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Newsbeitrag

„Wir als Familie haben wahnsinnig gelitten, ohne zu wissen worunter“

22.05.2025

Was bedeutet die Diagnose frontotemporale Demenz? Wie geht es denjenigen, die die Diagnose erhalten und wie ihren Angehörigen? Der Regisseur und Schauspieler Lukas Olszewski hat sich entschieden, die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Mit seinem Spielfilm „remember me“ möchte er für mehr Verständnis, Aufklärung und Unterstützung beitragen.

Was bedeutet die Diagnose frontotemporale Demenz? Wie geht es denjenigen, die die Diagnose erhalten und wie ihren Angehörigen? Der Regisseur und Schauspieler Lukas Olszewski hat sich entschieden, die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Mit seinem Spielfilm „remember me“ möchte er für mehr Verständnis, Aufklärung und Unterstützung beitragen.

Lukas, vor welchem Hintergrund ist dein Film „remember me“ entstanden?

Der Film stellt den Weg meiner Verlobten Jenny und unser Familie dar. Wir hatten einige sehr schwere Jahre, in denen sie sich verändert hat. Sie zeigte neue, ungewöhnliche Verhaltensweisen. Sie war Musikerin und ich hatte sie als feinfühligen Menschen kennengelernt. Aber ihre Empathie verschwand immer mehr, auch gegenüber unseren kleinen Tochter. Jahrelang habe ich nach Erklärungen für die schleichenden Persönlichkeitsveränderungen und unsere Kommunikationsprobleme gesucht. Und dann erhielt Jenny die Diagnose frontotemporale Demenz, also FTD. 

Wie ging es euch in dieser Zeit bis zur Diagnose?

Jenny veränderte sich, aber sie selber nahm das gar nicht wahr. Für sie war alles okay. Aber ihr Verhalten und ihre Äußerungen waren oft so anders. Zum Beispiel kommentierte sie lautstark das Aussehen von anderen Menschen. Oder sie machte sich über unsere kleine Tochter lustig. Sie sagte mal zu mir: „Du hast so einen kleinen Kopf.“ Da lacht man im ersten Moment, aber versteht nicht, warum diese Äußerungen fallen. Ich habe dann angefangen Rat zu suchen, um uns als Paar und Familie zu helfen. Wir haben eine Paartherapie gemacht, aber da wurde gesagt, dass wir an uns arbeiten müssten. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass da etwas anderes ist. Es war total schwer, diese Veränderung in Worte zu fassen und anderen zu erklären.

Du bist ja Arzt. Hattest du eine Vorahnung?

Anfangs dachte ich, es könnte sich um eine psychische Erkrankung handeln. Aber Jenny ging es im Grunde gut. Ich konnte ihr Verhalten nicht einordnen und dachte, dass es vielleicht an mir liegt. Sie interessierte sich nur für sich. Dass eine Demenz die Ursache ist, das war undenkbar. Eine frontotemporale Demenz zu erkennen, ist total schwierig, wenn man sich damit nicht auskennt.

Wie ging es euch nach der Diagnose Frontotemporale Demenz?

Mit der Diagnose ist plötzlich Klarheit in unser Leben getreten. Ich habe mich aber auch extrem allein gefühlt. Alle haben immer gefragt: "Wie geht es Jenny?“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Nach außen hin ging es ihr ja gut. Sie zeigte keinen Leidensdruck. Aber miteinander im Alltag zu leben, das funktionierte nicht mehr. Die FTD war als da und doch unsichtbar. Ich habe die Person, die ich kannte, immer mehr verloren.

Wie kam es, dass du aus eurer Geschichte einen Film machen wolltest?

