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Alltagsgeschichte

Alltagsgeschichte ist als Biografiearbeit gerade im Umgang mit Menschen mit Demenz sehr wichtig, bei denen Begegnung und Beziehung im Hier und Jetzt eine zentrale Rolle spielen. Die Biografie eines Menschen setzt sich aus äußeren Lebensdaten wie Beruf oder Heimat und aus innerem Erleben, Gewohnheiten und Vorlieben zusammen.

Der Begriff Biografie stammt aus dem Griechischen: bios bedeutet Leben, graphein schreiben. Biografie ist jedoch kein starres Gebilde, sie verändert sich im Laufe des Lebens durch neue Perspektiven, Erinnerungen oder das Vergessen. Besonders bei Demenz werden frühere Ereignisse oft unwichtig, während andere verstärkt ins Bewusstsein treten.
Alltagsgeschichte und Lebensübergänge: Stationen einer Biografie

Im Laufe des Lebens durchläuft ein Mensch viele Rollenwechsel: vom Kind zum Erwachsenen, von der berufstätigen Person zur pflegenden Angehörigen oder Ruheständler*in. Beziehungen enden, Kinder verlassen das Elternhaus, das Berufsleben geht zu Ende. Die Altersforscherin Ursula Lehr identifizierte 15 bis 20 markante Lebensübergänge pro Biografie.

Bei Demenz verändert sich das Selbstverständnis grundlegend. Die Vergangenheit tritt zurück, und die Gegenwart wird zur zentralen Erfahrung. Wie der Demenzexperte Michael Schmieder betont: „Der Mensch zeigt sich unverfälscht, ehrlich. Er kann nicht anders, als ehrlich zu sein.“

Biografiearbeit: Verstehen, Vertrauen, Verbindung

Der amerikanische Gerontologe Robert N. Butler begründete die Biografiearbeit mit dem Konzept der Lebensrückschau. Ziel ist es, durch das Reflektieren der Vergangenheit Selbstvertrauen zu stärken und das Altern positiv zu begleiten. Seit den 2000er-Jahren ist Biografiearbeit fester Bestandteil in der Altenpflege.

Sie unterstützt Pflegende dabei, Verhalten und Bedürfnisse besser zu verstehen und die Beziehung zu vertiefen. Außerdem bietet sie Anregungen für passende Beschäftigungen – etwa gemeinsames Singen, Basteln oder Gespräche über frühere Zeiten. Auch der Umgang mit Alltagsgegenständen aus früheren Jahrzehnten kann Erinnerungen wecken.

Die Bedeutung von Alltagsgeschichte im Pflegealltag

Viele Menschen mit Demenz bringen ihre Biografie mit ins Heim, doch die Informationen stammen oft von Dritten und sind nicht immer vollständig oder verlässlich. Trotzdem kann das Wissen über Lebensumstände, Erlebnisse und das soziale Umfeld wichtige Brücken bauen: zu Bedürfnissen, Werten und möglichen Ängsten der Betroffenen.

Besonders hilfreich ist es, auch die historische, kulturelle und gesellschaftliche Alltagsgeschichte zu berücksichtigen. Artikel zur Geschichte von BRD, DDR, Österreich und der Schweiz aus den 1940er bis 1970er Jahren helfen dabei, Menschen dieser Prägung besser zu verstehen.

Grenzen der Biografiearbeit: wenn Vergangenheit zur Last wird

Trotz aller Vorteile bleibt Biografiearbeit umstritten. Kritisch diskutiert wird z. B. die Einrichtung von „Nostalgiezimmern“ oder Dörfern im Stil vergangener Jahrzehnte. Zwar sollen solche Inszenierungen das Langzeitgedächtnis fördern, doch nicht alle Menschen mit Demenz können damit etwas anfangen. Manche empfinden die Umgebung als befremdlich, überfordernd oder sogar beängstigend.

Negative Erinnerungen oder das Gefühl, etwas nicht mehr zu verstehen, können durch alte Fotos oder persönliche Gegenstände verstärkt werden. Deshalb ist es wichtig, Biografiearbeit nicht aufzuzwingen. Gerade im späten Stadium der Demenz ist oft nicht das Wissen über die Vergangenheit entscheidend, sondern die einfühlsame Begleitung im Hier und Jetzt.

© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria

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Die kostenfreien Seminare vermitteln Wissen, bieten Raum zum Austausch und geben Sicherheit im Umgang mit dem an Demenz erkrankten Familienmitglied.

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