
Ethik
Ethik bei Demenz spielt in der Betreuung und Pflege von Betroffenen eine zentrale Rolle. Angehörige und Fachkräfte stehen vor schwierigen Fragen: Was dient dem Wohl des Erkrankten? Wo endet Fürsorge, wo beginnt Bevormundung? Das Maß allen Handelns sollte stets die Lebensqualität des betroffenen Menschen sein.
Ethik ist kein Naturgesetz, sondern ein Teilbereich der Philosophie. Sie basiert auf menschlichen Überlegungen, kulturellen Normen und gesellschaftlichen Werten. Ethische Positionen können daher unterschiedlich ausfallen, je nach Herkunft, Religion oder Lebensgeschichte. In der Praxis ist es wichtig, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der über religiöse oder weltanschauliche Grenzen hinausgeht.
Der Philosoph Klaus Peter Rippe warnt deshalb vor Religion als alleiniger Entscheidungsgrundlage: „Eine Moral, die das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen ermöglichen soll, darf keine religiöse Moral sein.“
Ethik als praktische Philosophie
Im Pflegealltag bedeutet Ethik, zwischen widerstreitenden Interessen abzuwägen: Soll ein sturzgefährdeter Mensch in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden? Soll jemand mit starkem Freiheitsdrang daran gehindert werden allein spazieren zu gehen, da er den Rückweg womöglich nicht mehr findet?
Noch tiefgreifender werden die Fragen bei Themen wie künstlicher Ernährung oder selbstbestimmtem Lebensende. Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte müssen dann entscheiden. Oft stellvertretend für jemanden, der sich nicht mehr äußern kann. Dabei helfen ethische Grundprinzipien.
Die vier ethischen Grundprinzipien
- Nichtschaden (Freiheits-/Schadensprinzip)
Niemand darf einem anderen bewusst oder fahrlässig Schaden zufügen. - Autonomie
Jeder Mensch hat das Recht, selbst über sein Leben und seine Entscheidungen zu bestimmen, auch wenn diese anderen unvernünftig erscheinen. - Fürsorge
Wer für andere sorgt, übernimmt Verantwortung, auch wenn das bedeutet, deren Selbstbestimmung ein Stück weit einzuschränken. - Gerechtigkeit
Ressourcen und Belastungen sollen fair verteilt werden: nachvollziehbar und begründbar für alle Beteiligten.
Ethik bei Demenz in der Praxis: Essen, Bewegung, Freiheit
Ein häufiges Thema in der Praxis ist die Ernährung. Was tun, wenn ein Mensch mit Demenz das Essen verweigert? Ist eine Magensonde gerechtfertigt? Oder ist es ein legitimer Wunsch, nicht mehr ernährt zu werden?
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft rät, bei Menschen mit schwerer Demenz auf das Legen einer Sonde zu verzichten, da kein Nutzen nachgewiesen ist, weder im Hinblick auf das Überleben noch auf die Lebensqualität. Fixierungen zur Sicherung einer Sonde können das Leiden sogar verstärken.
Solche Entscheidungen sollten niemals allein getroffen werden. Der bessere Weg ist eine interdisziplinäre Konferenz aller Beteiligten.
Drei Schritte zur ethischen Entscheidungsfindung
Klaus Peter Rippe schlägt ein Modell mit drei Fragen vor:
- Wer hat das letzte Wort? Wenn die betroffene Person entscheidungsfähig ist, gilt ihr Wille.
- Stehen Rechte Dritter auf dem Spiel? Das Selbstbestimmungsrecht endet dort, wo andere übermäßig belastet werden.
- Welche Werte stehen sich gegenüber? Wenn Pflegende entscheiden müssen, gilt es, Nutzen und Schaden sorgfältig gegeneinander abzuwägen, besonders bei moralisch schwierigen Maßnahmen wie Zwang oder Fixierung.
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
Mit einer klar formulierten Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht lässt sich das Autonomieprinzip auch dann noch wahren, wenn die kognitiven Fähigkeiten nachlassen. Damit können Betroffene rechtzeitig festlegen, was sie sich wünschen und wer später für sie entscheiden darf.
Wichtig ist: Beide Dokumente müssen verständlich, eindeutig und rechtssicher sein. Muster aus dem Internet reichen oft nicht aus. Eine notarielle Beratung kann helfen, Formulierungen zu präzisieren und Missverständnisse zu vermeiden.
Ethik lebt vom Dialog. Je früher wichtige Fragen gemeinsam geklärt werden, desto besser lassen sich später schwere Entscheidungen im Sinne der Menschen mit Demenz tragen.
© demenzworld/Kompetenzzentrum Demenz Schleswig Holstein/Desideria
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