Mein Ziel war und ist es, damit nicht mehr alleine zu sein. Ich wollte nicht, dass unsere Geschichte nur im Privaten stattfindet und dann einfach so verpufft. Aus Gesprächen mit anderen Angehörigen weiß ich, dass sich viele einsam damit fühlen. „Remember me“ zeigt, wie sich das Leben mit FTD anfühlt. Mit dem Film möchte ich mehr Aufmerksamkeit und Verständnis für die Krankheit schaffen. Eines der wichtigsten Ziele des Projekts ist auch, dass Menschen eine frühere Diagnose erhalten.

Wie hätte euch eine frühe Diagnose geholfen?

Wir als Familie haben wahnsinnig gelitten, ohne zu wissen worunter. Es hat geholfen zu wissen, dass die Veränderungen durch eine Krankheit kommen. Ich habe mich so oft angezweifelt, dachte ich bin verrückt und habe mich komplett verloren. Die Klarheit durch die Diagnose hat geholfen, Hilfe zu suchen und Veränderungen anzugehen. 

Du hast einen Spielfilm gedreht und keine Dokumentation. Weshalb?

Nach meinem Medizinstudium habe ich meine schauspielerische Leidenschaft ausgebaut und Schauspiel studiert. Ich war noch mittendrin im Studium als Jennys Diagnose kam. Eigentlich wollte ich einen anderen Film produzieren. Aber es war schnell klar, dass ich über nichts anderes schreiben kann als darüber. Im Alltag habe ich viel gefilmt, aber das sollte privat bleiben, auch weil ich das nicht über den Kopf meiner damals vierjährigen Tochter entscheiden wollte. Also wurde es ein Spielfilm und ich hatte beschlossen, das selber zu spielen. Die Umstände sind im Film fiktionalisiert, aber sonst ist es sehr real.

Wie geht es euch heute? 

Jenny lebt in Neuseeland, ihre Eltern pflegen sie dort. Mit meiner Tochter war ich anfangs lange dort. Aber sie wollte wieder nach Hause, nach Deutschland. Sie ist jetzt zehn Jahre alt und ein kreatives, musikalisches Kind. Sie lebt hier ein normales Leben, ist fröhlich, aber ich merke immer wieder, dass ihr das Herz gebrochen ist. Dann kommen die Tränen. 

Und wie geht es dir? 

Ich trauere auch. Dieses Unfassbare prägt einfach alles. Jemand verschwindet über die Jahre, ist aber noch da und doch eine andere Person. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal mit der richtigen Jenny gesprochen habe, wann die Krankheit übernommen hat. Ich versuche das irgendwie in mein Leben zu integrieren.

Wo kann man deinen Film „remember me“ sehen?

Der Film läuft derzeit viel auf Filmfestivals, vor allem in den USA. Im Herbst gibt es einige Termine hier in Deutschland. Und auch im Rahmen des Demenz Meet in St. Gallen wird „remember me“ gezeigt. So langsam kommt es ins Rollen und ich hoffe auf viele weitere Vorführungen. Ich stehe für Filmvorführungen und Gespräche zur Verfügung. Wer Interesse hat, den Film zu zeigen, kann sich gerne an mich oder auch an die Deutsche Gesellschaft für Frontotemporale Degeneration wenden. 

Welchen Rat würdest du Angehörigen von Menschen mit FTD auf den Weg geben?

Ich würde Angehörigen gerne den Rat geben, mutig zu sein und sich auch mit der FTD anderen Menschen zuzumuten. Ich habe mich damals sehr zurückgezogen und konnte auch die gut gemeinten Fragen von Freunden nicht beantworten, weil ich dachte, ich kann denen das nicht zumuten. Heute denke ich, dass es ja auch eine Chance sein könnte. Wenn wir uns nicht verstecken, sondern uns trauen zu zeigen, was es bedeutet, mit der Krankheit zu leben, dann hilft das anderen, besser zu verstehen. Rückblickend würde ich Freunde nach Hause einladen oder ihnen anbieten, Zeit mit Jenny und uns zu verbringen, um FTD zu verstehen. Wir müssen uns nicht schämen. FTD ist eine Krankheit und es braucht mehr Unterstützung und Awareness dafür. 

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