Sonderpreis
Stephanie Harke, Braunschweig (*1985)
Bettschuhe
Das waren Schuhe aus Wolle, die meine Oma regelmäßig für sich und die Familie häkelte. Für warme Füße im Bett. Mit fortschreitender Demenz entstanden neue Formen. Selten konnte man von diesen neuen Bettschuhen noch Paare anziehen. Nicht zuletzt, weil oft nur noch Einzelstücke oder Unpaare produziert wurden. Irgendwann war gar nicht mehr klar, für welche Körperteile sie gemeint waren.
Diese kleinen bunten Kunstwerke erinnern die ganze Familie an die sehr lebenswerten und fröhlichen Zeiten auch während der Demenzkrankheit. Selbst meine Oma Helene musste manchmal lachen, als sie in klaren Momenten ihre Bettschuhe betrachtete.
Ich habe die gehäkelten Objekte auf bunte Untergründe gelegt und sie von oben abgelichtet. Das Medium Fotografie als Vermittler zwischen tatsächlichem Werk und Betrachter.
Sie wollen mehr erfahren über dieses Bild? Stephanie Harke im persönlichen Gespräch
Hören Sie hier die Geschichte zu der Fotoserie:
Begründung der Jury
Diese Arbeit verdiente nach Meinung der Jury einen Sonderpreis. Denn für sich gesehen käme niemand darauf, die Häkelexponate mit einer Demenzerkrankung in Verbindung zu bringen. Erst die Erklärung ihrer Herkunft und ihres Zu-Stande-Kommens macht den Bezug dieser Arbeit zur Demenzerkrankung deutlich, dann aber sehr deutlich.
Die gehäkelten Bettschuhe von Oma Helene sind ein ebenso eindrückliches wie auch traurig machendes Symbol für das Fortschreiten einer Demenzerkrankung. Die Demenz kommt nicht von einem auf den anderen Tag; sie entsteht vielmehr in einem, sich teilweise über Jahre hinweg erstreckenden Prozess, in welchem die Hirnleistung des erkrankten Menschen in unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlicher Schnelligkeit sukzessive nachlässt.
In der fotografischen Darstellung der gehäkelten Bettschuhe wird das Fortschreiten der Demenzerkrankung optisch deutlich sichtbar: die Betroffene ist in ihrer krankheitsbedingt unterschiedlich intensiv beeinträchtigten Fähigkeit nicht mehr in der Lage, die Bettschuhe in der Form hinzubekommen, wie sie dies über Jahre hinweg in voller Routine realisieren konnte. Wir wissen nicht, ob die verschiedenen Arbeiten in einer zeitlich geordneten Reihenfolge entstanden sind. Sie zeigen dennoch eindrucksvoll die unterschiedliche Intensität, mit der sich die Erkrankung des Menschen bemächtigt. Und sie zeigen andererseits auch, dass der betroffene Mensch gleichwohl mit bunten Farben fröhliche Exponate herstellen und sich daran vermutlich erfreuen konnte.
Dr. Harald Mosler, Josef und Luise Kraft-Stiftung, München
Andere Kategorien
Besondere Erwähnungen
Weitere acht Fotoarbeiten wurden von der Jury mit einer Besonderen Erwähnung gewürdigt