genau. Es ist innere Arbeit, und so wird es auch immer wieder beschrieben, nicht wahr? Veränderung bedeutet auch innere Veränderung und die Suche nach einem Umgang damit.
Heide Hällfritzsch: Ja. Und ich habe wirklich auch viel Unterstützung gekriegt. Das muss ich noch sagen: Die Zeit, wo die Krankheit überhaupt anfing und ich mich damit auseinandergesetzt habe, da habe ich Unterstützung von meiner Familie. Dann habe ich über Desideria Care unglaubliche Unterstützung gekriegt, um überhaupt diese Krankheit anzunehmen und für mich zu akzeptieren, dass sich etwas ändert. Also, insofern habe ich es eigentlich schon gut gehabt. Ich habe das Gefühl, ich bin begleitet worden und ich bin nie allein dagestanden, weder eben in dieser Begleitung noch in meiner Familie, mit meinen Freunden. Das ist nach wie vor sehr positiv, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Ein großes Hallo an euch, an Desideria. Ja, dieses Gefühl, nicht allein zu sein in all dem, was da so um einen herum passiert, ist extrem hilfreich.
Anja Kälin: Genau. Danke dir, Heide, für diese offene und sehr ehrliche Art, über das, was du gerade erlebst, zu sprechen. Ich bin da tief beeindruckt und weiß, wie viel Mut das kostet, und gleichzeitig höre ich auch so viel Mut machendes in dem, was du erzählst. Und ich hoffe, genau diese Botschaften sind heute hörbar geworden für alle, die genau in solchen Situationen stecken, und deswegen bin ich sehr froh, dass wir auch noch mal eine Folge dem Thema gewidmet haben. Genau.
Heide Hällfritzsch: Ja, vielen Dank meinerseits. Es war sehr schön, dich hier zu haben und mit dir so intensiv zu sprechen. Ja, ich bin gern gekommen. Sehr gern.
Peggy Elfmann: Sehr gut. Abschließend haben wir noch ein paar Informationen für euch von Desideria Care, und zwar: Zum einen gibt es einen neuen Impulsworkshop, für den ihr euch jetzt schon anmelden könnt. Da geht es um das Thema Familiendynamiken und Rollen. Anja, möchtest du vielleicht kurz etwas dazu erzählen?
Anja Kälin: Wir haben ja mit Martin Schönacher schon mal auch im Podcast gesprochen. Er ist Familientherapeut und begleitet Familien eben auch genau bei solchen Themen. Wenn es Uneinigkeit gibt, wie findet man gemeinsam Wege zu Entscheidungen, und da poppen ja häufig so alte Muster hoch. Dass vielleicht der eine sagt: "Ja, warum muss immer ich mich darum kümmern, und warum darf mein Bruder sich da irgendwie zurücklehnen und warten, bis wir alle eine Lösung gefunden haben, oder Vater und Mutter", dass da vielleicht alte Themen hochpoppen, die schwierig zu behandeln sind. Und genau über diese Dynamiken haben wir schon mal gesprochen, und das wäre eben auch das Thema von diesem Impulsworkshop. Die Idee ist, Wissen zu vermitteln. Also, es gibt einen kleinen Impuls von Martin, und danach geht es ums Austauschen und Vernetzen in kleinen und großen Gruppen. Und ich denke, das ist ein schönes neues Format von Desideria, wo man viel mitnehmen kann, und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn sich da viele zu dem Impulsworkshop mit Martin Schönacher anmelden.
Peggy Elfmann: Mhm. Der Termin ist am 20. Juni, den könnt ihr euch ja schon mal notieren: abends um 19 Uhr. Den Link mit Informationen und zur Anmeldung findet ihr auch in den Shownotes.
Anja Kälin: Genau. Vielleicht noch ein Wort: Das ist ein Online-Workshop. Genau. Also, man kann von überall teilnehmen. Dann würde ich gerne noch unsere Online-Sprechstunde mit Dr. Sarah Straub ansprechen. Die läuft ja seit einem dreiviertel Jahr und wird tatsächlich sehr gerne angenommen. Gerade wenn man irgendwie Fragen hat, die aufpoppen und wo man eine zweite Meinung braucht, einfach eine Mail schicken an Sarah Straub unter der E-Mail-Adresse Fragen nach Demenz. Alle Infos kriegt ihr auch auf unserer Website und in den Shownotes.
Peggy Elfmann: Genau. Ja, dann war es das mit dieser Folge von Leben, lieben, Pflegen mit unserem Gast Heide Hällfritzsch. Ein großer Dank geht noch an unsere Unterstützung bei der Technik: Valentin Ram. Danke schön.
Anja Kälin: Ganz wichtig. Ja.
Peggy Elfmann: Ja. Und wenn euch der Podcast gefallen hat, dann freuen wir uns über Feedback. Teilt ihn auch gerne mit anderen Interessierten und Menschen, ja, die mehr zum Thema Demenz lernen wollen. Wir freuen uns, wenn ihr beim nächsten Mal wieder mit dabei seid. Bis dahin, ciao. Ciao.
Anja Kälin: Tschüss.
Peggy Elfmann: Tschüss.